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Herr Puntila am Thalia Theater Hamburg

Seit Ulrich Khuon am Hamburger Thalia Theater den Abschied eingereicht hat, drängen sich die potenziellen Nachfolger in den Startlöchern; neulich der Regisseur Stephan Kimmig, zuvor der Oberspielleiter des Hauses, Andreas Kriegenburg. Mit Michael Thalheimer betrat jetzt der dritte den Laufsteg der Bewerber. Er hat sich Bertolt Brecht vorgenommen: "Herr Puntila und sein Knecht Matti", die im Exil entstandene finnische Volksfabel.

Von Michael Laages |
    Einmal erst, anno 2000, hatte sich Michael Thalheimer mit Bert Brecht beschäftigt; heute hält der Regisseur die eigenen Mittel und Methoden von damals allerdings für überholt und, was das eigene Handwerk, das eigene Denken betrifft, glücklich überwunden: "Pop-Theater" sei das gewesen; Thalheimers "Ui" hatte sogar das Zeug zum grob gestrichelten Comic.

    Heute stelle er sich andere Fragen, raunt Thalheimer im Programmheft zum "Puntila" - oft allerdings, und sehr sparsam, stellt er sich pro Abend nur je eine; nach dem Wesen der Zerrissenheit fragt er sich (und natürlich das Stück) im Zusammenhang mit der Fabel vom Gutsbesitzer, der ein empfindsamer Mensch nur ist im Zustand vollständigster Besoffenheit und nüchtern halt nur immer ein herrschendes Schwein.

    So oder so ähnlich mag die finnische Schriftstellerin Hella Wuoljoki dem Exil-Gast aus Nazi-Deutschland diese Geschichte erzählt haben, und viele Geschichten noch vom Puntila, dem Gutsherrn aus Lammi; der Gast wiederum strickte um die wirklich hübsche Grundidee herum eine Theater-Fabel, die dann aber eben nicht mehr nur die Legende vom heiligen Trinker erzählte, sondern diesem Zerrissenen ein szenisch-soziales Umfeld gab, das seiner Zerrissenheit gesellschaftliche Bedeutung verschaffte.

    Aus dem Einzelschicksal wurde die Zustandsbeschreibung einer Gesellschaft, in der eben dieses Eigen-Sein Konsequenzen hat. Und nicht nur lustige. Erst diese soziale Dimension nun macht aber den Kern des Brecht-Szenarios aus; und dass das dem Stückeschreiber gelang unter Beibehaltung der stark entwickelten poetischen Profile aus Wuoljokis Sprache, macht den eigentlichen Charme des Theatermaterials aus - in wirklich schönen "Puntila"-Aufführungen, der etwa, die dem (erstaunlicherweise!) chilenischen Regisseur Alejandro Quintana vor Jahren in Schwerin gelang. All das allerdings (und das stand ja zu befürchten!) würde Thalheimer überhaupt nicht interessieren.

    Bei ihm sieht's aus wie immer und überall - the same procedure as everywhere. Alles Umfeld, und das in diesem Fall eben: Alles, was Brecht ist, hat er dem Text wieder weggenommen: der besoffene Puntila geht nicht mehr zum Menschenkaufen auf den Gesindemarkt, und auf seinem Gut gibt's außer dem Chauffeur Matti auch keinerlei Personal mehr; vom Kreis der Hochzeitsgäste bei der platzenden Verehelichung von Puntilas Tochter Eva mit dem "Attache", einer hier quasi breakdancenden Laus von Mann, sind außer eben dem auch bloß Puntilas Saufkumpan Frederik, der Richter, und für eineinhalb Sätze der Pastor übrig geblieben.

    Im Grunde erzählt Thalheimer Brechts Sozial-Tableau als Solo mit Gästen; Katrin Wichmanns Tochter Eva darf neben Norman Hackers Papa Puntila nur ein schräges Girlie und der Chauffeur Matti von Andreas Döhler nur ein nöliger Krachmacher sein. Eine Idee hat Thalheimer für alle Facetten des Textes, eindimensional bleibt darum jede Rolle, grob und grantig werden Szenen und Pointen überhöht und abgehakt - während die Poesie des Textes sich zwar eine Weile noch verzweifelt wehrt, um letztlich aber zu unterliegen. Knecht Matti drückt dem zwiegespaltenen Herrn kalt und kühl die müden, toten Augen zu, wie er da auf dem Stuhl hockt und nur in Gedanken gerade den legendären finnischen Hatelma-Berg erstiegen hat.

    Auch diese Kletterei in flachem finnischen Gelände ist übrigens normalerweise nicht nur ein Witz-Klischee: es ist eine poetische Pointe. Aber das interessiert ja Thalheimer nicht - oder, um im Ton seiner Grobheit zu bleiben: Brecht interessiert ihn eigentlich nicht. Nur eben die Idee vom zwischen Suff und Nüchternheit in Jekyll und Hyde zerrissenen Puntila - jaja ... Wie Thalheimer vor sieben Jahren mitten im Zeitgeist schwamm mit dem Pop- und Comic-Brecht, so ist er auch jetzt wieder "in" - mit einem Brecht mit möglichst wenig Brecht drin; und für Leute, die von Brecht eigentlich auch gar nichts wissen wollen. Dieser Haltung verdankt die Frankfurter "Dreigroschenoper" den großen Erfolg, für diese Form der Brecht-Abwicklung steht auch der noch weitaus fahrlässigere Umgang mit dem 'Guten Menschen von Sezuan' am Schauspielhaus in Hamburg - in diesem zeitgenössischen Brecht-Sound nimmt niemand mehr den Stückeschreiber ernst. Weil sich auf seine Art des politischen Denkens nirgends jemand mehr einlassen mag, werden gleich die Stücke selbst zuschanden geritten.

    Und zu fürchten bleibt sogar, dass die Erfolge, die mit dieser Form der Brecht-Vernichtung zu erzielen sind, noch manche Karrieren sichern werden hierzulande.