Philipp May: Diese Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa sollte der CSU zu denken geben. Für die Mehrheit der Menschen ist der Schuldige im Asylstreit klar Bundesinnenminister Horst Seehofer, und zwar quer durch alle Parteien. Selbst CSU-Wähler sind mehrheitlich für seinen Rücktritt als Innenminister. Einzige Ausnahme: die AfD-Anhänger, wo Seehofer 90 Prozent Zustimmung bekommt. Also habe ich nachgefragt, aus Termingründen gerade eben, während im Deutschlandfunk die Presseschau lief, bei Joachim Herrmann (CSU), Innenminister Bayerns. Und ich habe ihn gefragt: Ist Horst Seehofer noch in der richtigen Partei?
Joachim Herrmann: Ja, selbstverständlich ist Horst Seehofer in der richtigen Partei. Die CSU ist die beste Partei, die man sich überhaupt vorstellen kann. Wir haben sicherlich auch schon Fehler gemacht, aber insgesamt, wenn man sich heute im Freistaat Bayern umschaut, für den wir seit Jahrzehnten arbeiten, haben wir für die Menschen in unserem Land eine phänomenal positive Entwicklung und auch eine hohe Zufriedenheit der Menschen mit der starken Entwicklung in Bayern.
Wir sind da schon auf einem sehr guten Weg. Das ist jetzt eine Momentaufnahme, da ist manches sicherlich auch in den letzten Wochen zweifellos nicht gut gelaufen. Mir ist es sehr wichtig, dass CDU und CSU eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Ich bin sicher, wir werden das wieder richtig auf die Reihe kriegen.
"Auseinandersetzungen in der Politik mit gemäßigten Worten führen"
May: Aber auch wenn die CSU die beste Partei ist – nach allem, was wir hören, geht die Verstimmung über Kurs und vor allem Rhetorik Ihres Parteichefs mittlerweile quer durch die CSU. Wie lange wollen Sie sich das noch leisten?
Herrmann: Wir müssen intern natürlich darüber reden, immer wieder neu auch unseren Kurs richtig bestimmen für die Zukunft. Klar ist, wir haben, denke ich, eine insgesamt überzeugende Politik. Richtig ist, dass wir auch immer die richtigen Worte dafür finden müssen, die entsprechend auch zu vermitteln. Und ich persönlich bin ja auch eher dafür bekannt, mit gemäßigten Worten manchmal notwendige Auseinandersetzungen in der Politik zu führen. Die ist zwischen konkurrierenden politischen Organisationen notwendig. Ein Stück weit Streit gehört auch zur Demokratie. Es gibt unterschiedliche Meinungen, die ja auch in der Bevölkerung durch die Meinungsumfragen offensichtlich werden. Aber es ist sicherlich richtig, dabei immer den richtigen Ton zu bewahren.
May: Wenn man jetzt auf die Umfragen schaut, sind aber mehr und mehr Wähler nicht mehr so davon überzeugt, dass die CSU wirklich die beste Partei ist. Das haben schon mal deutlich mehr Wähler gedacht. Gerade Ihre moderaten Wähler, die wenden sich angewidert vom Stil der CSU im Asylstreit ab. Und die vom rechten Rand haben Sie von der AfD trotzdem nicht zurückgewinnen können.
Herrmann: Wir werden alles dafür tun, dass das bei den nächsten Umfragen wieder anders aussieht. Aber schauen Sie mal an: Wo landet die SPD im Moment? Die ist bundesweit bei unter 20 Prozent. Die ist in Bayern nur noch dritt- oder viertstärkste Partei.
May: Aber wir reden ja jetzt über die CSU, die die absolute Mehrheit haben möchte.
Herrmann: Wenn Sie meinen, so einfach analysieren zu können, woran das liegt, woran die Zustimmung liegt, dann ist es ganz offensichtlich so, dass die große Mehrheit der Menschen mit den Inhalten der Politik, da mag es nicht am Ton liegen, sondern den Inhalten der Politik noch viel unzufriedener ist. Deshalb muss man sicherlich jetzt auch darüber reden, denn die Zustimmung zu CSU und CDU ist auf jeden Fall noch weitaus größer, als sie zur SPD ist. Das zeigt jedenfalls auch – und das, denke ich, sollte auch mancher Journalist beherzigen -, mit der Art, wie die SPD seit Jahren Politik macht, gewinnt man offensichtlich erst recht keine Wähler.
May: Darüber sprechen wir häufig mit der SPD oder mit Vertretern der SPD.
Herrmann: Okay.
"Entscheidend sind nicht die Meinungsumfragen drei Monate vor der Wahl"
May: Jetzt sprechen wir mit Ihnen als Vertreter der CSU. Da müssen wir, glaube ich, nicht über die SPD sprechen, sondern Sie haben ja den Anspruch, die absolute Mehrheit in Bayern zu gewinnen. Davon sind Sie weit entfernt. Und Sie gestalten die Politik.
Herrmann: Wir haben das selbstgesteckte Ziel. Wir haben keinen Anspruch, aber wir haben in der Tat immer hohe Ziele. Und es geht ja um nichts anderes, als die beste Politik für die Menschen in unserem Land zu machen, gleichzeitig die Menschen von diesem guten Kurs auch zu überzeugen. Daran werden wir arbeiten, und wie wir auch im vergangenen Jahr wieder erlebt haben: Entscheidend sind nicht die Meinungsumfragen drei Monate vor der Wahl, sondern entscheidend ist, welche Stimmzettel dann am Wahltag in der Wahlurne liegen. Wir werden kämpfen in der CSU bis zum 14. Oktober.
May: Lustig, dass Sie das jetzt sagen, weil das hat Martin Schulz, der SPD-Spitzenkandidat des letzten Jahres in der Bundestagswahl, letztes Jahr auch immer gesagt: Entscheidend sind nicht die Umfragen drei Monate vor der Wahl. Aber dann kam es noch schlimmer.
Herrmann: Wir werden alles dafür tun, dass wir wieder eine klare Mehrheit bekommen bei den Wählerinnen und Wählern. Wer sich umschaut, effektiv, objektiv: Wir sind das sicherste aller 16 Bundesländer. Wir haben die niedrigste Kriminalität. Das gehört auch zur Kommunikation. Wir müssen alles dafür tun, denjenigen, die den Leuten Angst einjagen wollen, entgegenzuwirken. Wenn ich als Innenminister sage, wir haben heute weniger Kriminalität als vor 10 oder 20 Jahren, dann gibt es Leute von zum Teil der extrem rechten Seite, die behaupten, das sei erstunken und erlogen. – Nein, das sind die Fakten und das ist auch bundesweit unstrittig.
Wir sind das Bundesland mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit. Die Sozialverbände bestätigen, wir haben in Bayern das geringste Armutsrisiko. Wir machen eine wirklich starke Politik für die Menschen in unserem Land, und darüber müssen wir auch wieder reden. Das Thema der Flüchtlinge und der Integration ist wichtig, sehr wichtig für die Zukunft, aber es ist auch nicht das allein Entscheidende für die Zukunft unseres Landes. Ich glaube, es wird auch ein wesentliches Ziel der CSU sein, in den nächsten Wochen und Monaten auch wieder die anderen Themen und unsere starken Erfolge stärker in den Vordergrund zu rücken.
May: Also haben Sie, vor allen Dingen die CSU, möglicherweise vor allen Dingen Ihr Parteichef zu viel über das Thema Flüchtlinge geredet und die anderen Themen etwas zu wenig betont, links liegen gelassen?
Herrmann: Nicht zu viel darüber geredet. Es war notwendig und richtig, hier Änderungen herbeizuführen, denn wir haben ja den Menschen schon im vergangenen Jahr versprochen, dass sich eine Situation wie im Herbst 2015 nicht wiederholen darf und nicht wiederholen wird. Wir sind da auf einem guten Weg. Die Asylbewerber-Zahlen sind auch in diesem Jahr niedriger als im vergangenen Jahr. Wir haben deutliche Veränderungen. Wir haben gleichzeitig jetzt mehr Erfolg dabei, diejenigen, die nicht in unserem Land bleiben dürfen, wieder in die Heimat zurückzuführen.
Und wir sind erfolgreich bei denen, die bleiben dürfen, dass sie auch wirklich gut integriert werden. Auch die Bundesagentur für Arbeit bestätigt, Bayern ist das Land der gelingenden Integration. Bei uns haben von den Flüchtlingen, die anerkannt worden sind, wesentlich mehr als anderswo schon einen Arbeitsplatz, sorgen jetzt selbst für ihren Unterhalt. Das sind überaus positive Entwicklungen und die müssen wir jetzt auch wieder stärker in der Öffentlichkeit in den Vordergrund rücken.
"Ich persönlich bedauere, dass dieser Streit so eskaliert ist"
May: Wenn das alles so gut ist, warum hat die CSU dann in dieser Heftigkeit den Asylstreit mit Angela Merkel und der CDU vom Zaun gebrochen?
Herrmann: Ich persönlich bedauere, dass dieser Streit so eskaliert ist. Er war in der Sache notwendig.
May: War er das wirklich? Sie haben doch gerade gesagt, dass die Asylzahlen stark zurückgegangen sind.
Herrmann: Ja deswegen muss man trotzdem sich in der Sache richtig auseinandersetzen. Und in der Sache bedeutet, dass jemand, gegen den zum Beispiel ein Einreiseverbot besteht, tatsächlich nicht einreisen darf, auch wenn er "Asyl" sagt. Das ist ja nur richtig. Dem hat übrigens dann auch nach kurzem die Bundeskanzlerin zugestimmt und das ist jetzt die allgemeine Linie für die Bundespolizei, die Vorgabe. Wer ein Einreiseverbot hat, darf tatsächlich nicht einreisen. Das sagt einem eigentlich auch der gesunde Menschenverstand. Dass das zeitweilig anders gehandhabt wurde, ist doch abwegig gewesen.
Und dass solche Dinge jetzt geklärt worden sind, das ist wichtig und richtig, und jetzt schauen wir gemeinsam wieder nach vorne. In der Sache haben die allermeisten Menschen in den gleichen Umfragen, von denen Sie gerade gesprochen haben, der Politik der CSU recht gegeben. Es hat sich mancher über den Ton und die Art der Auseinandersetzung geärgert. Das kann ich verstehen und das werden wir das nächste Mal besser machen. Aber insgesamt: Wir sind auf dem richtigen Weg für die Zukunft unseres Landes, und das werden wir jetzt wieder in den Vordergrund stellen.
May: Wenn Sie den Ton ansprechen – Markus Söder, der Ministerpräsident beispielsweise hat jetzt öffentlich angekündigt, das umstrittene Wort "Asyl-Tourismus" nicht mehr zu benutzen, weil es Menschen verletze. Sie haben das selbst auch mehrfach gesagt, auch hier bei uns im Deutschlandfunk. Ebenso wie den umstrittenen Begriff von der "Anti-Abschiebe-Industrie". Werden Sie sich jetzt ein Beispiel an Ihrem Ministerpräsidenten nehmen und in Zukunft auch verbal abrüsten?
Herrmann: Ich bin keiner, der verbal aufrüstet. Es ging bei dem Thema vor allen Dingen darum, dass in der Tat nach europäischem Recht Flüchtlinge, die in Europa angekommen sind, kein Recht haben, sich ihren Aufenthalt nach Belieben auszusuchen, sondern das Asylanerkennungsverfahren hat in dem Land stattzufinden, wo jemand zuerst ankommt und seinen ersten Antrag stellt. Darauf ist hingewiesen worden. Ansonsten hat Markus Söder da völlig recht. Wir müssen uns nicht über diese Begriffe streiten. Deshalb ist es richtig, wir müssen die Fachthemen in den Vordergrund stellen.
Und wenn sich jemand durch diese Begriffe verletzt fühlt, dann können wir auf solche Worte gerne verzichten. Das ist nicht das Thema. Entscheidend ist aber in der Sache nach wie vor: Es gibt kein Recht, nach Belieben, wenn man als Flüchtling in Europa angekommen ist, quer durch Europa sich zu bewegen und ein zweites, ein drittes, ein viertes Mal einen Asylantrag zu stellen. Dem muss klar entgegengewirkt werden und das ist übrigens die gemeinsame Position aller europäischen Staaten. Es muss nur jetzt auch durchgesetzt werden.
"Habe vor jedem großen Respekt, der sich dafür engagiert, dass niemand ertrinkt"
May: Herr Herrmann, jetzt ist Klaus-Peter Reisch, der Kapitän des Flüchtlingsschiffs "Lifeline", das 234 Menschen aufgenommen hat und dann tagelang auf dem Mittelmeer kreuzen musste, bis es in Malta einlaufen durfte, bei uns in einer Stunde im Interview. Teilen Sie die Meinung von Horst Seehofer, dass Reisch einen Shuttle-Service für Flüchtlinge von Libyen nach Italien betreibe?
Herrmann: Ich sage klar – und das habe ich auch in der vergangenen Woche im Plenum des bayerischen Landtags erklärt: Es ist wichtig, dass wir alles dafür tun, dass niemand im Mittelmeer ertrinkt. Und ich habe vor jedem großen Respekt, der sich dafür engagiert, dass niemand ertrinkt, der Menschen aus Seenot rettet. Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen.
Dass auf der anderen Seite von zahlreichen Polizei- und anderen Sicherheitsorganisationen rund ums Mittelmeer berichtet wird, dass ganz offensichtlich manche Schleuserbanden einkalkulieren, dass sie Menschen in unverantwortlicher Weise in untaugliche Boote setzen und nur darauf vertrauen, dass dann schon rechtzeitig eine Rettungsorganisation kommt, die sie vor dem Ertrinken rettet, und im Übrigen, wenn keine kommt, dann solche Schleuserorganisationen hemmungslos, tatenlos zusehen, dass die Leute, die viel bezahlt haben für ihre Überfahrt, dann auch tatsächlich ertrinken, umkommen im Mittelmeer, dessen muss man sich schon auch bewusst sein.
Das ist aber ganz klar nicht die Schuld dieser Rettungsorganisationen, sondern es ist die Schuld dieser unverantwortlichen Schlepperbanden, und denen muss tatsächlich das Handwerk gelegt werden und dafür müssen auch die europäischen Staaten zusammen mit den nordafrikanischen Staaten noch mehr tun.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.