Archiv


Hesse in neuem Licht

Im Hermann-Hesse-Museum in Montagnola ist die Ausstellung "Hesse als Weltbürger" zu sehen. Zum ersten Mal werden dort unter anderem Hunderte Dankesbriefe von Kriegsgefangenen gezeigt, für die der Nobelpreisträger sich engagierte. Das Bild eines angeblich unpolitischen Hesse ist ad acta zu legen.

Von Werner Bloch |
    "Wir stehen hier vor der Casa Camuzzi, in der Hesse von 1919 bis 1931 gelebt hat. In diesem Haus hat er viele seiner wichtigsten Romane geschrieben, zum Beispiel Siddharta, das meistgelesene Buch, Narziss und Goldmund, Klingsors letzter Sommer. Zwischen Malerei und Schriftstellerei hat er hier eine seiner wichtigsten Schaffensperioden erlebt."

    Das Hermann-Hesse-Museum in Montagnola, ein kleiner Wohnturm in einem italienisch anmutenden Hügeldorf, mit Blick auf die Landschaft bei Lugano. Hier gibt es nicht nur Manuskripte, Fotoalben und Hesses Bibliothek zu sehen, seine Schreibmaschine und einen Malkasten, in dem Hesse immer seine Pistole versteckte - für den Fall eines möglichen Selbstmordes. Die Direktorin des Hermann-Hesse-Museums, Regina Bucher, hat noch ganz andere, eher unbekannte Spuren Hesses gefunden.
    "Er war hier 1919 an einem Krisenpunkt, hatte den Ersten Weltkrieg hinter sich, hatte sich als einer der wenigen gegen den Krieg ausgesprochen, konnte in Deutschland nur unter Pseudonym publizieren, galt als "vaterlandsloser Gesell" und wurde heftig angegriffen in der deutschen Presse auf Grund seiner Haltung..."

    Lange galt Hesse in Deutschland als ein verfemter Autor. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg war er für die militaristischen Scharfmacher ein Feigling und Nestbeschmutzer. Nach dem Krieg wurde ihm trotz seines Nobelpreises fehlendes politisches Bewusstsein vorgeworfen.

    Hesse, schrieb Marcel Reich-Ranicki, sei ein beklagenswerter Apostel der Innerlichkeit, ein "schwärmerisch singender Asket in kurzen Hosen", über den man gut spotten könne. Er habe mit seiner "anachronistischen und weltfremden Literatur oft Unheil angerichtet".

    Das ist Unsinn, wie jetzt die Ausstellung "Hesse als Weltbürger" beweist. Der Autor hat sich nicht nur politisch, sondern auch noch sehr praktisch um die Realität gekümmert. Sein Geld steckte er in eine Organisation für Kriegsgefangene, die er selbst gründete. Von 1916 bis 1919 baute er eine Bücherzentrale für deutsche Kriegsgefangene auf, von der mehr als eine halbe Million Menschen profitierten.

    35000 Briefe hat er in seinem Leben geschrieben, viele gingen an Kriegsgefangene - und die wandten sich wiederum an ihn. Hunderte dieser Dankesbriefe an Hesse werden nun in Montagnola zum ersten Mal überhaupt ausgestellt.

    "Seine dritte Frau war Jüdin, ihre Freunde und Verwandte kamen hierher auf der Flucht, die haben die untergebracht, haben ihnen Geld gegeben...
    Künstler wie Thomas Mann, Berthold Brecht, die haben Hilfe bekommen, finanzielle und psychische Unterstützung."

    Hermann Hesse ächtete die Gewalt in Zeiten, als dies noch keineswegs üblich war. "Von 1916 an", schreibt er, "stand ich vollkommen allein. Für die Patrioten war ich ein Schwein, für die Revolutionäre ein rückständiger Bürgerlicher."

    In Zeiten des explodierenden Nationalismus, der aus Europa zweimal in 30 Jahren ein Trümmerfeld macht, nimmt Hesse die gegenteilige Position ein: ein Kosmopolit, der für das Miteinander und die Komplementarität der Kulturen eintritt.

    Hesse reist nach Indien. Siddharta (1919 bis 1922) sollte zeigen, dass Kulturen nicht unvereinbar sind, sondern Polaritäten eines Ganzen. Hesse liebt es, sich im Tessin mit seiner weißen indischen Jacke zu zeigen, die heute im Hesse-Museum hängt. Er posiert als eine Art deutscher Gandhi. Von Gandhi meint er, der sei mehr wert als alle amerikanischen Präsidenten und kommunistischen Führern zusammen.

    Hesse wird so zum meistübersetzten deutschen Autor. In Amerika verbrennen junge Männer während des Vietnamkrieges ihre Wehrpässe unter Berufung auf Hesse.

    Das Bild eines angeblich unpolitischen Hesse ist ad acta zu legen - auch wenn Marcel Reich-Ranicki Hesse "gute Gesinnung und wenig Geist" attestiert.
    Vielleicht kannte der sogenannte Papst der Literaturkritik aber auch vieles einfach nicht. Erst seit ein paar Jahren liegt eine Gesamtausgabe von 14000 Seiten vor, von denen die Hälfte Neuland ist. Herausgegeben hat sie die Hesse-Koryphäe Volker Michels, der auch die kleine, aber bedeutende Ausstellung im Hermann-Hesse-Museum in Montagnola kompetent mitberaten hat.

    Mehr zum Thema