Peter Kapern: Gestern bei der ersten Runde der Koalitionsgespräche zeigten CDU und Grüne entschlossen, zügig, nämlich bis Mitte Dezember, einen Vertrag auszuhandeln. Und mit dabei war Christean Wagner, der Fraktionschef der CDU im hessischen Landtag. Guten Morgen!
Christean Wagner: Guten Morgen, Herr Kapern.
Kapern: Herr Wagner, haben Sie mal nachschauen lassen, ob sich Alfred Dregger schon im Grab umgedreht hat?
Wagner: Alfred Dregger ist ein Realpolitiker gewesen und ich bin sicher, dass er in einer ähnlichen Situation ähnlich entschieden hätte wie die CDU in Hessen.
Kapern: Was ist denn die Situation? Immerhin haben Sie ja vor einiger Zeit noch den grünen Fraktionschef Tarek Al-Wazir als Studenten aus Sana’a gebrandmarkt. Das hat, ganz vorsichtig ausgedrückt, damals richtig für Schlagzeilen gesorgt. Und jetzt führen Sie Koalitionsverhandlungen mit ihm. Folgt das der Parole, in der Not frisst der Teufel Fliegen?
Wagner: Erstens ist das ein Vorgang von vor zehn Jahren, den Sie ansprachen, der auch nicht aus meinem Munde kam. Aber es ist so, dass wir nach einer sehr gründlichen Sondierung – wir haben vier Gespräche von etwa vier bis fünf Stunden geführt – zum Ergebnis gekommen sind, dass wir nach diesem Wahlergebnis mit den Grünen eine verlässliche Koalitionsregierung, auf fünf Jahre angelegt,, durchführen werden.
Wir haben keine Mehrheit für die CDU und FDP erzielt, obwohl wir stärker waren als Rot-Grün, und Rot-Grün konnte auch nicht alleine regieren. Deshalb ist aus meiner Sicht unter dem Vorbehalt, dass wir jetzt erfolgreiche Koalitionsverhandlungen führen, das die beste Lösung für Hessen.
Kapern: Nun gilt ja gerade Ihr Landesverband der CDU, Herr Wagner, als der konservativste innerhalb der CDU, jedenfalls einer der konservativsten. Was also treibt ausgerechnet die Hessen-CDU in ein Bündnis mit den Grünen, wo doch auch beispielsweise eine Koalition mit der SPD möglich gewesen wäre?
Wagner: Zunächst einmal bedeutet ja konservativ nicht, dass man nicht modern sei, dass man nicht aufgeschlossen ist, dass man nicht Realpolitiker sei. Sonst hätten wir nicht so lange bereits, jetzt seit 15 Jahren Mehrheiten in der Bevölkerung für unsere Parteiprogramme und Regierungsprogramme erzielt.
Kapern: Also man kann so richtig konservativ sein und trotzdem mit den Grünen koalieren?
Grüne verlässlicher als die SPD
Wagner: Ja das eine schließt das andere nicht aus, wenn der Kompromiss, den wir anstreben, stimmt und wenn ausreichend CDU zur Geltung kommt, natürlich auch, wenn ausreichend wir den Gesprächspartner, Koalitionspartner auch zur Geltung kommen lassen. Beides muss ausdrücklich möglich sein. Ein Konservativer ist ein Realist, der nicht etwa das Bestehende verteidigt, sondern das Bewährte. Aber das nur am Rande.
Wagner: Ja das eine schließt das andere nicht aus, wenn der Kompromiss, den wir anstreben, stimmt und wenn ausreichend CDU zur Geltung kommt, natürlich auch, wenn ausreichend wir den Gesprächspartner, Koalitionspartner auch zur Geltung kommen lassen. Beides muss ausdrücklich möglich sein. Ein Konservativer ist ein Realist, der nicht etwa das Bestehende verteidigt, sondern das Bewährte. Aber das nur am Rande.
Ich will auf den zweiten Teil Ihrer Frage eingehen. Wir haben auch mit der SPD sehr, sehr intensive und sehr offene Gespräche geführt und haben dort auch eine ganze Reihe von gemeinsamen Schnittmengen gefunden. Zum Schluss war für uns ausschlaggebend, dass wir nach unserer Einschätzung mit den Grünen verlässlicher für fünf Jahre würden regieren können, weil die SPD in den letzten acht Wochen immer wieder auch eine Minderheitenregierung ins Gespräch brachte, die Unsicherheit eines Mitgliederentscheides, und das hat uns zum Schluss doch zur Überzeugung gebracht, mit den Grünen werden wir dauerhaft für diese Wahlperiode fünf Jahre vernünftige, ordentliche Realpolitik für Hessen machen können.
Kapern: Lassen Sie mich doch noch mal an den Anfang dieser Antwort anknüpfen. Sie haben gesagt, ein Konservativer verteidige nicht das Bestehende, sondern das Bewährte. Zu dem Bestehenden haben die Grünen ja ihre eigenen Auffassungen, beispielsweise das Adoptionsrecht für Homosexuelle, höhere Hartz-IV-Sätze, doppelte Staatsbürgerschaft, höhere Steuern. Ist das alles nichts Bewährtes, was sich verteidigen lassen müsste?
Wagner: Zunächst einmal wollen wir feststellen, dass wir in wesentlichen Teilen unserer Landespolitik glauben, mit den Grünen eine gute Regierung führen zu können, dass wir die Finanzen, die Schuldenbremse – da gibt es ja eine große Linie zwischen der CDU und den Grünen.
Es ist die Schulpolitik, wo wir uns sehr viel näher sind als gegenüber den Sozialdemokraten. Und was Steuererhöhungen angeht, das kann man nun wirklich nicht als Bewährtes bezeichnen. Wir haben immer gesagt, auf Bundesebene, aber auch auf Landesebene, dass wir die Steuern nicht erhöhen wollen, sondern dass wir als Staat sparen wollen.
Deshalb gibt es sicherlich gesellschaftspolitische Überlegungen der Grünen, die nicht unsere sind, und deshalb müssen wir auch hier zu einem vernünftigen Miteinander finden. Aber ich wiederhole: Es gibt wesentliche Zentralbereiche, wo wir uns sehr nahe stehen.
Kapern: Aber haben Sie nicht die Befürchtung, dass in einer solchen Koalition das konservative Profil der Union noch weiter abgeschält wird? Das war ja ein großes Problem der Union in den vergangenen Jahren, weshalb ja nicht zuletzt der Berliner Kreis gegründet worden ist, dem Sie ja, wenn ich das richtig weiß, auch angehören.
Berliner Kreis
Der Berliner Kreis ist ein Zusammenschluss von Konservativen in den Unionsparteien CDU und CSU. Sie lehnen beispielsweise die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe ab oder auch eine feste Frauenquote.
Der Berliner Kreis ist ein Zusammenschluss von Konservativen in den Unionsparteien CDU und CSU. Sie lehnen beispielsweise die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe ab oder auch eine feste Frauenquote.
Mitglieder sind unter anderen folgende CDU-Mitglieder: Thomas Bareiß, Bundestagsabgeordneter, Christean Wagner, CDU-Fraktionschef in Hessen, Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen.
Quelle: dpa
Wagner: Das ist, Herr Kapern, eine sehr berechtigte Frage und deshalb legen beide Parteien, die Grünen sowohl wie die CDU, Wert darauf, dass sie in einer solchen Koalition ihre Identität nicht verlieren, ihr eigenes Profil bewahren, auch sichtbar machen, aber als verantwortungsvolle Politiker im Alltag immer wieder auch vernünftige Kompromisse finden. Das ist eine große Aufgabe, die wir nicht kleinreden wollen, aber wir glauben, sowohl die Grünen als auch die CDU, dass wir sie bewältigen können.
Kapern: Was ist denn der konservative Kern, den Sie durch das Bündnis mit den Grünen keinesfalls angetastet wissen wollen?
Wagner: Ja auf jeden Fall weiterhin Schuldenabbau, weiterhin keine Steuererhöhungen, weiterhin keinen Schulkrieg, keinen Krieg der Schulideologien, sondern Schulfrieden in Hessen. Da haben wir eine ganze Reihe von Themen, die wir als Union auch zur Geltung bringen werden, sichtbar machen werden.
Kapern: Jetzt haben Sie keines jener gesellschaftspolitischen Themen genannt, bei denen Grüne und CDU auf Kollisionskurs sind. Ich habe Sie ja eben schon mal genannt: beispielsweise Adoptionsrecht für Homosexuelle, doppelte Staatsbürgerschaft und dergleichen mehr.
Wagner: Ja.
Grüne und CDU müssen eigene Profile behalten
Grüne und CDU müssen eigene Profile behalten
Kapern: Gehört das nicht zum Kernbestand des Konservativen?
Wagner: Die beiden Themen, die Sie angesprochen haben, sind natürlich Regelungsbereiche, die in die Zuständigkeit des Bundes gehören. Hier gibt es – das haben Sie völlig zurecht gesagt – erhebliche Unterschiede in den Vorstellungen von CDU und Grünen und die wird es auch weiterhin geben. Das wollen wir überhaupt nicht ignorieren.
Aber dort, wo der Bund entscheiden muss, entscheidet der Bund und dann werden wir solche bundespolitischen Debatten nicht im hessischen Landtag durchführen.
Kapern: Herr Wagner, erst Wiesbaden, dann Berlin?
Wagner: Sie meinen jetzt Schwarz-Grün?
Kapern: Ja.
Wagner: Das haben wir sehr klar und deutlich gesagt, das ist jetzt ein Ausdruck von Verantwortung für Hessen. Wir sind nicht beeinflusst worden von Bundespolitikern aus Berlin und das ist kein Experiment, kein Modell, sondern das ist die beste Lösung jetzt für Hessen. Und ob es Auswirkungen eines Tages auf Berlin hat, das wissen wir nicht. Das hat uns aber in unserer Entscheidung auch nicht beeinflusst.
Kapern: Christean Wagner, der Fraktionschef der CDU im hessischen Landtag, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Wagner, vielen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag.
Wagner: Ja, wünsche ich Ihnen auch, Herr Kapern.
Kapern: Tschüss!
Wagner: Tschüss.
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