Christiane Kaess: Am Telefon ist jetzt Philipp Amthor von der CDU, Innenexperte der Unions-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen.
Philipp Amthor: Schönen guten Morgen aus Berlin.
Kaess: Herr Amthor, wir haben es gerade gehört: Volker Bouffier wird wohl weiterregieren in Hessen, aber das bei hohen Verlusten, und der Grund liegt auf der Bundesebene. Wie groß sind denn Ihre Sorgen um Ihre Partei?
Amthor: Bei aller Selbstkritik, die wir als Große Koalition üben können und müssen, ist es wie gesagt erst mal erfreulich, dass Bouffier es jetzt doch dann noch geschafft hat, dieses Ergebnis zu erzielen und dass wir dort weiterregieren können. Aber in der Tat: Die Verschiebungen sind natürlich dramatisch. Und wir müssen auch sehen: Schönrederei kann jetzt nicht das Gebot der Stunde sein, sondern wir müssen sehen, bei der Bayernwahl, bei der Hessenwahl dramatische Verlust, auch ziemliche Einschnitte bei den Umfragewerten. Ich glaube, das ist aller Anlass für uns zur Selbstreflektion, und das zeigt auch, dass wir es hier mit Verschiebungen zu tun haben, die, glaube ich, auch größer sind als all die Personaldiskussionen, die im Moment geführt werden. Ich glaube, es geht hier schlicht um die Frage, was wir auch als Volksparteien tun müssen, um noch unser Ziel zu erreichen, das eigentlich mal um die 40 Prozent liegen sollte, und dahin müssen wir wieder zurück, das muss die Marschroute sein und dafür müssen wir uns jetzt Gedanken machen, einen Plan zu entwickeln, wie das gelingen kann.
Kaess: Aber die Personaldiskussionen gehören ja dazu und da sehen viele auch ganz klar den Grund, warum gestern in Hessen so schnell mit dem Finger nach Berlin gezeigt wurde. Was glauben Sie denn, wieviel von dem Wahlergebnis für Volker Bouffier und die Hessen-CDU fällt denn auf Angela Merkel, Horst Seehofer und die Union zurück?
Amthor: Ich war viel unterwegs im Wahlkampf in Bayern, aber auch in Hessen, und ich habe dort gemerkt, dass Enttäuschung bei den Wählern nicht nur und ausschließlich und auch nicht zu allererst Personalfragen betrifft, sondern vor allem Stilfragen. Viel Zuspruch, den etwa die Grünen erhalten haben – das habe ich immer wieder gemerkt im Gespräch auch mit den Wählern -, lag vor allem daran, dass die natürlich einen Gute-Laune-Wahlkampf gemacht haben, während von uns Tristesse und Streit oft das bestimmende Signal war. Deswegen glaube ich zu allererst, dass wir auch zu einer besseren Diskussionskultur kommen müssen und zu einer Kultur, in der wir uns nicht immer die ganze Zeit gegenseitig schlechtreden, sondern in der wir Probleme lösen, die auch die Lebensrealität der Menschen betreffen.
"Horst Seehofer und Angela Merkel sind beide sehr reflektiert"
Kaess: Aber der Streit wird ja von Personen geführt. Jetzt sagen Sie trotzdem immer noch, Personaldiskussionen sind jetzt nicht an der richtigen Stelle?
Amthor: Nein! Ich sage nicht, dass Personaldiskussionen irgendwie Denkverboten begegnen. Aber ich glaube auch nicht, dass Personaldiskussionen allein das Bestimmende sind. Ansonsten, um konkret zu werden, gehen Sie davon aus: Horst Seehofer und Angela Merkel sind beide doch durchaus auch sehr reflektiert, und ich gehe davon aus, dass Angela Merkel auch in den Parteigremien jetzt natürlich offen darüber diskutieren wird, wie es weitergeht, welche Optionen es gibt. Ich habe da auch das Vertrauen, dass da auf dieser Grundlage dann gute Entscheidungen getroffen werden. Nur noch mal: Wir sollten uns alle vor Augen führen: Solche dramatischen Stimmenverluste im zweistelligen Bereich in den letzten Wochen und Monaten, das liegt nicht nur an Personen.
Kaess: Was wären denn gute Entscheidungen?
Amthor: Ich glaube, den Koalitionsvertrag mehr umzusetzen, Diskussionen zu führen, aber vielleicht respektvoller voreinander zu führen, nicht alles über die Presse auszudiskutieren. Ich glaube, das wären schon mal hehre Vorsätze, die man sich nehmen sollte. Ansonsten ist die Lösung für viele Probleme ganz einfach konkreter Natur. Schauen Sie, ich sage als Innenpolitiker etwa mit Blick auf die Hessen-Wahl, wir müssen dieses Thema sichere Herkunftsländer in Nordafrika jetzt endlich mal abräumen. Das ist das, was ich mir erwarten. Die Leute konnten das nicht verstehen, dass wir dort Debatten hatten, obwohl die Große Koalition aus SPD und CDU dafür ist, kriegen wir das nicht durchgesetzt. Die Grünen konnten sich da einen schlanken Fuß machen. Ich will klar, dass wir hier auch politische Verantwortlichkeiten benennen, und die liegen etwa bei den sicheren Herkunftsstaaten.
Kaess: Herr Amthor, da muss ich jetzt mal reingehen, weil Sie mahnen jetzt als Lösung an den Koalitionsvertr5ag und Diskussionen zu führen. Das ist ja eigentlich genau das, was die ganze Zeit getan wurde. Und man muss doch bei so einem Ergebnis und wenn unter CDU-Wählern mehr als 70 Prozent sagen, das war eine Gelegenheit für einen Denkzettel für Berlin, auch mal fragen, wer ist denn Schuld daran. Ich mache es jetzt mal ganz konkret. Muss denn Horst Seehofer jetzt nach diesem Wahlergebnis in Hessen und dem Trend, der sich nach Bayern fortgesetzt hat, gehen?
Amthor: Das muss die CSU entscheiden. Aber wissen Sie, Horst Seehofer ist doch sicherlich nicht der alleinige Faktor, der dafür maßgeblich ist, dass wir im zweistelligen Prozentbereich in Hessen verlieren. Ich glaube, so einfach sollten wir uns das alle nicht machen. Wir sollten auch nicht als CDU-Politiker jetzt sagen, der Horst Seehofer ist an allem schuld, wenn der weg ist, sind alle Probleme gelöst. So einfach wird es nicht sein, sondern das müssen zu allererst die Bayern entscheiden. Aber ich glaube schon, es muss ein besserer Eindruck entstehen von der Großen Koalition. Natürlich! Das war alles andere als ein Vertrauensbeweis für die GroKo, diese Hessen-Wahl. Aber wir müssen sehen, welche Handlungsoptionen haben wir jetzt. Wir können sagen, wir resignieren, wir bekommen das alles nicht hin, oder wir sagen, wir machen uns einen geraden Rücken, setzen unsere Inhalte um, diskutieren stilvoll, respektvoll miteinander. Dann, glaube ich, können wir auch die Wähler wieder überzeugen, dass das der richtige Weg ist.
"Klare Wegmarken definieren"
Kaess: Das ist ja auch nicht gewesen. Wenn Sie sagen, die CSU muss über Horst Seehofer entscheiden, dann frage ich Sie nach der anderen Seite. Es hieß schon vor der Wahl, scheitert Bouffier, scheitert auch Merkel. Das war die These, die im Raum stand. Jetzt ist Bouffier nicht komplett gescheitert, aber dieser massive Stimmenverlust eines Ministerpräsidenten, der ja als Vertrauter der Bundeskanzlerin und der Parteichefin gilt, die ohnehin geschwächt ist. Ganz konkret die Frage: Kann sie als Parteivorsitzende wieder antreten?
Amthor: Sie hat das erklärt, so habe ich es verstanden, und darüber wird jetzt Gesprächen in den Parteigremien.
Kaess: Ich frage Sie nach Ihrer Meinung. Was finden Sie?
Amthor: Ich denke, wenn die Bundeskanzlerin den Plan vorlegt, wie wir ein Konzept haben, wieder zu 40 Prozent zu kommen, dann kann sie das auch tragen.
Kaess: Was sollte das denn für ein Konzept sein?
Amthor: Ich denke, da müssen wir klare Wegmarken definieren, und da wird ein reines "Weiter so" als Aussage nicht reichen. Deswegen begibt sich ja auch der Parteivorstand in eine Klausur jetzt Anfang November, und ich glaube, das ist auch der richtige Rahmen, um zu reflektieren, was müssen wir denn jetzt eigentlich tun, welche Rückschlüsse müssen wir ziehen.
Kaess: Sie wollen abwarten, wenn ich das richtig verstehe, und Angela Merkel eine Chance geben. Was hören Sie denn aus der Fraktion?
Amthor: Ich höre genau das, dass wir sagen, wir müssen in Ruhe, aber bestimmt analysieren, wie wir jetzt dort zu einer vernünftigen Lösung kommen. Das ist doch ein bisschen wie mit der SPD. Man kann doch jetzt nicht sagen, aus Angst vor dem Tod begeht man Selbstmord. Das hilft doch irgendwie nicht, sondern wir sollten jetzt schon sagen, wir lassen nicht die Hysterie ausbrechen, sondern wir nehmen diesen Dämpfer klar zur Kenntnis, ohne ihn schön zu reden, aber wir analysieren ruhig und sachlich und bestimmt, welche Rückschlüsse sind daraus zu ziehen. Ich habe das Vertrauen in die Bundeskanzlerin, dass sie dort auch eine gute Analyse und eine selbstreflektierte Analyse vorlegt für die gesamte Regierungsarbeit der Union.
Kaess: Wenn Sie die Stimmung in der Fraktion wahrnehmen, sind Sie sich dann sicher, dass Merkel im Dezember noch mal für den Parteivorsitz antritt?
Amthor: Das muss die Bundeskanzlerin entscheiden. Ich merke auf jeden Fall sehr viel Zuspruch und ich merke vor allem auch bei vieler Kritik, die ich auch nachvollziehen kann, dass in der Tat in der Fraktion sehr stark die Stimmung ist, dass wir sagen, hier geht es um Probleme, die größer sind als Personalfragen. Ich glaube, das ist auch eine entscheidende Lektion aus der Hessen-Wahl.
"Die AfD setzt auf Populismus, aber wenig auf inhaltliche Substanz"
Kaess: Sie haben jetzt konkrete Überlegungen gefordert, wie es weitergehen soll. Die SPD macht ja da auch ganz gewaltig Druck. Die erwartet zum einen von der Union Konsequenzen. Parteichefin Nahles will einen neuen Fahrplan für die Koalition. Übernimmt hier gerade der kleinere Koalitionspartner die Führungsrolle genau deshalb, weil von der Union überhaupt keine konkreten Vorschläge kommen?
Amthor: Nein, überhaupt nicht. Davon kann gar nicht die Rede sein. Ich frage mich auch immer, was dieser Nahles-Plan denn sein soll und dieser Fahrplan denn sein soll. Von dem reden seit gestern Abend alle. Konkret habe ich dort noch nichts gehört. Ich glaube, der Koalitionsvertrag dient uns zumindest mit Blick auf die Inhalte als gute Orientierung. Was wir eigentlich eher brauchen betrifft Fragen von Stil, Anstand und Diskussionskultur.
Kaess: Sagen Sie uns ganz kurz noch zum Schluss: Die CDU hat in Hessen fast 100.000 Wähler an die AfD und auf der anderen Seite fast genauso viele an die Grünen verloren. Wie wollen Sie umgehen mit diesem Dilemma, dass Sie diese Wähler wieder zurückgewinnen?
Amthor: Ich glaube, dass ganz wichtig ist, gerade im Umgang mit der AfD, dass wir dort auch eine sachliche Auseinandersetzung suchen. In allen Wahlkämpfen, sowohl in Bayern als auch in Hessen, habe ich gesehen, die AfD setzt auf Populismus, aber wenig auf inhaltliche Substanz. Da können wir ansetzen, da müssen wir sie jetzt auch ganz klar stellen, auch in der Verantwortung, die sie jetzt in den Parlamenten haben. Mit Blick auf die Grünen will ich Ihnen sagen, dass dort vor allem ein Austausch mit der SPD erfolgt ist. Insgesamt ist es in Hessen wie in Bayern so, dass Rot und Grün zusammen Stimmen verloren und nicht Stimmen gewonnen haben, sondern die Grünen haben im Grunde jetzt durch ein Momentum guter Laune Stimmen der SPD aufgezehrt, aber das ist nichts Substanzielles.
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