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Hettstedt in Sachsen-Anhalt
Politische Diskussion mit dem Fischhändler

30 Jahre nach dem Mauerfall und vor mehreren Landtagswahlen im Osten ist das Sprechen über Geschichte hochpolitisch. Auch in Hettstedt in Sachsen-Anhalt, wo sich die Lokalpolitiker am Wochenmarktstand treffen. Und auch ohne AfD-Vertreter ist die Partei in den Diskussionen stets präsent.

Von Sabine Adler |
Bildnummer: 51081422 Datum: 25.01.2006 Copyright: imago/Hubert Jelinek Kupferabraumhalde im Mansfelder Land, Landschaft; 2006, Hettstedt, Abbau, Kupfer, Abraumhalde, Abraumhalden, Halde, Halden, Abraum, Kupferbergbau; , quer, Kbdig, Totale, Bergbau, Wirtschaft, Deutschland, , / Kupferabbau
Kupferabraumhalde im Mansfelder Land bei Hettstedt (imago / Hubert Jelinek)
Wenn in Hettstedt Markttag ist, wird meist politisiert. Das liegt auch an Hagen Hepach, dem Fischhändler, der zugleich für die CDU im Stadtrat sitzt. Mehrere Studien bestätigten, was sie auch so spüren, dass ihr Landkreis Mansfeld-Südharz eine abgehängte Region ist.
"Aus meiner Schulklasse sind nur fünf Leute hiergeblieben, die restlichen sind ausgewandert. Vielleicht kommen sie später mal im Rentenalter wieder zurück. Das zehrt schon am Menschen. Denn ansonsten ist Hettstedt gar nicht so schlecht. Ich mach erst mal weiter. Kommt noch etwas dazu?"
"Nein, danke."
Den politischen Gegner "auf die Probe stellen"
An Hagen Hepachs Fischstand schaut auch Roland Ritter vorbei, der schon für die Grünen und Linken Stadtrat war. Weil es an Markttagen Bürgermeister Dirk Fuhlert nie lange im Rathaus hält, sind sie bald zu dritt. Immer dabei: der unsichtbare Vierte, die AfD.
"Was bringen sie denn vor, die AfD? Für das kleine Volk? Gucken Sie sich mal ihr Programm an."
"Jetzt schlagen Sie aber hier die Schlachten."
"Jetzt schlagen wir sie."
"Und wie kann man der AfD hier beikommen?"
"Indem man sie links liegen lässt."
"Herr Bürgermeister, was sagen Sie dazu: Links liegen lassen?"
"Also, das ist schwierig zu sagen. Im Endeffekt haben die Leute sie gewählt. Das heißt, man muss mit den Leuten reden. Man darf sie definitiv nicht einfach links liegen lassen, in die Opferrolle drängen, weil das kann ihnen nur Auftrieb geben. Man muss sich mit ihnen auseinandersetzen und muss sicherlich, wenn sie Vorschläge bringen, auch in die Verantwortung nehmen. Damit kann man zeigen: Was kann die AfD bewirken, was kann sie bewirken, was ist dran an der ganzen Geschichte?"
"Einverstanden?"
"Selbstverständlich. Wir müssen sie fordern, auf die Probe stellen und klare Kante geben."
"Ich war in Leipzig mit dabei"
Kurz vor dem Jahrestag des Mauerfalls erinnert sich der "grüne Ritter", wie Roland Ritter hier genannt wird, wieder lebhaft an die Montagsdemos vor 30 Jahren.
"Wenn wir so wollen, haben wir eigentlich die Bundesrepublik aus der Scheiße gerettet durch unsere friedliche Revolution. Ich war in Leipzig mit dabei. Wir waren ja über 70.000, haben die Fahne aufgerollt: 'Deutschland - einig Vaterland.' 'Wir sind ein Volk.' Da bin ich nach Hause gekommen und habe zu meiner Frau gesagt: Das war's mit der DDR."
Höcke "hat bei mir überhaupt keinen Einfluss"
Dass sich die AfD vor dem 30. Jahrestag des Mauerfalls zu Bürgerrechtlern erklärt wie die DDR-Oppositionellen, dass sie die Treuhand-Behörde für die Zustände heute im Osten verantwortlich macht und immer wieder völkisch argumentiert, war 2013, als Andreas Gehlmann der AfD eingetreten ist, nicht zu ahnen. Dennoch ist es seine Partei, wie er erklärt:
"Ja, es ist eine junge Partie im Wandel. Jetzt hat man sich auf den Höcke eingeschossen. Die äußere Beeinflussung von den Medien ist schon feststellbar."
"Und das ist ohne das Zutun von Herrn Höcke geschehen?"
"Der ist in Thüringen."
"Ja, und?"
"Der ist in Thüringen. Wir sind in Sachsen-Anhalt. Der hat keinen Einfluss. Also bei mir hat der überhaupt keinen Einfluss. Es gibt ihn, ja. Die SPD hat ja den Sarrazin auch drin."
Treuhand - "das ist Geschichte, was soll das jetzt?"
Auch auf dem Markt in Hettstedt wird heute viel über die Treuhand geredet, auch weil Linke und AfD einen Treuhand-Untersuchungsausschuss im Bundestag und in den ostdeutschen Länderparlamenten fordern.
"Matjes möchte ich."
"Waren Sie auch betroffen von den großen Umwälzungen durch die Treuhand vor gut 30?"
"Jetzt hört man heute ganz häufig, das ist Schuld von der Treuhand."
"Ich habe zum Beispiel bei MKM Finanzen gemacht und weiß, dass Vieles nicht so gelaufen ist, wie es hätte können, sollen oder dürfen. Aber das ist Geschichte, und Fehler werden überall gemacht."
"Es gibt ja die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss von Linkspartei und AfD."
"Nö, das ist Geschichte. Was soll das jetzt?"
Zunehmend eine "abgehängte Region"
Gabriele Siebert treffe ich abseits des Marktes. Sie ist Rentnerin, war früher Betriebsrätin, kämpfte während der Treuhand-Privatisierung für die Arbeitsplätze im Walzwerk Hettstedt. Sieht sie einen Zusammenhang zwischen dem Wirken der Treuhand und den 27,3 Prozent für die AfD bei der Kommunalwahl im Mai?
"Nein, das kann ich mir nicht erklären. Das macht mich einfach nur sprachlos, traurig, und an Sachsen möchte ich gar nicht denken."
"Empfinden sie denn selbst Ihre Region als eine abgehängte Region?"
"Ja, zunehmend. Wenn Sie sich umgucken, sehen sie das auf den ersten Blick. Ich merke sofort, wenn ich die Landesgrenze zu Thüringen überschreite, an der Kompaktheit der sanierten Häuser, an der Herrichtung der Fußwege. Sie merken schon da, wo sie hergekommen sind, die Hauptstraße entlang und dann den Rest, das ist doch gruselig."
"Würden Sie sagen, dass man den Graben zwischen Ost und West schon weniger sieht, oder ist er schon noch da?"
"Ich würde sagen, der wird wieder tiefer. Das hat aber auch mit dem Wahlverhalten hier im Osten zu tun. Und wie das im Westen gesehen wird. Da verstehe ich sie nun wieder und dafür schäme ich mich auch ein bisschen, dass das so ist."