"Ich sah eine Wolke. Es war etwa zehn Uhr, der ganze Himmel war bedeckt, man konnte nicht einmal die Sonne sehen. Und sie waren überall. Das hat mir natürlich Angst gemacht. Solche Insekten hatte ich noch nie gesehen. Es war ein schrecklicher Moment."
Albert Lemasulani arbeitet normalerweise als Sozialarbeiter im Isiolo County im Zentrum Kenias. Doch seit im Januar die ersten Schwärme in seine Heimatregion kamen, kämpft er gegen die Heuschrecken. Zu Fuß, mit Motorrad und inzwischen auch per Hubschrauber spürt er Schwärme auf und gibt die Koordinaten an Teams weiter, die die Tiere aus der Luft mit Insektiziden besprühen. Mittlerweile nutzt er dafür eine App namens E-Locust.
Heuschreckenschwärme kartieren per App
"Wenn Sie einen Schwarm sichten, öffnen Sie die App, klicken auf "Neuer Bericht", und es werden automatisch die Koordinaten angezeigt. Dann wählen Sie die Art der Heuschrecken – Erwachsene oder Jungtiere, schätzen die befallene Fläche, zum Beispiel 200 oder 300 Hektar, laden ein Video oder ein Bild hoch und übermitteln die Daten an das Kontrollteam von Regierung bzw. FAO. Und das schickt dann die Sprühflugzeuge los."
"In Ostafrika gab es erhebliche Ernteschäden. Und das sind ohnehin sehr empfindliche Gebiete, die keine großen Verluste ertragen."
Keith Cressman verfolgt als Senior Locust Forecasting Officer die Wanderbewegungen der Heuschrecken für die Welternährungsorganisation FAO.
"Es gibt mehr als 20 Millionen Menschen in der gesamten betroffenen Region die sich in akuter Ernährungsunsicherheit befinden. Das ist eine Stufe unter der Hungersnot. Wir hoffen natürlich, dass wir eine Hungersnot vermeiden können, aber es handelt sich um eine beispiellose Bedrohung für die Ernährung und die Lebensgrundlagen dieser Menschen."
Noch keine detaillierten Schadenserhebungen
Umfassende Schadenserhebungen gibt es noch nicht. Eine kürzlich in Somalia durchgeführte Umfrage habe ergeben, dass ein Drittel der Befragten Weide- oder Ernteverluste im Zusammenhang mit Wüstenheuschrecken erlebt hat. In Ostafrika ist inzwischen die zweite Generation Heuschrecken geschlüpft und hat Schwärme gebildet. Jetzt steht die Sommerbrut der Insekten bevor.
"Gegen die im Frühjahr entstandenen Schwärme gibt es nach wie vor massive Kontrollmaßnahmen aus der Luft, vor allem im Nordwesten Kenias, in Äthiopien und in Somalia. Damit werden zwei Ziele verfolgt: die Landwirtschaft schützen, aber auch die Wanderungen der Schwärme in die Sommerbrutgebiete reduzieren."
Anfangs wurden konventionelle Insektizide eingesetzt, um die Schwärme zu besprühen. Mittlerweile stehen auch biologische Mittel zur Verfügung: ein Spray aus speziellen Pilzsporen gemischt mit Öl, das gezielt Wanderheuschrecken tötet. Allerdings entfaltet sich die Wirkung langsam, und die Produktion braucht Zeit.
Inzwischen werden auch Bio-Pestizide eingesetzt
"Das ist die Sache mit Bio-Pestiziden: Es ist ein viel langsamerer Prozess als bei den chemischen Mitteln. Bei der ersten Generation Heuschrecken gab es nicht genügend Vorräte davon, um effektiv eingesetzt zu werden. Aber jetzt, während der zweiten Generation, ist mehr davon verfügbar."
Ohnehin traut Kenia den Bio-Pestiziden erst jetzt so langsam, sagt Christian Pantenius. Er koordiniert derzeit als Berater für die FAO regionale Maßnahmen im nordkenianischen Heuschrecken-Hotspot Turkana. Als er seinen Arbeitsalltag schildert, wird er unvermittelt unterbrochen.
"Hubschrauber werden eingesetzt zur Entdeckung von Schwärmen...und jetzt kommt gerade...entschuldigen Sie. Das war jetzt gerade ein Sprayflugzeug, das über uns hinwegflog. Jetzt kommt das zweite. Aber die fliegen jetzt nicht in den Einsatz sondern zurück nach Südafrika."
Situation in Nordkenia vorerst unter Kontrolle
Dass die Flugzeuge nach vier Monaten ihren Einsatz in Turkana beendet haben, ist ein Zeichen dafür, dass sich die Situation dort entspannt hat. Zwar wurden an einigen Orten Schäden festgestellt, vor allem in Hirsefeldern, so Christian Pantenius. Seiner persönlichen Einschätzung nach liegen die Ernteschäden in Kenia aber bei maximal fünf Prozent.
"Was natürlich eben auch darauf zurück zu führen ist, dass wir es doch erreicht haben, die Heuschrecken soweit zu bekämpfen, dass sie nicht eine unmittelbare Gefahr für die landwirtschaftliche Produktion darstellen können. Ohne die Bekämpfungsmaßnahmen sähe die Situation sicherlich ganz anders aus."
Trotz der glimpflichen Entwicklung in Turkana – die internationale Dimension der Heuschreckenkrise ist außergewöhnlich. Denn auch in Asien bewegen sich die Schwärme aus dem südlichen Iran und Pakistan nordwärts in Richtung ihrer Sommerbrutgebiete in der Wüste im indisch-pakistanischen Grenzgebiet, warnt Keith Cressman.
"Mit dem Einsetzen des Monsuns haben die Tiere begonnen, Eier zu legen. Und wir erwarten eine beträchtliche Zunahme der Heuschreckenpopulationen während des Sommers bis Oktober, November, sowohl in Indien als auch in Pakistan."
Heuschrecken können zwischen Afrika und Asien wandern
Beide Länder haben sehr gute Heuschrecken-Kontroll-Programme, die zu den ältesten der Welt zählen. Ganz anders ist die Situation im Bürgerkriegsland Jemen, wo derzeit auch neue Schwärme entstehen. Die Tiere können mit dem Wind sehr weite Strecken zurücklegen. Daher könnten Schwärme aus dem Jemen auch wieder zu einer Bedrohung für Ostafrika werden – ebenso wie unkontrollierte Schwärme aus Somalia in den Mittleren Osten fliegen und dort die Situation verschärfen könnten. Der einzige Weg aus der Krise ist internationale Zusammenarbeit. Eine große Aufgabe, die derzeit noch durch die Corona-Pandemie erschwert werde, so Keith Cressman.
"Sie hat unsere Fähigkeit beeinträchtigt, internationales Fachwissen schnell zu mobilisieren und in die bedürftigen Länder zu schicken. Corona hat die Lieferungen von Pestiziden und Ausrüstung verzögert, ebenso wie die Mobilisierung von Flugzeugen aus anderen Ländern, die für Kontrolloperationen benötigt werden."
Wind könnte die Insekten aufs Meer hinaustragen
Zwei Faktoren entscheiden nun über die weitere Entwicklung: Wie konsequent und effektiv die Gegenmaßnahmen verlaufen. Und wie das Wetter sich gestaltet: Kälte und Trockenheit könnten die Schwärme dezimieren; Wind könnte die Insekten aufs Meer hinaustragen. Kenia aber sollte bereits jetzt für die nächste Heuschrecken-Welle vorsorgen, ist Albert Lemasulani überzeugt.
"Wir brauchen verstärkte Basisstrukturen innerhalb der lokalen Behörden, innerhalb der kenianischen Regierung, damit wir spezielle Abteilungen für den Umgang mit Heuschrecken haben. Denen sollte Ausrüstung wie Sprühgeräte zur Verfügung stehen. So bestünden regional die Mittel, um auf eine Heuschreckeninvasion zu reagieren."