"Sie sollten sich einen Schwarm wie eine Naturkatastrophe vorstellen, zum Beispiel einen Hurrikan. Er kann einzelne Häuser völlig zerstören. Aber Ihre Nachbarn bleiben vielleicht völlig unberührt."
Noch zerstören die Wüstenheuschrecken in Afrika hauptsächlich die natürliche Vegetation und Weideland, so der Insektenforscher Alexandre Latchininsky.
"Aber sehr bald wird die nächste Erntesaison beginnen, und dann werden wir die Folgen ganz massiv spüren. Auf jeden Fall ist die Ernährungssicherheit von Millionen von Menschen in Gefahr."
Für die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, kurz FAO, bemüht sich Alexandre Latchininsky derzeit, die Insektenplage in Afrika in den Griff zu bekommen. Die Zahl der Schwärme dort bezeichnet er als überwältigend – dabei hat er schon Einiges gesehen, seit er in den 1980er Jahren seinen Abschluss in Insektenkunde an der Staatlichen Universität Sankt Petersburg machte.
"Als ich dann meinen Job beim Allrussischen Institut für Pflanzenschutz bekam, wurde ich in das Heuschreckenlabor gesetzt. Das entsprach nicht genau meinem Studieninteresse, aber es gehörte zur Stellenanforderung. Und als ich anfing, über sie zu lesen, fand ich sie immer faszinierender. Ich denke, es sind die interessantesten Insekten der Welt. Darum habe ich auch mein ganzes Leben ihrer Erforschung gewidmet."
Wanderheuschrecken sind wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Wanderheuschrecken treten in zwei völlig unterschiedlichen Formen auf. Bei geringer Dichte sind die Tiere Einzelgänger und gut getarnt. Bei hoher Dichte leben sie dagegen in großen Schwärmen und sind auffällig gelb, rot oder schwarz gefärbt. Noch vor 100 Jahren galten sie als unterschiedliche Arten – dabei sind beide Formen genetisch identisch.
"Actually, these are like Dr. Jekyll and Mr. Hyde."
Welche Faktoren die Verwandlung der Tiere bewirken, ist trotz jahrzehntelanger Forschung nicht für alle Spezies geklärt – eine entscheidende Rolle spielen aber Niederschläge. Von Sankt Petersburg wechselt Latchininsky an die University of Wyoming in den USA.
"Meine Aufgabe bestand nicht nur darin, zu forschen. Ich sollte auch Landwirten und Rangern in den Vereinigten Staaten erklären, wie man mit Heuschreckenbefall umgeht, um die Vegetation und das Heu für ihre Kühe zu retten."
Mit Hilfe von Satellitendaten identifiziert er Regionen, die Heuschreckenschwärmen einen guten Nährboden liefern. Die Koordinaten werden an Einsatzteams am Boden weitergegeben.
"Zebra-Behandlung" spart Geld, Chemikalien und schont die Umwelt
"Wir haben gezeigt, dass man Heuschreckenschwärme nicht immer komplett mit einem Insektizid besprühen muss, um sie zu bekämpfen. Wir haben dagegen eine sogenannte "Zebra-Behandlung" erprobt. Das bedeutet, dass immer abwechselnd ein Streifen der Tiere behandelt wird und der darauffolgende nicht. Und diese Behandlung war recht erfolgreich. Wir haben also Geld und Chemikalien gespart und die Umwelt geschont. Das war das Hauptergebnis meiner etwa 20-jährigen Arbeit an der Universität von Wyoming."
Entscheidend sei dabei, die Tiere in einem jungen, flugunfähigen Stadium mit speziellen, umweltschonenden Insektiziden zu besprühen. Doch beim derzeitigen Ausbruch in Afrika hat genau das nicht funktioniert. Zuerst gab es – unter anderem durch den Zyklon Pawan im Dezember – ungewöhnlich viel Niederschlag am Horn von Afrika und auf der Arabischen Halbinsel. Die Wüstenheuschrecken bildeten daraufhin Schwärme, die ungehindert in die Lüfte aufsteigen und sich ausbreiten konnten.
"Es gibt Gebiete wie den Jemen, Somalia oder den Südsudan, in denen die Sicherheitsbedenken extrem hoch sind. Dort sind Monitoring und Gegenmaßnahmen einfach nicht möglich. Und die Heuschrecken profitieren davon. Deshalb gibt es im Moment zahlreiche Probleme, und deshalb haben sich so viele große Schwärme gebildet."
Die Bekämpfung der Insektenschwärme ist ein Mammutunterfangen
Und dass nicht nur in Ostafrika, sondern auch in der Grenzregion zwischen Indien und Pakistan und im Iran. Seit zwei Jahren arbeitet Alexandre Latchininsky mittlerweile in Vollzeit für die FAO. Eigentlich ist er für Zentralasien und den Kaukasus zuständig – doch derzeit beansprucht die Lage in Afrika einen großen Teil seiner Zeit. Knapp 20 Millionen Euro hat die FAO bereits für die Bekämpfung der Schwärme erhalten. Latchininsky kümmert sich um die Beschaffung von Pflanzenschutzmitteln, GPS- und Camping-Equipment für die Einsatzteams vor Ort und informiert über den richtigen Einsatz der Insektizide. Die FAO-Mission ist ein logistisches Mammutunterfangen, zumal verschiedene Länder grenzüberschreitend zusammenarbeiten müssen.
"Denken Sie an eine Art Kriegskampagne. Es ist tatsächlich wie Krieg. Wir brauchen ein Hauptquartier, Feldbasen und Flugplätze. Wir müssen Pestizide liefern und so weiter."
Neben konventionellen Giften setzt Latchininsky auch auf umweltfreundlichere biologische Insektizide. Ein Spray aus speziellen Pilzsporen gemischt mit Öl tötet Wanderheuschrecken zuverlässig ab. Allerdings entfaltet sich die Wirkung nur langsam, und die Produktion der Sporen braucht Zeit. Der Insektenforscher hofft, dass es gegen die nächste Generation der Heuschrecken eingesetzt werden kann, die bereits in Eiern im Boden heranwächst. Wann die Schwärme verschwinden, ist ungewiss – die letzte große Heuschreckenplage in Afrika um das Jahr 2004 dauerte etwa drei Jahre.
"Wenn das Wetter weiterhin günstige Bedingungen für die Heuschrecken schafft, wenn die Niederschläge hoch sind, dann werden wir noch lange Zeit Probleme haben. Aber wenn eine Dürre einsetzt, dann würde uns das helfen, diese große Plage zu stoppen."