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Heuschreckenplagen und Klimawandel
"Wir erwarten in der Zukunft mehr Heuschreckenplagen"

Es gebe einige Anzeichen dafür, dass die Heuschrecken vom Klimawandel profitierten, sagte Alexandre Latchininsky von der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) im Dlf. Es gebe zurzeit in einigen Ländern Heuschreckenplagen. Auch an eher ungewöhnlichen Orten.

Alexandre Latchininsky im Gespräch mit Monika Seynsche |
Ein Heuschreckenschwarm im Juli 2020 in der indischen Stadt Lucknow
Ein Heuschreckenschwarm in der indischen Stadt Lucknow (imago / Hindustan Times / Deepak Gupta)
Einige Heuschreckenarten hätten sich schon ausgebreitet, sagte Alexandre Latchininsky, der bei der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) für das Heuschreckenmanagement zuständig ist. Die Tiere wanderten weiter nach Norden und höher in die Gebirge, zum Beispiel die Marokkanische Wanderheuschrecke. Ein anderes Ergebnis des Klimawandels zeige sich bei der Europäischen Wanderheuschrecke in Zentralasien: Normalerweise gebe es nur eine Generation pro Jahr, aber seit Kurzem sei zu beobachten, dass sich auch eine zweite Generation bilden könne, etwa in Usbekistan, in Russland und einigen anderen Ländern. Das verursache wieder neue Probleme für die Heuschreckenüberwachung und –kontrolle. Auch die Wüstenheuschrecke profitiere, wenn es durch den Klimawandel immer häufiger zu Zyklonen, El Ninos oder La Ninas komme.
Zurzeit gebe es mehrere verschiedene Ausbrüche, der wahrscheinlich wichtigste sei immer noch in Ostafrika, vor allem in Äthiopien und Somalia, wo die Wüstenheuschrecke aktiv sei, sagte Latchininsky. Aber auch einige andere Heuschreckenarten seien zurzeit aktiv: die Marokkanische und die Europäische Wanderheuschrecke sowie die Italienische Schönschrecke. Alle drei seien in der Kaukasusregion und in Zentralasien verbreitet. Am gefährlichsten sei die Situation zurzeit in Georgien. Von dort stammten die Heuschrecken, die zurzeit Georgien, Aserbaidschan und Armenien befallen. Außerdem gebe es Warnhinweise aus Madagaskar, wo die Europäische Wanderheuschrecke verstärkt brüte.

Das Interview in voller Länge
Monika Seynsche: Wo sind zurzeit Heuschreckenplagen und welche Regionen sind am stärksten betroffen?
Alexandre Latchininsky: Es gibt mehrere verschiedene Ausbrüche zurzeit und der wahrscheinlich wichtigste ist immer noch in Ostafrika. Davon sind im Prinzip zwei Länder betroffen, Äthiopien und Somalia. Diese beiden Länder erleben immer noch Heuschreckenschwärme und Eiablagen und die Bildung von Schwärmen noch flugunfähiger Nymphen. Verglichen mit dem letzten Jahr aber sind es weniger Tiere. Deshalb sagen wir voraus, dass sich die Heuschreckensituation zunehmend beruhigen wird und sich auf einem normalen Niveau einpendeln wird - wenn es in dieser Gegend in der nächsten Zeit keine schweren Regenfälle gibt. Das ist die Situation der Wüstenheuschrecke.
Es gibt aber auch einige andere Heuschreckenarten die zurzeit aktiv sind. Die Marokkanische und die Europäische Wanderheuschrecke sowie die Italienische Schönschrecke. Alle drei sind in einer Region sehr aktiv, die wir Kaukasus und Zentralasien nennen. Die gefährlichste Situation dort sehen wir zurzeit in Georgien. In Georgien gibt es mehrere Gebiete nahe der Grenze zu Aserbaidschan, wo die Überwachung und Kontrolle der Heuschrecken schwierig ist aufgrund der politischen Spannungen zwischen Aserbaidschan und Armenien. Diese Regionen bleiben also unkontrolliert und von hier stammen die Heuschrecken, die zurzeit Georgien, Aserbaidschan und Armenien befallen.
Außerdem gibt es Warnhinweise aus Madagaskar. Dort brütet die Europäische Wanderheuschrecke verstärkt. Wir erwarten eine recht schwierige Situation später im Jahr, möglicherweise im Oktober. Die Situation in Madagaskar beobachten wir zurzeit sehr genau, denn sie ist sehr gefährlich. Madagaskar ist ein weltweiter Hotspot der biologischen Vielfalt. Dort können wir keine stark giftigen und breit wirkenden Chemikalien einsetzen. Stattdessen müssen wir vorsichtig und ganz gezielt arbeiten gegen die Heuschrecken in Madagaskar.

"Während des letzten Jahres und auch dieses Jahr gab es intensive Heuschrecken-Kontrollmaßnahmen"

Seynsche: Vor einem Jahr war die Heuschreckenplage sehr dramatisch. Jetzt sagen Sie, hat sich die Situation beruhigt. Hatten Sie das erwartet? Warum hat sich die Situation beruhigt?
Latchininsky: Dafür gibt es meiner Ansicht nach zwei Gründe. Das hängt mit dem Wetter zusammen. Vor zwei Jahren und auch im vergangenen Jahr gab es sehr viele, starke Regenfälle in vielen Brutgebieten der Wüstenheuschrecke, besonders nahe der Küsten des Roten Meeres, in Ostafrika, im Jemen, in Saudi-Arabien, aber auch in Südwestasien entlang der indisch-pakistanischen Grenze. In all diesen Regionen waren die Regenfälle häufiger als normal. Dieses Jahr dagegen ist es trockener und die Trockenheit ist schlecht für die Wüstenheuschrecken, denn sie brauchen Regen für die Entwicklung ihrer Eier. Die Tiere können im trockenen Boden keine Eier legen. Und der zweite Grund sind sicherlich die Bekämpfungsmaßnahmen. Während des letzten Jahres und auch dieses Jahr gab es sehr intensive Heuschrecken-Kontrollmaßnahmen in allen betroffenen Ländern. Mehr als zwei Millionen Hektar Land wurden mit verschiedenen Pestiziden behandelt und das hat die Heuschreckenpopulationen ebenfalls stark zurückgedrängt. Die Kombination dieser beiden Faktoren hat also zu einer Abnahme der Heuschreckenzahlen geführt.
Seynsche: Ist diese Heuschreckenplage also vorbei oder sehen wir die Ruhe vor dem nächsten Sturm?
Latchininsky: Wir sehen zurzeit, dass sich die Situation beruhigt, aber es gibt immer noch die Möglichkeit, dass sich neue Schwärme bilden. Besonders wenn noch starke Regenfälle später im Jahr kommen. Außerdem müssen wir die westlichen Gebiete im Auge behalten, etwa West- und Nordwestafrika also Länder wie Mauretanien, Mali, Marokko. Später im Jahr, im Oktober und November, werden die Heuschrecken dort brüten und wenn es dann viel regnet, kann sich die Situation wieder stark anspannen. Wir sehen also definitiv noch nicht das Ende der Heuschreckenplage, sondern nur eine Beruhigung.

"Jeder Ausbruch ist etwas anders als der andere"

Seynsche: Wenn Sie den aktuellen Heuschreckenausbruch vergleichen mit denen der Vergangenheit, ist der aktuelle ungewöhnlich oder ist es ein ganz normaler?
Latchininsky: Jeder Ausbruch ist etwas anders als der andere. Die letzte sehr ernste Heuschreckenplage trat zwischen 2003 und 2005 hauptsächlich in Westafrika auf, in Burkina Faso, Mali, Mauretanien und Marokko. Die aktuelle Heuschreckenplage betrifft aber bislang nur Ostafrika und Asien, Somalia, Äthiopien, Eritrea, Dschibuti, Jemen und Saudi-Arabien sowie Indien und Pakistan. Und dieses Mal traten die Heuschrecken auch in Kenia auf, zum ersten Mal seit 70 Jahren! Das ist schon sehr ungewöhnlich. Außerdem gab es extrem viele Heuschrecken zwischen Indien und Pakistan, auch das war bisher nicht typisch. Es gibt also einige Details, die diese Heuschreckenplage von den vorangegangenen unterscheidet.
Seynsche: Und wie hat die COVID19 Pandemie den Kampf gegen die Heuschreckenplage beeinflusst?
Latchininsky: Das war definitiv eine große Behinderung, denn sie hat sehr viele Aktivitäten erschwert. Zum Beispiel die Beschaffung von Material. Aufgrund der vielen Reisebeschränkungen war es kompliziert, Ausrüstung und Pestizide rechtzeitig an Ort und Stelle zu bekommen. In einigen Regionen konnte die FAO ihre Spezialisten nicht rechtzeitig hinschicken. Viele Sachen waren also verspätet. Und das betrifft nicht nur die Wüstenheuschrecke, dieselbe Situation haben wir in Zentralasien. Jetzt gerade wird dort einiges an Ausrüstung an der Grenze einiger Staaten aufgehalten, weil es keine Airlines gibt, die das Material zustellen könnten. Wir haben also definitiv einige Probleme. Trotzdem koordinieren wir von Seiten der FAO alle Bemühungen und ich sollte sagen, dass die nationalen Heuschreckenteams einen sehr guten Job gemacht haben. Und es gab einige sehr, sehr große Spenden für die Heuschreckenkontrolle, die wirklich geholfen haben. Also trotz der COVID19-Pandemie wurden die meisten Anti-Heuschrecken-Aktivitäten rechtzeitig durchgeführt.

"Wandern weiter nach Norden und höher in die Gebirge"

Seynsche: Und wissen Sie, wie es zum aktuellen Ausbruch kam?
Latchininsky: Unserer Ansicht nach war der Auslöser für den Anstieg der Heuschreckenzahlen die Veränderung des Klimas, im Besonderen eine ungewöhnlich hohe Frequenz von Zyklonen im nordwestlichen Teil des Indischen Ozean, nahe des Roten Meeres und der Küste Saudi-Arabiens. In diesen Regionen haben die Zyklone des Jahres 2019 extrem viel Regen gebracht. Und diese Regenfälle haben sofort exzellente Brutbedingungen für die Wüstenheuschrecken geschaffen. Das war sehr schwer vorherzusagen, wir konnten diese Zyklone nicht lange im Voraus vorhersagen. Zu einem gewissen Grad war das also unerwartet, selbst für die Experten. Aber sobald wir die Zyklone hatten, haben wir sofort Warnungen herausgegeben, dass dies zu einer sehr schlimmen Situation führen wird. Ich würde also sagen, dass Gründe in der Natur der Auslöser der aktuellen Heuschreckenplage waren.
Seynsche: Wenn Sie sagen, es waren die Zyklone und damit der Klimawandel, was erwarten sie für die Zukunft mit noch mehr Klimawandel.
Latchininsky: Der Klimawandel hat mehrere Aspekte und einer davon, der sehr weit akzeptiert ist, ist die globale Erwärmung. Und Wärme ist gut für Insekten im Allgemeinen und für Heuschrecken im Besonderen. Wir sehen jetzt schon Anzeichen dafür, dass die Heuschrecken vom Klimawandel profitieren. Zum Beispiel haben sich einige Heuschreckenarten ausgebreitet. Sie wandern weiter nach Norden und höher in die Gebirge. Die Marokkanische Wanderheuschrecke etwa hat früher nur bis in Höhen von 1.000 Metern gebrütet. Heute brütet sie schon bis in Höhen von 1.500 Metern. Ein anderes Ergebnis des Klimawandels ist die Situation der Europäischen Wanderheuschrecke in Zentralasien. Sie bildet normalerweise nur eine Generation pro Jahr, die im Mai startet und im September stirbt. Aber seit Kurzem beobachten wir bei verschiedenen Gelegenheiten, dass sich eine zweite Generation bildet, etwa in Usbekistan, in Russland und einigen anderen Ländern. Und das ist recht ungewöhnlich, denn es bedeutet, dass eine zweite Generation von Heuschreckennymphen im Oktober schlüpft. Und Sie können sich vorstellen, dass das eine Menge Probleme für die Heuschreckenüberwachung und –kontrolle verursacht. Wir sind dann schon am Ende der Saison, die Insektizide sind aufgebraucht, wir haben schon die Sprühaktionen beendet und dann, ganz unerwartet, kommt eine zweite Generation von Nymphen. Wir müssen also von Neuem mit dem Sprühen anfangen und so weiter. Diese beiden Beispiele zeigen, wie der Klimawandel den Heuschrecken hilft. Und auch die Wüstenheuschrecke profitiert, wenn es durch den Klimawandel immer häufiger zu Zyklonen, El Ninos oder La Ninas kommt. Das versuchen wir, immer wieder den Heuschreckenkontroll-Behörden klar zu machen. Wir erwarten mehr und mehr Heuschreckenplagen in der Zukunft.