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"Hexenjagd" an der Wiener Burg
Heillose Welt voll religiösem Wahn

Arthur Millers "Hexenjagd" gehört zu den meistgespielten politischen Stücken des 20. Jahrhunderts. Der US-amerikanische Dramatiker schildert eine Hexenhysterie, die im Jahr 1692 das Ostküsten-Städtchen Salem erfasste. Im Wiener Burgtheater hatte nun Martin Kusejs Inszenierung Premiere.

Von Günter Kaindlstorfer | 23.12.2016
    Porträtfoto des amerikanischen Dramatikers und Schriftstellers Arthur Miller am 13.10.1998 in der Akademie der Künste in Berlin.
    Der amerikanische Dramatiker und Schriftsteller Arthur Miller am 13.10.1998 zu Besuch in der Akademie der Künste in Berlin. (dpa / picture alliance / Schulz Christian)
    Heute wäre es ein harmloser Pubertätsritus, ein Happening für experimentierfreudige Teenager. Im puritanischen Neu-England des späten 17. Jahrhunderts war es ein gotteslästerlicher Skandal: Ein, zwei Dutzend Backfische treffen sich im Wald, um in einem sinnlich-erotischen Ritual miteinander zu tanzen. Pastor Parris, ein sittenstrenger Gottesmann, ertappt seine Tochter und seine Nichte als Teilnehmerinnen des frevlerischen Spiels:
    - "Ich habe doch gesehen, wie ihr getanzt habt. Ich habe gesehen, wie Tituba ihren Körper berührt hat, als wollte sie euch ermuntern, es auch zu tun. Ich habe euer Stöhnen gehört. Aus eurem Mund kamen unverständliche Laute. Es war, als hätte ich jemand nackt durch den Wald laufen sehen."
    - "Du hast dich geirrt, Onkel."
    - "Ich habe es gesehen."
    Die Teenager des Städtchens Salem erkennen: Sie können, indem sie behaupten, vom Teufel zu ihrem Tun verführt worden zu sein, ihrer Strafe entgehen. Um ihre Haut zu retten, beginnen die Mädchen wahllos, arglose Bürgerinnen und Bürger der Stadt als Zauberer und Hexen zu denunzieren.
    - "Ist es möglich, dass der Geist, den du gesehen hast, nur ein Trugbild war, eine Sinnestäuschung?"
    - "Ich wurde gequält. Ich habe mein Blut gesehen, wie es aus mir herausströmte. Tag für Tag wurde ich beinah zu Tode gewürgt. Nur weil ich meine Pflicht tat und die Helfer des Teufels entlarvte. Und das ist mein Lohn? Man misstraut mir."
    Klare, bestechende Bilder
    Regisseur Martin Kusej bannt Arthur Millers bedrückende Polit-Parabel in klare, bestechend scharfe Bilder. Die neuenglische Massenpsychose des Jahres 1692, hier wütet sie in einem Wald aus wuchtigen Betonkreuzen, den Bühnenbildner Martin Zehetgruber auf die Burgbühne gewuchtet hat. Es ist eine düstere Welt, in der sich der mörderische Aberwitz der Salemer Hexenverfolgung vollzieht. Martin Kusej hat zusammen mit einer starken Schauspieltruppe eine ruhige, beklemmende, hochkonzentrierte Inszenierung erarbeitet, eine Inszenierung, die Miller Stück präzise – fast möchte man sagen: viviseziert. Regisseur Kusej:
    "Es ist eigentlich im Grunde sehr pessimistisch. Ich glaube ja daran, dass man Dinge auf der Bühne pessimistisch und fragwürdig und zugespitzt zeigen muss, um – ein altmodischer Begriff – so etwas wie Katharsis wieder salonfähig zu machen."
    Es ist eine heillose Welt, die Arthur Miller in seinem Stück heraufbeschwört, ein Sumpf aus Justizterror, gegenseitiger Denunziation und niedrigster Gesinnungsschnüffelei. Nachbarn bezichtigen sich gegenseitig, mit dem Teufel im Bunde zu stehen, inquisitorische Ermittler heizen die Hysterie zusätzlich an, religiöser Wahn wird viral. Dabei geht es vielfach nur darum, alte Rechnungen zu begleichen, Verdachtsmomente auf andere umzuleiten und, wenn's gut läuft, sich Haus und Hof des hingerichteten Nachbarn anzueignen.
    "Wer nicht gesteht, wird gehängt. Zwölf sind schon gerichtet, die Namen der nächsten sieben sind bekannt gegeben. Und die Stadt erwartet, sie heute bei Sonnenaufgang sterben zu sehen. Ein Aufschub oder eine Begnadigung müsste die Schuld derer in Zweifel ziehen, die bereits gestorben sind. Da ich Gottes Recht spreche, lasse ich seine Stimme nicht durch irgendein Gewinsel zum Schweigen bringen."
    Dreidreiviertel Stunden dauert Martin Kusejs "Hexenjagd". Aus einem durch die Bank spektakulären Ensemble ragen Steven Scharf als widerständiger Landwirt Proctor und Michael Maertens als eitler Hexenjäger Danforth heraus. Dass es nur ein starker, kein überragender Theaterabend ist, hängt mit Kusejs Mut zu mitunter quälender Langsamkeit zusammen. Bisweilen zieht sich's doch beträchtlich. Trotzdem: viel Applaus.