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"Hier werden Dinge aufgeklärt"

Stefan Aust hält die Affäre um den Bundespräsidenten nicht für eine Treibjagd der Presse auf einen Unbescholtenen. Die Aufklärung solcher Vorgänge entwickle oft eine Eigendynamik. Wulff werde erst zurücktreten müssen, wenn ihn seine eigenen Leute fallen lassen.

Stefan Aust im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Landtagswahlkampf in Niedersachsen im Herbst 2007: Als Ministerpräsident wirbt Christian Wulff auch mit einem Interviewbuch für seine Wiederwahl – Titel: "Besser die Wahrheit". Darin beschreibt der CDU-Politiker sein privates und sein politisches Leben. Zeitungsanzeigen über das Buch bezahlt allerdings nicht wie üblich der Verlag; vielmehr begleicht Carsten Maschmeyer die Rechnung, jener Unternehmer also, in dessen Domizil auf Mallorca Wulff nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten im Sommer 2010 Urlaub gemacht hat. Um den Vorwürfen entgegenzutreten, hat der Bundespräsident zunächst seinen Sprecher vorgeschickt, später folgte dann eine kurze schriftliche Stellungnahme. Persönlich und ausführlich hat sich Christian Wulff allerdings bisher nicht zu Wort gemeldet. Stattdessen hat er zum Beispiel die Unterlagen zu dem umstrittenen Kredit für sein Einfamilienhaus einer Berliner Anwaltskanzlei übergeben. Seit gestern können interessierte Journalisten das Dossier dort einsehen. Mitgehört hat Stefan Aust, der frühere Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Schönen guten Tag, Herr Aust.

    Stefan Aust: Ja guten Tag.

    Barenberg: Herr Aust, man kann den Eindruck ja nicht los werden, dass die Medien in diesen Tagen durchaus auch Pingpong spielen. Einen Tag ist "Der Spiegel" dran mit einer Geschichte, den nächsten Tag wird er abgelöst von neuen Enthüllungen der "Bildzeitung" Ist das Zufall?

    Aust: Nein, das ist kein Zufall. Aber aus Ihrer Frage klingt sozusagen die Vermutung, dass da Absprachen existieren. Das ist ganz sicher nicht so. Solche Vorfälle entwickeln eine Eigendynamik und dann recherchiert der eine und dann recherchiert der andere und natürlich werden dann die einen auch auf die Erkenntnisse des anderen zurückgreifen. So ist das in vergleichbaren Fällen immer gewesen. Aber ich kann nicht erkennen, dass da eine Absprache vorhanden ist. Es ist eher, ich will mal sagen, eine Konkurrenz. Aber das ist nun einmal der Preis, den man zahlen muss, wenn man in der Politik an so hoher Stelle ist und dann Ungereimtheiten, sagen wir mal vorsichtig, ans Tageslicht kommen.

    Barenberg: Wir haben ja von unserer Landeskorrespondentin gerade noch mal gesagt bekommen, dass sich das Ganze ja schon ein, zwei Jahre hinzieht, beziehungsweise, dass es schon anfangs seit dieser Zeit Fragen gab mit Blick auf den Hauskauf, mit Blick auf den Kredit, den Christian Wulff dafür in Anspruch genommen hat. Wie entscheiden Sie zum Beispiel, wie haben Sie entschieden als Chefredakteur, wann man diese Geschichte dann platziert, wann man sie ins Blatt bringt?

    Aust: Na ja, zu meiner Zeit – und ich nehme an, das ist heute auch nicht anders – ist es so: Wenn eine Geschichte ans Tageslicht kommt, wenn man Informationen hat, wenn diese Informationen verlässlich sind, dann werden sie auch gedruckt. Wir sind eigentlich immer sehr vorsichtig gewesen darin, etwas zu veröffentlichen, was nicht vollständig restlos aufgeklärt ist. Und ich kann hier in diesem Falle, gerade an diesen langen Abläufen kann man ja sehr deutlich erkennen, dass es sich die Kollegen, weder die vom "Spiegel", noch die von der "Bildzeitung", sehr leicht gemacht haben. Sie sind sehr lange, sehr hartnäckig daran gewesen. Das kann man irgendwie unangenehm finden, aber so ist der Journalismus nun mal und so ist auch eine Demokratie, und ich glaube, es ist auch notwendig, dass man Licht in solche Fälle bringt. Ich glaube, Politiker müssen ganz genau wissen, das ist der Preis, den sie zahlen dafür, dass sie Politiker sind, dass nichts, aber auch wirklich nichts unterm Deckel bleibt, und sie sind alle sehr gut beraten, wenn da irgendetwas ist, dieses lieber vorzeitig aufzudecken. Ich glaube, das war nicht sehr klug, wie das hier gehandhabt worden ist.

    Barenberg: Und wie gelingt es dann den Medien, die Grenze zu ziehen, die ja auch für den Politiker Christian Wulff gilt, nämlich das Private vom Beruflichen zu trennen, also zu entscheiden, welche Informationen das Privatleben von Christian Wulff, seine Familie möglicherweise betreffen und welche tatsächlich das Amt?

    Aust: Im Augenblick kann ich nicht sehen, dass hier im Privatleben recherchiert wird. Vielleicht geht das ja noch los, das will ich nicht ausschließen. Aber in diesem Falle geht es darum, dass auch ein Bundespräsident oder damals ein Landesministerpräsident natürlich über seine finanziellen Transaktionen in Wahrheit Rechenschaft ablegen muss, vor allen Dingen dann, wenn sie mit Leuten, mit Unternehmern zu tun haben, die er auch mit auf Reisen nimmt und die möglicherweise - der alte Herr Geerkens sicherlich nicht, aber andere ganz bestimmt – in irgendwelchen Beziehungen zu staatlichen Organisationen, zu staatlichen Behörden stehen. Ich glaube, das muss außerordentlich sorgfältig und sauber getrennt werden. Und dass an dieses irgendwann einmal ans Tageslicht kommt, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Man kann in dieser Republik nichts geheim halten, und das ist vielleicht auch gut so. Wenn Sie sich die Vorgänge selbst angucken, das mag auf den ersten Blick gar nicht so gravierend sein. Aber wo beginnt dann sozusagen der erste Schritt in die Bananenrepublik? Das fängt bei ganz kleinen Schritten an, und deswegen, glaube ich, darf man sich auch nicht wundern, dass Fälle, in denen zum Beispiel Herr Maschmeyer Anzeigenkampagnen finanziert, was jetzt herausgekommen ist, dass das irgendwann ans Tageslicht kommt. Es ist ja auch ans Tageslicht gekommen, als Maschmeyer für die Wahl von Schröder damals auf eigene Kosten Kampagnen geschaltet hat, "Der nächste Bundeskanzler muss ein Niedersachse sein". Ich glaube, das ist der Preis einer offenen Demokratie, dass so was ans Tageslicht kommt. Wenn ich noch eins dazu sagen darf: Ich glaube, es ist falsch, dann zu glauben, hier wird sozusagen eine Treibjagd veranstaltet, oder hier werden Kampagnen geführt. Hier werden Dinge aufgeklärt. Und dass natürlich in dieser Mediengesellschaft, die so wahnsinnig schnell geht, hier kommt das Internet und dann kommt eine Meldung und die wird weitergetragen wirklich wie eine ganz große Lawine, das ist das, was heutzutage natürlich bei den Medien passiert, und ehrlich gesagt, ich finde es auch nicht so schlimm. Damit muss dann jemand leben, der in der Öffentlichkeit steht.

    Barenberg: Also daran, Herr Aust, dass Magazine wie "Der Spiegel" oder die "Bildzeitung" Dossiers in den Schubladen liegen haben und auf den richtigen Moment warten, wann es sozusagen den größtmöglichen Effekt in der Öffentlichkeit erzielt, da ist nichts dran?

    Aust: Ich kann nur aus meiner Erfahrung sagen, jedenfalls beim "Spiegel" ist das nicht der Fall gewesen. Wenn wir etwas hatten, dann haben wir es veröffentlicht, auch wenn es um Leute ging, über die wir sonst zum Teil auch positiv berichtet haben. Ob andere irgendwelche Dossiers in den Schubladen liegen haben, das weiß ich nicht. Ich glaube, ich bin da auch eher im Zweifel, muss ich sagen. Wissen Sie, schon aus reinen Konkurrenzgründen ist es doch so: was nutzt es jemandem, wenn er was in der Schublade liegen hat und dann kommt jemand anderes auch noch darauf. Normalerweise ist es so: Was man hat und was fundiert ist, wird auch veröffentlicht, ohne Rücksicht darauf, ob einem das jetzt politisch gerade in den Kram passt oder nicht. Wir haben zum Teil Sachen veröffentlicht, auch gegen Leute, mit denen wir sonst durchaus unsere Interviews gemacht haben und an deren Politik wir in mancher Hinsicht auch gar nicht so viel auszusetzen hatten. Die Sachen kommen einfach in Bewegung und dann gibt es eine Eigendynamik. Denken Sie mal an die Geschichte mit Joschka Fischer mit den Steinen, also mit den Polizisten, diese Geschichte da in Frankfurt. Das war da, es kam sozusagen in die Öffentlichkeit, und dann schreiben alle darüber. Dann gibt es Antworten des Betroffenen, dann sind die vollständig, oder sind gerade nicht vollständig. Ich kann mich selbst erinnern, als die Sache mit dem Polizisten dort in Frankfurt mit Joschka Fischer rauskam, da habe ich sehr lange mit ihm geredet. Ich habe gesagt, ich würde an deiner Stelle – wir waren damals per du, weil man sich lange kannte – alles auf den Tisch legen. Man kann heute nichts unterm Deckel halten!

    Barenberg: Und weil das bisher nach dem Eindruck vieler Beobachter jedenfalls noch nicht geschehen ist, wenn es um Christian Wulff geht – zum Schluss vielleicht die Frage -, kann sich Christian Wulff da jetzt noch aus der Affäre ziehen, oder rechnen Sie jetzt damit, dass da so viele Kolleginnen und Kollegen jetzt recherchieren, dass da auf alle Fälle noch was nachkommt?

    Aust: Es kommt darauf an, was da nachkommt. Aber Politiker sind meistens nicht dann gekippt, wenn irgendeine große Öffentlichkeit über irgendwelche Vorgänge vorhanden war, sondern sie sind dann gekippt worden, wenn ihnen ihre eigenen Leute in den Rücken gefallen sind, wenn sie von ihren eigenen Leuten nicht mehr gestützt worden sind. Denken Sie mal an alle großen Affären eigentlich. Die Leute sind erst dann zurückgetreten, wenn ihre eigene Partei, wenn ihre eigene politische Fraktion sozusagen nicht mehr hinter ihnen stand. Das ist der entscheidende Punkt. Und ich kann im Augenblick nicht erkennen, dass in der CDU oder in der FDP und offenbar in der Opposition ja auch ein großes Interesse daran besteht, dass Christian Wulff zurücktritt und man sich dann bei unklaren Mehrheitsverhältnissen wieder auf einen neuen Präsidenten einigen muss. Es ist eine Frage des Rückhalts im eigenen Lager, das ist die Frage. Es ist nicht die Frage, ob jetzt die Journalisten weitermachen oder nicht weitermachen. Aber wenn große Dinge noch auf die Tagesordnung gesetzt werden, dann kann es natürlich ganz eng werden. Das ist jetzt schon sehr eng.

    Barenberg: Heute Mittag im Deutschlandfunk in den "Informationen am Mittag" Stefan Aust, der frühere Chefredakteur des Spiegel. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Aust. Auf Wiederhören!

    Aust: Okay, danke schön. Tschüss!

    Barenberg: Tschüss!

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