Wozu dient eine Diskussion über die deutsche Leitkultur? Ist die Besinnung auf deutsche Kultur und Tradition von Bach bis Bratwurst hilfreich für Fragen der Integration und Identität einer sich wandelnden Gesellschaft?
Jörg Lau, Journalist, Redakteur der ZEIT:
Ein Einwanderungsland braucht eine Leitkultur, braucht eine Verständigung über Gemeinsamkeiten und Konfliktfelder jenseits der Frage, was unsere Werte sind, die in der Verfassung feststehen. Ob eine Gesellschaft, die immer differenziert, vielfältiger und bunter wird, funktioniert, hängt von mehr ab als von Gesetzestreue. Nämlich von einem Gemeinschaftsgefühl, von gemeinsamen Bezügen auf die gleichen Dinge. Wir müssen über das gleiche reden und streiten. Deshalb glaube ich, dass dieser imperfekte Begriff "Leitkultur" sehr gut brauchbar ist um diese Debatte anzuheizen.
Hilal Sezgin, deutsch-türkische Schriftstellerin und Publizistin:
Ich denke, dass wir nicht nur keine Leitkultur zu definieren brauchen, sondern wir können es auch nicht! Sowohl was deutsch ist, ist zu vielfältig, als auch die Kulturen sind immer heterogen, nicht homogen. In der Praxis sieht man das, wenn man versucht zu definieren, was das konkret heißen soll. Dann wird es sofort lächerlich, auch de Maizière ist in diese Falle gelaufen: "Wir sind nicht Burka, wir sind Händeschütteln" – was soll denn das? Unser Grundgesetz schützt den Pluralismus des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens, und das ist gut so.
Im übrigen gibt es so kurze Zeit, nachdem eine neue Gruppe von rechtsextremer Terroristen aufgedeckt wurde, wirklich dringendere Probleme für einen deutschen Innenminister, als über Leitkultur zu diskutieren.
Dieses Gespräch können Sie sechs Monate lang in unserem Audioarchiv nachhören.