Philipp May: "Tritt ein, sag nein" oder "Ein Zehner gegen die GroKo" – mit diesen Slogans gehen die GroKo-Gegner in der SPD, allen voran Teile der Jusos, auf Mitgliederfang, um am Ende beim Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag die Große Koalition verhindern. Und das mit Erfolg. Weit über tausend Eintrittsanträge sind in den letzten Tagen gestellt worden, und das sorgt für Ärger. Michael Groschek, SPD-Landeschef in Nordrhein-Westfalen, zur "Welt":
O-Ton Michael Groschek: "Die SPD ist nicht eBay. Wir versteigern keine politischen Entscheidungen. Und irgendwann ist Schluss mit lustig."
May: … sagt SPD-Landeschef Michael Groschek. – Am Telefon ist jetzt Hilde Mattheis, Parteilinke und Gegnerin einer Neuauflage der Großen Koalition. Sie wirbt auch um neue Parteimitglieder, damit diese beim Mitgliederentscheid "Nein" zur GroKo sagen. Guten Morgen!
Hilde Mattheis: Guten Morgen.
May: Frau Mattheis, ist Ihnen jedes Mittel recht?
Mattheis: Ich bitte Sie! Natürlich ist nicht jedes Mittel recht, und das machen wir auch nicht. Ich will gar nicht bewerten, was die Jusos in NRW für eine Kampagne fahren. Wir sagen, "bleib dabei, beteilige Dich an der Neuausrichtung der SPD, an der inhaltlichen Erneuerung, auch an der organisatorischen Erneuerung". Und wir werben damit auch für Mitglieder, dass die dabei bleiben, und natürlich werben wir mit unseren Argumenten, "Tritt ein, sag nein", gegen eine Große Koalition.
"Politikverdrossenheit entgegenwirken"
May: Aber jetzt ist dieser Slogan nur "Tritt ein, sag nein". Da steht nichts von "Tritt ein und beteilige Dich an einer Neuausrichtung".
Mattheis: Doch. Wir kommunizieren das so, dass das natürlich eine Verbindung ist: "Bleib dabei", wir werben dafür, sozialdemokratische Erneuerungsprozesse mit zu initiieren und auch einer Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Das sind Punkte, die uns dabei mittragen.
May: Ist das jetzt glaubwürdig? Sie werben ja auch erst, seitdem klar ist, dass sich bei dem Mitgliederentscheid die Frage nach einer erneuten GroKo entscheiden wird. Zumindest läuft seitdem die Kampagne.
Mattheis: Die läuft seitdem, ja sicher. Wir haben dafür immer geworben, auch vor dem Sonderparteitag. Und ich glaube, das ist legitim, dass jede Pro-Contra-Position für ihre Position wirbt und für neue Mitglieder. Natürlich weiß niemand, wie diejenigen, die sich jetzt für einen Eintritt entscheiden, letztendlich abstimmen. Das weiß niemand. Und ich hoffe sehr, dass wir in der Partei diese neuen Mitglieder halten, so wie wir immer gehofft haben und versucht haben, die Mitglieder zu halten, die bei dem sogenannten Schulz-Hype eingetreten sind. Ich finde, das ist absolut legitim, wenn man für seine Position wirbt.
May: Wie erklären Sie das Ihren Parteigenossen, die sich jetzt seit Jahren in der SPD engagieren, im Sommer Tage an Wahlkampfständen verbracht haben und jetzt für eine GroKo-Neuauflage sind?
Mattheis: Wir haben viele, die im Sommer auch an den Wahlkampfständen standen, die gegen eine GroKo sind. Und wir versuchen, alle zu erreichen mit unseren Argumenten, mit unserer Aufstellung und auch mit inhaltlichen Positionierungen. Und wir werben dafür, um diese Partei zu kämpfen, dass es klar ist, wir wollen sozialdemokratische Werte in Zukunft, wie wir es in der Vergangenheit hatten, verkörpern. Und wir wollen eine Klärung haben und eine Schärfung unserer Positionen. Ich glaube, das darf man nicht in dieser Ausschließlichkeit sehen, sondern es geht darum, in dieser Partei diesen demokratischen Ansatz auch zu pflegen. Dafür werben wir.
May: Und diese Leute, die Sie angesprochen haben, die auch schon im Sommer an Wahlkampfständen standen und gegen eine GroKo sind, die würden sich auch ohne weiteres noch mal an Wahlkampfstände bei einer Neuwahl, die dann ja wahrscheinlich kommen würde, stellen und sich den Vogel zeigen lassen würden, wie die Fraktionschefin Andrea Nahles befürchtet.
Mattheis: Das ist kein logischer Schluss, den Sie da ziehen. Es ist kein logischer Schluss, denn es muss ja nicht zu Neuwahlen kommen. Wir werben dafür, dass unsere Argumente auch für eine Minderheitsregierung immer in der Debatte bleiben. Wir wissen, es gibt hohe Hürden. Dass der Bundespräsident da eine maßgebliche Rolle spielt, ist klar. Wir wollen, dass wir jetzt erst mal als Partei eine klare Haltung gegen eine Neuauflage der Großen Koalition einnehmen. Wir werben dafür und wir wollen dann im Prinzip auch, dass die Verantwortung, die Frau Merkel immer noch hat, für eine Regierungsbildung wieder stärker in den öffentlichen Fokus kommt. Denn das ist klar, dass Frau Merkel auch die Verantwortung ein Stück weit abgegeben hat an unsere Debatte, die so die öffentliche Diskussion bestimmt im Moment. Das muss nicht sein!
"Kommt zu kurz, dass Frau Merkel mit der Regierungsbildung betraut ist"
May: Die möchte eine Koalition bilden. Das ist ja legitim.
Mattheis: Das muss nicht sein, dass wir die Verantwortung, die Frau Merkel hat, auf uns ziehen. Frau Merkel ist mit der Regierungsbildung betraut worden und ich finde, dass diese Debatte im Moment zu kurz kommt. Auch dafür werben wir, dass wir wieder diese Debatte führen.
May: Wenn die SPD jetzt bei den Koalitionsverhandlungen, die es ja immer noch gibt, mit der Union noch einmal richtig viel herausholt, sprich sachgrundlose Befristung zum Beispiel von Arbeitsverträgen minimiert, privat- und kassenärztliche Honorare werden angeglichen und der Familienzuzug von subsidiär geschützten Flüchtlingen wird erleichtert, was machen Sie dann?
Mattheis: Wir haben uns nie an einer Debatte um rote Linien beteiligt, weil es für uns seit dem 24.9. grundsätzliche Argumente gibt. Die sind mit keinem Sondierungsergebnis irgendwie entkräftet worden, auch mit keinem …
May: Es geht nicht um Inhalte?
Mattheis: Doch! Es geht immer uns um Inhalte. Aber unsere grundsätzlichen Argumente sind eine andere inhaltliche Aufstellung, sind keine Kompromisslinien, die erfahrungsgemäß – und da haben wir als GroKo-Gegner den Vorteil, wir können auf Erfahrungen verweisen -, dass wir von einem Regierungsprogramm viele Abstriche machen mussten 2013 zu einem Koalitionsvertrag. Und dann von einem Koalitionsvertrag viele Abstriche machen mussten zur tatsächlichen Gesetzgebung. Dieses quasi Entschleifen oder Abschleifen, das hat uns zu einer Profillosigkeit geführt. Dem wollen wir entgegenwirken.
May: Das könnten Sie jetzt natürlich bei einer neuen GroKo vielleicht noch erreichen. Und viele würden auch sagen, Sie haben einiges erreicht, zum Beispiel Mindestlohn, Rente mit 63. Das sind klare sozialdemokratische Herzensanliegen. Viele würden sogar sagen, eigentlich war die Regierung Merkel, die Große Koalition viel sozialdemokratischer als die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder.
Mattheis: Wir haben immer gesagt, dass es klar ist, wir wollen eine klare SPD-Position wieder herausarbeiten. Wir wollen einen Erneuerungsprozess, der im Prinzip auch sozialdemokratisches Profil wiederbringt. Das hat sich gezeigt, dass die Wählerinnen und Wähler Große Koalitionen, die ja immer in einer Demokratie die Ausnahme sein sollten, weil sie zwei politische Lager zusammenbringt, im Prinzip dieses nicht zeigt, diese zwei politischen Lager. Das braucht aber im Prinzip auch die Öffentlichkeit, dass sie ein alternatives Politikkonzept hat. Das ist in einer Großen Koalition nicht sichtbar und es schärft den rechten Rand. Das zeigt sich ja. Dieses grundsätzliche Argument bleibt weiter bestehen und ich glaube, es ist wichtig, auch immer wieder zu sagen: Man darf den zweiten Punkt nicht außer Acht lassen, nämlich dass eine AfD Oppositionsführerin ist im Deutschen Bundestag, das ist etwas, was wir nicht tolerieren und akzeptieren können.
"Absturz, als es darum ging, Martin Schulz aus dem Wahlkampf NRW rauszuhalten"
May: Das sind jetzt die Argumente, die wir schon häufig gehört haben.
Mattheis: Ja, die bleiben bestehen!
May: Was ich aber immer nicht verstehe an dieser Argumentation, dass die SPD von der GroKo aufgezehrt wurde. Vor gut elf Monaten, auf dem Höhepunkt des Schulz-Hypes, den Sie angesprochen haben, da lag die SPD doch bei 33 Prozent. Da war eine Mehrheit der Deutschen bereit, die Kanzlerin abzuwählen, und die AfD war auch relativ schwach.
Mattheis: Genau!
May: Und da waren Sie schon drei Jahre lang in einer GroKo. Scheint es nicht, dass es eher daran lag, dass Sie im Wahlkampf auf die falschen Themen und auf die falschen Antworten gesetzt haben als an der GroKo?
Mattheis: Da liefern Sie mir ein wunderbares Stichwort. Vielen Dank dafür!
May: Da bin ich gespannt.
Mattheis: Weil dieser enorme Zuspruch hing damit zusammen, dass auf einmal eine Alternative zur Großen Koalition sichtbar wurde. Und ich fand es unglaublich befreiend, dass ein Martin Schulz auch gesagt hat, Leute, wir müssen auf zum Beispiel das Thema Hartz IV gucken; da gibt es viele Ungerechtigkeiten. Das war gekoppelt an inhaltliche quasi Zukunftspunkte.
May: Aber das geht ja ganz offensichtlich auch aus der GroKo heraus.
Mattheis: Das hat uns - wenn ich den Gedanken bitte zu Ende führen kann - im Prinzip diesen hohen Zuspruch gebracht. Und dieses alternative Politikangebot war es, was damals sichtbar wurde und wo wir auch in der Partei sehr befreit für unsere Punkte werben konnten.
May: Dann kam der Absturz, als die SPD im Saarland mit der Linkspartei geflirtet hat.
Mattheis: Stopp! Dann kam womöglich der Absturz, als es im Prinzip darum ging, Martin Schulz ein bisschen aus dem Wahlkampf NRW rauszuhalten. Es darum ging, im Prinzip auch Alternativen aufzuzeigen und zu sagen, wir brauchen ein linkes starkes Bündnis. Und dieses war mit Sicherheit auch unter wahltaktischen Gesichtspunkten ein enormer Fehler.
"Haben die Herausforderung, Korrekturen vergangener Politik vorzunehmen"
May: Häufig werden auch Vergleiche mit Europa bemüht und überhaupt mit der Situation der Sozialdemokraten auf der ganzen Welt. Die Sozialisten in Frankeich zum Beispiel, die sind ganz ohne GroKo auf acht Prozent gestürzt – in Tschechien übrigens auch.
Mattheis: Ja, aber genau wegen dieser Profillosigkeit. Ich sage nicht, dass nur eine Große Koalition den Absturz der sozialdemokratischen Schwesterparteien gebracht hat oder unseren Absturz bringt. Sondern da sind natürlich auch Komponenten einer Politik, die davor uns maßgeblich in der Öffentlichkeit gezeigt haben, maßgeblich beteiligt oder verantwortlich. Denn in einem Erneuerungsprozess haben wir ja auch die Herausforderung, durchaus Korrekturen vergangener Politik vorzunehmen und sich wieder zu vergewissern, was wollen wir als Sozialdemokraten erreichen und wie wollen wir es glaubhaft umsetzen. Glaubwürdigkeit alleine auf die Große Koalition im Prinzip zu fokussieren, fänd' ich auch nicht richtig. Das zeigen Ihre Beispiele in Frankreich, zeigen andere Beispiele aus Griechenland. Aber überall da, wo es klare sozialdemokratische Politik gibt, wie zum Beispiel in Großbritannien oder wie in Portugal, da erreichen die sozialdemokratischen Schwesterparteien einen enormen Aufschwung.
May: Aber in Frankreich ist Macron Präsident geworden, auch einer aus dem sozialdemokratischen Lager, der sich in die Mitte orientiert hat.
Mattheis: Das würde ich jetzt gar nicht so definieren, dass er aus einem sozialdemokratischen Lager sozialdemokratische Politik vertritt. Da könnte man trefflich drüber diskutieren. Es ist ein alternatives Politikangebot, das da den Sieg errungen hat.
May: Wir diskutieren an anderer Stelle weiter. Jetzt müssen wir leider Schluss machen mit Blick auf die Uhr. Vielen Dank Hilde Mattheis, Parteilinke und GroKo-Gegnerin und Bundestagsabgeordnete für die SPD aus Ulm.
Mattheis: Einen schönen Tag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.