Sarah Zerback: Herbe Verluste in Europa, in ganz Deutschland zum ersten Mal auf Platz drei gerutscht, hinter die Grünen, und Bremen an die CDU verloren. Das verschärft den Unmut in der SPD noch mal, auch an der Frau an der Spitze, an Andrea Nahles. Die hat darauf gestern Abend reagiert und ist in die Offensive gegangen. Sie stellt ihr Amt als Fraktionsvorsitzende, nicht als Parteichefin zur Neuwahl, und das schon am nächsten Montag statt wie geplant im September.
Das ist unser Thema jetzt mit Hilde Mattheis. Sie sitzt für die SPD im Bundestag als Sprecherin des linken Flügels ihrer Partei. Guten Morgen, Frau Mattheis!
Hilde Mattheis: Guten Morgen.
Zerback: Werden Sie Frau Nahles am Montag den Rücken stärken?
Mattheis: Ich glaube, dass es richtig ist, dass Andrea Nahles vor der Sommerpause diese Wahl auch durchführen will, um selber und auch für die Fraktion - es geht ja nicht um die Partei, sondern in erster Linie um die Fraktion - Klarheit zu haben. Von daher finde ich den Schritt richtig. Es hat mich allerdings auch ein bisschen überrascht, dass jetzt eine Personaldebatte alles andere überlagert wieder, weil ich glaube, wir brauchen eine inhaltliche Debatte und ausgehend von einer inhaltlichen Debatte müssen wir dann über Personen abstimmen.
"Wichtiger Inhalte festzulegen"
Zerback: Aber, Frau Mattheis, jetzt sind Sie schon so lang im Geschäft. Dass Sie das noch überrascht, dass eine Personaldebatte in der SPD schadet?
Mattheis: Da haben Sie recht. Ich bin sehr lange schon in der SPD, und glaube aber trotzdem daran, dass man wichtiger Inhalte festlegen muss, die dann von Personen vertreten werden. Ich glaube, das werde ich mir auch nicht nehmen lassen, dass es so herum gehen muss und nicht anders herum, weil einfach nur eine Personenrochade hinzulegen, löst unsere Probleme nicht.
Zerback: Jetzt haben Sie gesagt, Sie finden es aber an sich gar nicht schlecht, dass Andrea Nahles da jetzt das auf ihre …
Mattheis: Darf ich Sie kurz unterbrechen? Ja, weil die Debatte einfach sich aufgedrängt hat. Und ich meine, über die Sommerpause, wenn alle in ihren Wahlkreisen sind, ist das natürlich, sage ich mal, unschön, wenn man dann aus der Ferne irgendwelche Personalgeschichten mitbekommt. Deswegen kann ich das nachvollziehen, dass Andrea Nahles diese Entscheidung vor der Sommerpause sucht.
Zerback: Kann man sagen, es ist ganz schön couragiert, dass sie ihre Kritiker und Kritikerinnen vielleicht auch dazu auffordert, da jetzt mal mit offenem Visier zu kämpfen? Was hat sie denn falsch gemacht, die Frau Nahles?
Mattheis: Erst mal: Sie ist eine erfahrene Politikerin und kennt natürlich alle Höhen und Tiefen, und von daher, denke ich mal, kann ich ihre Einschätzung absolut nachvollziehen. Was sie falsch gemacht hat? – Ich glaube, das lässt sich in einem Punkt und mit einer Person nicht erläutern, sondern mein Thema ist an dieser Stelle, dass hier von vornherein alle Argumente, die gegen eine Große Koalition gesprochen haben, sich dummerweise bewahrheiten. Manchmal will man ja auch nicht recht behalten oder rechthaberisch erscheinen, aber die Argumente werden jetzt wieder aufgetischt und sind nachvollziehbar, meines Erachtens.
"Gerüchte wären jetzt völlig daneben"
Zerback: Jetzt ist trotzdem die Frage – ich oder wir beide kommen heute Morgen nicht darum herum -, warum dafür denn jetzt Andrea Nahles die Konsequenzen ziehen muss. Da haben wir Sigmar Gabriel noch im Ohr, der hat in der letzten Woche gesagt, ein Putsch, der in der Zeitung steht, der findet in der Regel nicht statt. Lag er da falsch?
Mattheis: Er könnte recht haben.
Zerback: Also es wurde geputscht?
Mattheis: Nein! – Nein, das will ich damit - - Um Gottes Willen, bitte keine Gerüchte in die Welt setzen. Das wäre jetzt völlig daneben.
Zerback: Nein, ist eine Frage!
Mattheis: Ich glaube – und das war ja auch in der Presse mehrfach zu lesen -, dass es da durchaus Überlegungen von anderer Seite gibt. Jetzt will ich mich auch nicht an Spekulationen beteiligen. Das ist in Parteien so. Das gehört offensichtlich zu den Machtgefügen und Machtkonstellationen dazu. Ich glaube allerdings, dass mit offenem Visier wir sehr viel mehr für eine Partei tun können, als das irgendwie über Presse zu lancieren. Das will offensichtlich …
Zerback: Jetzt muss ich Sie mal ganz kurz unterbrechen, Frau Mattheis. Entschuldigung! Sie sind ja ganz nah in Ihrer Partei dran. Wer ist denn in der SPD, der sie von der Fraktionsspitze weg haben will?
Mattheis: Die Protagonisten sind mehrfach in der Presse genannt worden. Das will ich jetzt hier gar nicht wiederholen. Aber ich glaube, dass es richtig ist, …
"Klarheit vor der Sommerpause ist richtig"
Zerback: Also Martin Schulz, der es noch mal selber wissen will?
Mattheis: Ich glaube, dass es richtig ist, dass diese Klarheit vor der Sommerpause entsteht, oder für Andrea Nahles geschaffen werden sollte. Von daher kann ich das absolut nachvollziehen, dass sie da den Zeitplan für sich anders gestaltet.
Zerback: So versucht sie, es natürlich jetzt auch zu kommunizieren. Aber da kann man ja vielleicht auch schon mal auf den Gedanken kommen, dass das einfach nur eine Reaktion ist auf den extremen Gegenwind, der ihr aus der eigenen Partei entgegenbläst. Vielleicht hilft das ja auch nichts, wenn immer wieder aus dem Off gestänkert wird.
Mattheis: Ja. Ich finde, mit offenem Visier sollte man das angehen. Da bemüht sich die DL21 drum und deswegen sagen wir auch, Personen folgen Inhalten. Von daher ist das für uns natürlich vorrangig eine Sache, die eine Parteiaufstellung erfordert und eine inhaltliche Neuorientierung der Partei erfordert. Das was da in der Fraktion abgeht, ist natürlich ein Nebenkriegsschauplatz, meines Erachtens, weil es eigentlich darum geht, wie stellt sich die SPD in der Zukunft auf, wollen wir weiter im Prinzip diese Wahlniederlagen einfahren und hoffen, dass es irgendwann mal besser wird, oder werden wir aktiv und sagen, wir brauchen wirklich eine Neujustierung unserer Politik. Fraktion ist ein Teil davon – natürlich!
Zerback: Dann lassen Sie uns da doch mal konkret werden, Frau Mattheis. Sie sind ja – wir haben es auch gerade schon herausgehört – GroKo-Kritikerin der ersten Stunde. Jetzt will die SPD im Dezember ja GroKo-Bilanz ziehen. Was ist denn für Sie jetzt das Minimum, um mit dieser Koalition noch zwei Jahre weiterzumachen? Ist überhaupt noch irgendwo ein Szenario, was Sie mittragen würden?
Mattheis: Ich glaube von Anfang an, dass die Große Koalition, einfach dieses Vermischen von zwei gegebenen unterschiedlichen politischen Lagern auch für die Demokratie nicht gut und zuträglich ist und auch extreme Pole in einer Demokratie dann zum Erstarken bringen. Das war unser ursprüngliches Argument und das hat sich bestätigt. Ich glaube einfach, dass es wichtig ist für die SPD, wenn sie erkennbar sein will - und dafür kämpfen wir ja alle -, sich auch klar im Prinzip gegen den anderen großen Vertreter zu positionieren, …
"Schwierig, wenn ständig diese beiden Pole vermischen"
Zerback: Der da heißt?
Mattheis: Ja! Das ist natürlich das rechte Spektrum, das rechte Parteienspektrum. Dazu gehört die andere große noch Volkspartei, so wie wir zum linken Spektrum gezählt werden als noch linke Volkspartei. Von daher ist das, glaube ich, für die Demokratie auch eine schwierige Situation, wenn in dieser Abfolge ständig in großen Koalitionen diese beiden Pole vermischen, und da erstarkt ein politischer Block, der im Prinzip nicht unbedingt demokratiefördernd ist, sondern der eher unverträglich ist.
Zerback: Ich wollte unbedingt noch auf einen Punkt heraus, weil der drängt sich so auf. Man hat ja manchmal schon das Gefühl, da sitzt für die SPD der Feind gar nicht unbedingt außerhalb der Partei, sondern wirklich in den eigenen Reihen. Sie stellen da auch immer wieder die Bundesumweltministerin nicht gerade gestärkt dar. Vielleicht könnte Svenja Schulze ihre Projekte zum wichtigen Thema Klimaschutz, was ja jetzt alle auch gerade noch mal rund um die Wahl als solches identifiziert haben, besser umsetzen, wenn ihre eigene Partei ihr da nicht in den Rücken fallen würde.
Mattheis: Ich habe jetzt nicht erlebt, dass die eigene Partei ihr in den Rücken fällt. Aber wir als SPD, wir diskutieren natürlich innerparteilich, und das muss auch so sein.
Zerback: Aber das ständige entweder/oder von Sigmar Gabriel zum Beispiel, Andrea Nahles sprach von einer Blutgrätsche gegen Braunkohle, das ist jetzt nicht gerade eine Unterstützung.
Mattheis: Das ist natürlich die Art und Weise, der Stil. Deswegen glaube ich, dass man durchaus konträr diskutieren sollte und muss in einer Partei wie der SPD, aber das mit offenem Visier zu machen, und darum bemühen wir uns als DL21 sehr. Deswegen: Wir gehen von Inhalten aus und wir wollen klare links orientierte Inhalte, die dann von Personen vertreten werden, die das auch überzeugend tun können.
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