Jasper Barenberg: Getrennte Sitzungen von CDU und CSU im Bundestag, Attacken auf Angela Merkel, ein Ultimatum, und die Ankündigung, am Montag im Umgang mit Flüchtlingen an der Grenze eine Entscheidung, auch gegen den erklärten Willen der Kanzlerin, zu fällen – was die Union seit Tagen liefert, ist eine beispiellose Zuspitzung ihres sehr alten Streits. Als ein Endspiel beschreiben das die politischen Beobachter in Berlin, als einen Showdown. Nicht ausgeschlossen, dass die Kanzlerin am Ende den Innenminister entlässt, um daraufhin selbst zu stürzen.
Am Telefon ist die SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, schönen guten Morgen!
Hilde Mattheis: Guten Morgen!
Barenberg: Frau Mattheis, von der SPD war jetzt in diesem zugegeben kurzen Bericht von Jörg Seisselberg nicht die Rede, aber ist es nicht bezeichnend, sind die Sozialdemokraten in diesem Konflikt in diesen Tagen tatsächlich nur Zaungast?
Mattheis: Ich bitte Sie, ich meine, das ist jetzt erst mal ein heftiger Konflikt zwischen den Unionsparteien und Fraktionen, und von daher glaube ich, ist das jetzt nicht unsere Aufgabe, das zu kommentieren beziehungsweise sich da einzubringen.
Ich finde, das muss jetzt erst mal unter den beiden Unionsparteien und Fraktionen geklärt werden. Wir haben eine klare Haltung, die uns als Linke ziemlich schmerzt, weil im Koalitionsvertrag natürlich auch Dinge drinstehen, die wir gerne nicht vertreten würden. Von daher ist das unsere Grundlage für alle weiteren Gespräche.
Barenberg: Ich habe das jetzt noch nicht richtig verstanden. Sie sagen, das muss jetzt erst mal die Union klären, das ist ja auch das, was wir aus der SPD die Tage vor allem hören. Auf der anderen Seite sagen Sie, Sie haben eine klare Haltung, aber Sie bringen diese Haltung in die Debatte im Moment, wenn ich das richtig wahrnehme, ja nicht ein. Insofern geben Sie sich als unbeteiligt in einer Situation, in der die Koalition auf dem Spiel steht. Kann das gut sein?
Mattheis: Also ich habe die Fraktionsspitze nicht so verstanden, dass sie sich nicht einbringt, sondern dass sie sich im Prinzip auf das bezieht, was im Koalitionsvertrag steht, und ich habe als parlamentarisch Linke oder als Vorsitzende der DL21 natürlich auch mit diesen Themen im Koalitionsvertrag durchaus auch Kritikpunkte anzubringen, aber ich finde es richtig, sich jetzt erst mal auf diesen Koalitionsvertrag zu beziehen und zu sagen, der Konflikt geht ja weit darüber hinaus, denn eine Verschärfung dessen, was wir vereinbart haben und auch Herr Seehofer unterschrieben hat, ist jetzt das Thema, das auf der Tagesordnung steht, und das müssen die beiden Unionsparteien und Fraktionen jetzt erst mal klären.
Barenberg: Also Sie sehen das, was zumindest diskutiert wird, was der Innenminister plant mit Blick auf Zurückweisung an der Grenze, das sehen Sie als einen Bruch des Koalitionsvertrags.
Mattheis: Aber ich bitte Sie, natürlich, das ist in keinster Weise Thema gewesen, und das ist in meinen Augen jetzt erst mal von Anfang an eine sehr taktische Variante gewesen, weil die Landtagswahl in Bayern – auch das ist rauf und runter kommentiert in der Presse – setzt die CSU unter einen starken Zugzwang, und ich finde aber, dass solche Themen nicht unter taktischen Variationen und taktischen Rangehensweisen aufgegriffen werden dürfen, um damit dann im Prinzip einem rechten Lager, einer FDP zu versuchen, das Wasser abzugraben. Ich halte das für ein unter Demokratiegesichtspunkten sehr schwieriges Vorgehen, und das muss Herr Seehofer eigentlich, und dann auch Herr Söder in Bayern, noch mal ein Stück weit besser erklären.
"Ich halte das wirklich für vorgeschobene Argumente"
Barenberg: Nun argumentiert ja sowohl Herr Söder in Bayer, der Ministerpräsident, als auch der Innenminister Seehofer in Berlin, dass es der CSU natürlich ausschließlich um die Sache geht, um den Auftrag nämlich, die Zuwanderung zu ordnen und zu steuern. Wo überschreitet das, was er plant, denn das, was Sie im Koalitionsvertrag mit der Union verabredet haben?
Mattheis: Da ist ganz klar, dass wir auf eine europäische Lösung setzen. Ich glaube, dass Herr Söder und Herr Seehofer das ein Stück weit, sage ich mal, in eine Richtung argumentieren, die so nicht zutrifft, denn steuern - von Anfang an hatten wir einen Innenminister, auch in der letzten Legislaturperiode, der offensichtlich in bestimmten Bereichen schlicht und ergreifend nicht in der Lage war zu steuern.
Jetzt hat die CSU einen Innenminister, und ich meine, auch der ist auf der Grundlage eines Koalitionsvertrages. Durchaus müsste er in der Lage sein zu steuern und im Prinzip das umzusetzen, was vereinbart ist. Ich halte das wirklich für vorgeschobene Argumente, um im Prinzip in Bayern eine Situation aufzugreifen, die sie selber herbeiführen mit einer solchen Debatte. Das ist ja das Perfide, dass man eine Situation, die eigentlich gar nicht existiert, herbeiführt durch eine hochgezogene Debatte, um, sage ich mal, ein Thema, das einen bestimmten Rand in der Gesellschaft bedienen möchte -, das ist das Gefährliche, und das ist etwas, was auch eine Große Koalition sich nicht leisten darf.
Barenberg: Sie sind also, so verstehe ich Sie jedenfalls, ganz klar und sehr strikt dagegen, in irgendeiner Form Flüchtlinge, Asylsuchende an der Grenze abzuweisen.
Mattheis: Also wenn Sie mich so fragen, ist das erstens eine europäische Lösung, die immer vereinbart war, zweitens ist das nicht die Grundlage, die wir gelegt haben mit dem Koalitionsvertrag, und drittens ist das ein Thema, wo ich glaube, dass wir mit anderen Regelung durchaus eine Steuerung und eine, sage ich mal, auch, was wir mit Familienzusammenführung jetzt verabschiedet haben, andere gesetzliche Grundlage.
"Jeder ist in Verantwortung"
Barenberg: Wenn Sie das so strikt ablehnen, Frau Mattheis, und gar nicht erst darüber diskutieren wollen sozusagen, was sagen Sie dann, wenn die Kanzlerin anbietet, jetzt Vereinbarungen zu treffen mit einzelnen Ländern – Italien beispielsweise, Griechenland –, um genau das doch zu erreichen, dass man Flüchtlinge, die aus diesen Ländern, über diese Länder nach Deutschland kommen, dann wieder zurückschickt in die ursprünglichen Länder, in denen sie zunächst registriert worden sind? Also in irgendeiner Form wird das ja auf Sie zukommen.
Mattheis: Ja, das ist richtig, aber ich glaube, es geht darum, auch in einer gesamteuropäischen Situation, sage ich mal, eine klare europäische Haltung, die schlichtweg auch von einem humanitären Gedanken getragen ist, zu vereinbaren, und dass Griechenland, dass Italien im Prinzip da auch eine, sage ich mal, Unterstützung brauchen, hat sich ja in den letzten Jahren durchaus bewiesen und diese auch Bereitschaft, andere europäische Staaten mit einzubeziehen in ein Gesamtkonzept, müssen andere europäische Staaten dann eben auch bringen. Ich glaube, das ist ein wichtiger Grundsatz und auch eine Grundlage einer europäischen Lösung, die da heißen muss, jeder ist in Verantwortung. Die Verantwortung können wir nicht Griechenland, Italien, Spanien im Prinzip, die als Länder auch zuerst angesteuert werden, überlassen. Das ist, glaube ich, in einem Gesamtkontext das, was wir auch in den letzten Jahren immer wieder diskutiert haben – Dublin II ist eine Situation, die man wirklich mit Fragezeichen versehen muss.
"Jede Art der Verschärfung kann man nicht hinnehmen"
Barenberg: Nun ist es ja genau so, dass wir eben seit drei Jahren darüber diskutieren, dass seit fast drei Jahren politisch versucht wird, auf europäischer Ebene eine solche Regelung, eine solche Vereinbarung der Partner hinzukriegen und dass das nicht gelungen ist. Was gibt Ihnen die Hoffnung, die Zuversicht, dass das jetzt noch gelingen könnte, und zwar in kurzer Zeit?
Mattheis: Aber im Umkehrschluss darf man doch dann nicht sagen, dann machen wir eben auch unsere Grenzen komplett dicht, weil ich beziehe das noch mal auf den Familiennachzug. Das würde auch alle betreffen, die versuchen, hier zu ihren Familien zu kommen. Also ich bitte Sie, das ist doch eine Geschichte, die muss man doch gesamteuropäisch lösen. Von daher glaube ich, darf man da keine Bemühungen schleifen lassen oder nicht tätigen, sondern da muss man die Bemühungen auch erhöhen, und ich meine, Frankreich, Deutschland sind eine starke Achse, und diese Achse muss man dazu auch nutzen, so etwas in Europa auch miteinander zu vereinbaren.
Barenberg: Und das ist auch das, was Ihre Fraktionsvorsitzende und Parteichefin Andrea Nahles meint, wenn sie sagt, die SPD sei bereit zu pragmatischen und sachlichen Lösungen.
Mattheis: Ich gehe mal davon aus.
Barenberg: Wenn jetzt die CSU am Montag ernst macht und tut, was sie angekündigt hat und wozu sie ihren Innenminister Horst Seehofer ermuntert, man könnte auch sagen: ermahnt, nämlich diese Entscheidung in eigener Verantwortung zu treffen, die Bundespolizei anzuweisen oder Vorbereitungen zu treffen, Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen, kann die SPD dann diese Koalition noch mittragen?
Mattheis: Also das werden wir sicherlich in der Fraktion und vor allen Dingen auch in der Partei dann diskutieren müssen. Ich finde, jede Art der Verschärfung kann man nicht hinnehmen, und da muss man auch die Kanzlerin so stützen, dass klar ist, dass wir auf der Grundlage des Koalitionsvertrags unsere Arbeit tun wollen und in dieser Konstellation, die als Mehrheit ja von der SPD gewollt wurde – nicht von mir, nicht von anderen, vielen anderen Linken in der Partei –, aber jetzt darauf zu pochen, halte ich für die richtige Lösung, und ich finde, da darf man dann auch nicht im Prinzip irgendwelchen Kräften, die, sage ich mal, andere politische Ziele damit verfolgen, nachgeben.
"Man muss jetzt erstmal alles tun, um diese Koalition zu stützen"
Barenberg: Also ich verstehe Sie so, die SPD kann dann eigentlich die Koalition nicht mehr mittragen in dem Fall.
Mattheis: Das haben Sie falsch verstanden. Ich glaube, man muss jetzt erst mal alles tun, um diese Koalition auch weiter zu stützen, weil ich habe nicht den Eindruck, dass in der Situation man denen nachgeben darf, die ein anderes Land wollen, nämlich einen Ruck nach rechts wollen.
"Ein unsägliches Spiel mit dem Feuer"
Barenberg: Aber geschieht das nicht jetzt schon oder anders gesagt: Untergräbt die CSU nicht jetzt schon die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin, indem sie sich offen gegen das stellt, was die Kanzlerin für richtig hält?
Mattheis: Da haben Sie recht, da haben Sie recht. Ich finde auch, das ist ein unsägliches Spiel mit dem Feuer.
Barenberg: Und das hat aber zunächst mal jetzt für den Moment keine Konsequenzen, sondern Sie treffen sich im Präsidium am Montagabend, wenn ich das richtig gehört habe, und dann schauen Sie noch mal drauf, aber bis dahin bleiben Sie in Ihrer Zuschauerrolle.
Mattheis: Ich glaube, die Verantwortung liegt jetzt erst mal bei den Unionsparteien. Das ist ein unsägliches Spiel, was die zwei damit verfolgen. Das ist ein Machtgerangel zulasten der Demokratie, und ich finde, da muss man jetzt wirklich alles auch von gesellschaftlichen Kräften her, auch von uns, tun, damit klar ist, dem darf nicht nachgegeben werden. Ich finde, die CSU hat da wirklich, sage ich mal, eine große Verantwortung, und die sollten sich echt besinnen, weil dieses Kräftespiel, das da passiert – und das ist wirklich ein Kräftespiel auch von alten Männern –, das ist unsäglich, und ich finde, da muss man denen in Bayern einfach sagen, Leute, ihr lebt nicht in einer abgeschotteten Welt, und ihr dürft hier nicht aufgrund von Landtagswahlen und Umfragewerten etwas aufs Spiel setzen, was diese Demokratie und diesen Staat trägt.
Barenberg: Frau Mattheis, zum Schluss: In welchem Zustand ist die Koalition heute an diesem Samstag?
Mattheis: Ich bin Ulm, das weiß ich nicht, was in Berlin passiert. Ich denke mal, dass wir alle miteinander jetzt da auch einen kühlen Kopf bewahren müssen und hoffe sehr, dass, wie gesagt, die CSU auch bereit ist, andere Argumente zuzulassen.
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