Bekannt ist die Ordensfrau aus dem 12. Jahrhundert, Hildegard von Bingen, bis heute – nicht nur in Kirchenkreisen. Nach ihr gefragt, heißt es etwa: "Da fällt mir ein: Kräuter – Eine Naturheilpraktikerin, glaub ich" - "Ja, gesundes Leben, würd‘ ich mal sagen" – "Kräuter, Naturheilkunde, Kräuterspezialistin." - Es gibt Hildegard-Kochbücher und Backrezepte, Hildegard-Musik zur Meditation, Fastenkuren und Edelsteintherapien.
„Die Popularität in den letzten Jahrzehnten war groß, aber es war auch von ihrem Gesamtbild her ein stückweit bedenklich, so auf die eigentlich nebensächlichen Dinge abzuheben“, mahnte Kardinal Lehmann, der Bischof von Mainz, als Hildegard von Bingen am 7. Oktober 2012 zur „Kirchenlehrerin“ erhoben wurde und damit als vierte Frau diesen höchsten Ehrentitel der katholischen Kirche erhielt.
"Eine leidenschaftliche Fähigkeit, die Zeichen der Zeit zu unterscheiden."
Beim Festakt prangte ihr Bild an der Fassade des Petersdoms, berichtete Rom-Korrespondent Tilmann Kleinjung, und Papst Benedikt XVI. lobte die heilige Hildegard als „Frau von anerkannter geistlicher Autorität“.
"Der Herr schenkte ihr einen prophetischen Geist und eine leidenschaftliche Fähigkeit, die Zeichen der Zeit zu unterscheiden. Hildegard besaß eine ausgeprägte Liebe zur Schöpfung und beschäftigte sich mit Medizin, Dichtung und Musik.“
"Scivias"- Hildegards Sammlung von Visionen und Auditionen
Hildegard, 1098 im rheinhessischen Bermersheim als zehntes Kind eines kleinen Landadeligen geboren, wird bereits mit acht Jahren in das Benediktinerkloster Disibodenberg gegeben. Mit 14 entschließt sie sich zum Eintritt in die dortige Schwesterngemeinschaft und erhält eine für Frauen damals ungewöhnliche Bildung. Für besonderes Aufsehen sorgt sie mit ihrer theologischen Schrift „Scivias – Wisse die Wege“. Eine Sammlung von Visionen und Auditionen, die sie direkt von Gott erhalten habe:
„Da kam aus dem geöffneten Himmel ein feuriges Licht von gewaltigem Glanz; Und sogleich erlangte ich die Einsicht in die Auslegung der Bücher, des Psalters, des Evangeliums und der anderen katholischen Bücher.“
Eigenes Kloster - Rupertsberg gegründet
Solches Reden konnte äußerst gefährlich sein, zumal für eine Frau, und zum Vorwurf der Hexerei führen. Aber offenbar ist es Hildegard gelungen, von Papst Eugen III. persönlich im Jahr 1147 eine offizielle Bestätigung ihrer prophetischen Gabe zu erhalten.
Neben ihren theologischen Schriften verfasst Hildegard zahlreiche Gedichte und komponiert. 1150 schließlich gründet die Benediktinerin ein eigenes Kloster: Rupertsberg bei Bingen. Ihre hier entstandenen heilkundlichen Schriften „Physica“, Naturkunde, und „Causae et Curae“, über Ursachen und Behandlungen einzelner Krankheiten, gehören zu den bedeutenden Dokumenten mittelalterlicher Medizingeschichte, sagt Professor Bernhard Uehleke von der Würzburger Forschungsgruppe Klostermedizin.
Zwischen wegweisender Naturheilkunde und Aberglaube
„Das Christentum hatte sich ja denn doch entschieden, dass man nicht die Krankheit als Strafe Gottes nur beobachtend sieht, sondern dass man hilft, und insofern gab es die Säle, wo behandelt wurde, und es gab aber eben auch schon die Klosterapotheke, und die Klosterapotheke hat dazu auch einen eigenen Klostergarten gehabt und dort wurden dann auch Heilpflanzen angebaut.“
Vor allem ihre genauen Pflanzen-, Kräuter- und Gewürzbeschreibungen liefern wichtige Grundlagen für die Phytotherapie heute. Aber neben hilfreichen Kräuterzubereitungen und nützlichen Verhaltensregeln für ein gesundes Leben in Balance, gibt es bei Hildegard auch ganz schauderhafte, tief im mittelalterlichen Aberglauben verhaftete Ratschläge:
"Wenn jemand an Gelbsucht leidet, so soll er die Fledermaus vorsichtig aufspießen, dass sie am Leben bleibt, und sie dann mit ihrem Rücken auf seinen binden.“
Hildegard als starke Marke
Die kritische Betrachtung der „Hildegard-Medizin“ hat der Vermarktung einzelner leichtgängiger Teile ihres Werkes keinen Abbruch getan; und die Erhebung der Ordensfrau zur „Kirchenlehrerin“ unterstützte das noch. Sehr zum Leidwesen derer, die sich davon endlich eine Würdigung Hildegard von Bingens als universal gelehrte Frau erhofft hatten, wie die Benediktinerin Philippa Rath von der St.-Hildegard-Abtei Rüdesheim-Eibingen: "Ich kann das Musikalische schauen, das Naturheilkundliche, das Theologische, das Philosophische, aber das ist eben unsere Aufgabe, die Ganzheit Hildegards nicht auseinanderfallen zu lassen.“