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Hilfe aus dem Norden

Weder die italienische Regierung unter Silvio Berlusconi, weder die Region Kampanien noch Neapel selbst haben es bislang geschafft, das Müllchaos in den Griff zu bekommen. Da kommt ein Hilfsangebot aus dem Norden Europas gerade recht. In Norwegen scheint der Unrat mehr als willkommen zu sein.

Von Marc-Christoph Wagner | 02.12.2010
    Es ist kalt in Oslo dieser Tage, der Wind bläst den Menschen eisig ins Gesicht. Mit Erleichterung liest man da, was in großen rot-blauen Buchstaben an der städtischen Verbrennungsanlage geschrieben steht: Abfall wird zu Licht und Wärme!

    "Ja, es hat Gespräche zwischen der Osloer Kommune und Neapel gegeben. Es ist im Interesse aller, dass Oslo seine Müllverbrennungsanlagen füllt."

    Jannicke Gerner Bjerkås, Sprecherin des Osloer Energiedezernats, bestätigt also, dass das norwegische Interesse am Neapler Müll mehr ist, als eine vorweihnachtliche Sage. Schon in diesem Winter sollen die ersten Schiffe von Italien in den hohen Norden fahren. Auf Jahresbasis wollen Norwegen und Schweden zusammen etwa eine Million Tonnen Hausmüll für die Neapolitaner entsorgen und sollen dafür etwa 90 Millionen Euro kassieren. Überraschenderweise begrüßt selbst der norwegische Naturschutzbund und dessen Leiter Lars Haltbrekken dieses Projekt:

    "Es ist richtig, dass wir den Neapolitanern aus ihrer misslichen Situation heraushelfen. Diese Müllberge sind eine erhebliche Belastung für die Umwelt. Wenn der Müll verwest, dann entsteht sehr viel Methan – und dieses starke Treibhausgas wiederum belastet das Klima. Insofern ist es gut, wenn wir diesen Müll hier bei uns verbrennen und diesen in Energie umwandeln."

    Und auch der Transport des Mülls vom Süden in den Norden würde sich vor diesem Hintergrund rechnen, sagt Neil Grimstone, Chef von Brandeis Energy, dem Unternehmen also, das mit dem Müllgeschäft beauftragt werden soll. Denn viele der involvierten Schiffe würden im Moment skandinavische Waren nach Italien transportieren, dann aber nahezu leer in die Heimat zurückkehren:

    "Der Norden braucht Müll, um seine städtischen Heizkraftwerke zu befeuern. Und selbst inklusive Transport ist unser Projekt klimatechnisch sehr viel besser, als eine Entsorgung in Italien."

    Doch auf dem Spiel stehen nicht allein große Mengen Abfall, sondern auch große Summen Geld. 500 Millionen Euro will allein die Europäische Union bereitstellen, um die Müllkrise Neapels zu beseitigen. Geld, so befürchtet nicht zuletzt die italienisch-norwegische Mafiaexpertin Mariangela Cacace, das schnell in falsche Hände geraten könnte:

    "Es ist doch so: Die Mafia und die italienischen Politiker sind abhängig voneinander. Die Mafia setzt die Politiker unter Druck, wenn ihre Unternehmen sich an öffentlichen Bieterverfahren beteiligen. Und oftmals sind es dann just diese Unternehmen, die die Aufträge auch erhalten. Andererseits brauchen die Politiker den Einfluss der Camorra, um die eigene Machtposition zu bewahren."

    Dass die Mafia am skandinavischen Müllgeschäft beteiligt sein und hochgiftigen Abfall von ihren eigenen Deponien mit in den hohen Norden schicken könnte, weist der Leiter der Müllentsorgung Neapels, Claudio Cicatiello, entschieden zurück. Gegenüber dem schwedischen Fernsehsender SVT sagt er:

    "Nur öffentliche Unternehmen und lokale Behörden sind an dem Geschäft beteiligt. Mein eigenes Unternehmen ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Stadt Neapel."

    Doch Mariangela Cacace bleibt skeptisch. Vielleicht gehe es im Moment tatsächlich nur um Hausmüll, vielleicht auch nur darum, dass der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi sich als Mann des Handelns beweisen wolle, der die Neapolitaner von ihren Müllsorgen befreit. Auf Dauer aber, so die italienisch-norwegische Mafiaexpertin, sei Vorsicht vor dem Müll aus dem Süden geboten:

    "Die Politiker und die Mafia sind zwei sehr starke Machtfaktoren. Sie können sich gegenseitig bekriegen oder miteinander kooperieren. Und bisher haben sie noch immer kooperiert."

    Abfall wird zu Licht und Wärme. Die fröstelnden Norweger hoffen, dass es bei diesem Slogan ihres Energieunternehmens bleibt. Und nicht, dass der italienische Müll am Ende die heimische Atmosphäre vergiftet.