Wer kein Geld von den Eltern bekommt und nur wenig oder gar kein BAföG, der nutzt als Studierender gern Nebenjobs, um sich über Wasser zu halten. Problem jetzt: Alle Geschäfte und Freizeiteinrichtungen, die nicht der Grundversorgung dienen, sind gerade dicht, und damit fallen besagte Nebenjobs weg – also etwa im Restaurant, auf der Messe oder im Theater. Jetzt hat der Bund – genauer Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, Unterstützung in Aussicht gestellt für diese Studierenden. Die Rede ist zum Beispiel davon, die Regelungen zu lockern, damit auch Studierende Hartz IV bekommen können. Bislang mussten sie dafür ihr Studium unterbrechen. Wir haben mit Nicole Gohlke, Bildungspolitikerin der Linken, darüber gesprochen.
Agieren des BMBF "ziemlich befremdlich"
Stephanie Gebert: Sie sagen, das ist zwar schön und gut, aber viel zu kompliziert. Warum aber nicht die Systeme nutzen, die schon vorhanden sind, in diesem Fall Hartz IV, und die Regeln so lockern, dass es in die Lebenswelt der Studierenden passt?
Gohlke: Die sogenannten Härtefalldarlehen, die es im Hartz-IV-System gibt, bieten ja keinesfalls eine Garantie für die Antragstellenden, auch nicht für die Studierenden, die jetzt Anträge stellen können, und es gibt eben nach wie vor hohe Hürden bei der Beantragung von so einem Härtefalldarlehen. Zum Beispiel muss man erst mal nachweisen, dass wirklich das gesamte Vermögen aufgebraucht ist – auch das ist nicht eine Sache von wenigen Tagen –, und das größte Problem ist, dass die Härtefalldarlehen zurückgezahlt werden müssen. Ich halte das für keine besonders realitätsnahe Regelung und meine, wir müssten vor allem darüber sprechen, wie man das BAföG wieder zu einer existenzsichernden Förderung aufbauen kann und wie eine Notfallhilfe für Studierende in der jetzigen Situation aussehen kann.
Gebert: Sie haben jetzt gerade angesprochen, dass das Wichtigste ist die Frage der Rückzahlung, aber nichts anderes ist es ja beim BAföG, da muss ich auch nach einer Weile zum Teil zurückzahlen.
Gohlke: Das kritisieren wir als Linke natürlich auch schon länger, weil wir wissen, dass das BAföG als Darlehenssystem vor allem eben Studierende sozusagen belastet, die aus sozial schwierigen Verhältnissen kommen, und weil wir auch wissen, dass die Zukunftsperspektiven, die auch viele Studierende heute nach Beendigung ihres Studiums erfahren, keineswegs so sind, dass man sagen kann, man kann sich verlassen auf unbefristete und auskömmliche Jobs.
Notfall- und Soforthilfen auch für Studierende
Gebert: Jetzt hat aber die Bundesregierung anders als die Linke, aber immerhin, jetzt in der Corona-Krise auch die Regeln fürs BAföG gelockert. Wer im Gesundheitssystem zum Beispiel jetzt jobbt, im Sozialwesen oder etwa in der Landwirtschaft, dem wird das nicht auf die Förderung angerechnet. Ist das nicht eine faire Lösung, die da gefunden wurde?
Gohlke: Ich muss sagen, ich finde das Agieren des BMBF und der Bildungsministerin Karliczek als ziemlich befremdlich, um es mal freundlich zu sagen. Wir haben jetzt diese schwierige Corona-Situation seit ein paar Wochen, und letztlich hört man aus dem Bildungsministerium ziemlich wenig, da ist ziemlich Schweigen im Walde. Es ist aber so, dass 2,9 Millionen Studierende und viele Hunderttausend Beschäftigte an den Hochschulen in echten existenziellen Krisen sind und auf Antworten warten. Man hat den wenigen Verlautbarungen, die es aus dem Bildungsministerium gab, angemerkt, dass sie ausschließlich von der Perspektive der Bedarfe der Wirtschaft oder jetzt der kurzfristigen Bedarfe auch in Krankenhäusern aus agieren. Ich verstehe die, ich will die nicht kleinreden, die sind vorhanden, aber es gibt eben auch die Bedürfnisse und die Probleme der Studierenden. Wir müssen uns schon die Frage stellen, wie können die Studierenden jetzt ihre Miete zahlen, die trotzdem gezahlt werden muss, und wie können die dann auch weiter studieren, ohne dass ihnen Nachteile aus der jetzigen Situation entstehen.
"Über 920 Millionen nicht abgerufene BAföG-Mittel"
Gebert: Frau Gohlke, Sie haben ja als die Linke eine Idee, eine Soforthilfe. Das wäre ja aber dann das Gießkannenprinzip, oder wie kann ich mir das vorstellen?
Gohlke: Nein, wir fordern eigentlich ähnlich der anderen Notfall- und Soforthilfen, die jetzt für die Corona-Krise auf den Weg gebracht wurden, dass das eben auch unkompliziert für Studierende möglich ist, und zwar sowohl für BAföG Beziehende als auch für diejenigen, die kein BAföG bekommen, weil wir nämlich in beiden Fällen wissen, dass die Studierenden oft nebenbei auch noch mal arbeiten müssen, um überhaupt durchzukommen und ihr Studium zu finanzieren.
Gebert: Was heißt das, unbürokratisch?
Gohlke: Wir fordern, dass erst mal jeder eine Soforthilfe auch beantragen kann und dass dann eben im Nachgang, im Nachhinein, wie auch in den anderen Fällen, eine Bedürftigkeitsprüfung stattfindet und dann, sollte die Bedürftigkeit nicht gegeben gewesen sein, das Ganze in einen zinslosen Kredit umgewandelt wird, ansonsten diese Hilfen aber tatsächlich auch rückzahlungsfrei vergeben werden. Wir haben ja jetzt gesehen, in dem letzten Haushalt des letzten Jahres verbergen sich über 920 Millionen nicht abgerufene BAföG-Mittel, also Mittel, die eigentlich mal fürs BAföG eingestellt wurden, aber weil das BAföG nur noch so wenige Menschen erreicht, gar nicht abgerufen wurden. Das sind aus unserer Sicht genau die Gelder, die man jetzt auch erst mal verwenden kann, um den Studierenden, die jetzt in echte Notlagen geraten sind, auch unbürokratisch zu helfen.
"Was jetzt nottut, ist eine Reform des BAföG"
Gebert: Sie sagen, die, die wirklich in Not sind, die sollen das auch nicht zurückzahlen – wie gerecht ist denn das denjenigen gegenüber, die zwar jetzt mit dem BAföG über die Runden kommen, aber vielleicht gerade so, die aber dieses Geld tatsächlich zurückzahlen müssen, weil es eben ein Darlehen ist?
Gohlke: Na ja, ich meine, es ist jetzt auch ein richtiger Moment, um noch mal über die Konstruktion des BAföG nachzudenken. Was wir ja gerade sehen, dass so viele Menschen in der Situation jetzt auch in so eine akute Notlage geraten, hat ja auch was damit zu tun, dass das BAföG, wie es in den letzten Jahren wirklich kaputtgewirtschaftet wurde, ein Instrument ist, was kaum mehr Menschen erreicht und was diejenigen, die es erreicht, wiederum nicht in die Lage versetzt, davon auch wirklich leben und studieren zu können. Das heißt, was jetzt nottut, ist eine Reform des BAföG mit der Anhebung der Freibeträge und der Höchstsätze, sodass es auch wieder vollumfänglich Menschen fördern kann und existenzsichernd in ein Studium führt.
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