Archiv


Hilfe für syrische Flüchtlinge soll ausgeweitet werden

Die Lage in Syrien bleibt schwierig. Viele Menschen sind auf der Flucht innerhalb des Landes, aber auch in die Nachbarländer. Besonders die Türkei habe sehr gute Arbeit geleitet, bestätigt UNHCR-Sprecher Stefan Telöken. Man werde das Land beim Aufbau weiterer Lager unterstützen.

Stefan Telöken im Gespräch mit Silvia Engels | 31.07.2012
    Silvia Engels: Am Telefon ist nun Stefan Telöken, er ist der deutsche Sprecher des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen, kurz UNHCR. Guten Morgen, Herr Telöken!

    Stefan Telöken: Schönen guten Morgen!

    Engels: Seit den Kämpfen um Aleppo ist die Zahl der aus Syrien und in Syrien flüchtenden Menschen noch einmal gestiegen. Die Vereinten Nationen haben gestern von 200.000 Menschen gesprochen. Wohin wenden sich diese Menschen, wohin fliehen sie?

    Telöken: Nun, es ist davon auszugehen, dass die meisten Menschen in ihrem Heimatland bleiben. Diese 200.000, das sind Angaben des syrischen Roten Halbmonds, werden wahrscheinlich versuchen, so schnell wie möglich wieder in ihre Stadt zurückzukehren, sobald die Kämpfe abgeflaut sind. Das heißt, sie werden aufs Land gehen, sie werden aber in der Umgebung der Stadt bleiben. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, dass die Menschen ins Ausland gehen, weil die türkische Grenze ist wie gesagt nicht weit. Aber der Weg ist gefährlich, sodass wir eigentlich nicht damit rechnen, dass eine Zahl, jedenfalls in der Dimension von 100.000 oder sechsstellig, versucht, in den nächsten Tagen in die Türkei zu kommen.

    Engels: Wissen Sie etwas über die Lage der Menschen rund um das umkämpfte Aleppo, oder haben Sie da keine Kontakte?

    Telöken: Also es ist sehr, sehr schwierig. Es ist sehr unübersichtlich, der UNHCR ist in Syrien noch tätig, sein Hauptaugenmerk galt in vergangenen Jahren dort der Lage der irakischen Flüchtlinge, der Versorgung der irakischen Flüchtlinge, wie der Durchführung eines Aufnahmeprogramms für irakische Flüchtlinge in Drittländer. Wir sind weiterhin vor Ort, können aber nur sehr beschränkt arbeiten. Wir versuchen, im Rahmen der UN-Hilfe und in Zusammenarbeit mit dem syrischen Roten Halbmond auch, der syrischen Zivilbevölkerung zu helfen. Das ist aber nur, wie gesagt, in sehr beschränkten Maßen möglich angesichts der Eskalation der Gewalt, gerade auch in den Städten.

    Engels: Das heißt, die Versorgungssituation der Menschen ist für die Hilfsorganisation auch nur zu schätzen?

    Telöken: Das ist nur zu schätzen, auch die Zahlen, die genannt werden, zum Beispiel für die Flucht innerhalb des Landes. Es ist davon die Rede, dass eine bis 1,5 Millionen Menschen innerhalb von Syrien fliehen mussten. Die Angaben beziehen sich auf den Zeitraum von Mitte letzten Jahres, und man muss da aber auch bedenken, dass viele Menschen nicht für längere Zeit Ihre Wohnungen, Häuser, Ortschaften verlassen, sondern auch nach einer gewissen Zeit wieder zurückkehren. Es ist eine fließende Bewegung, auch aus den Nachbarländern kommen ja Syrier nach Syrien zurück. Gleichwohl, derzeit gibt es auch einen Exodus, weiterhin einen Exodus, der hat sich ja in den letzten zwei Wochen auch verstärkt in die Nachbarländer.

    Engels: Wir schauen auf die Nachbarländer – ein Fluchtpunkt ist die Türkei, sie hat vor einigen Tagen nur noch eingeschränkten Grenzverkehr mit Syrien erlaubt, die Flüchtlinge sollen aber weiterkommen können. Funktioniert das?

    Telöken: Ja, wir haben keinen Zweifel, dass die Türkei weiterhin Flüchtlinge aufnimmt, die sieben Lager, Flüchtlingslager, die die Türkei aufgebaut hat, und die von dem syrischen Roten Halbmond betrieben werden, derzeit leben dort rund 43.000, 44.000 Flüchtlinge, zwei weitere Lager sollen gebaut werden. Und es sind auch in den letzten Tagen Flüchtlinge nach in die Türkei gekommen, freilich nicht in sehr hoher Zahl, das hat aber auch unseres Erachtens nicht damit zu tun, dass sie nicht von der Türkei über die Grenze gelassen werden, sondern es hat einfach mit der Lage in Syrien zu tun.

    Engels: Zwischenzeitlich ist es ja in der Türkei in diesen Versorgungslagern zu Versorgungsengpässen gekommen, und deshalb wohl auch zu Unruhen. Betrieben werden diese Lager vom Roten Halbmond, Sie haben es angesprochen. Wächst hier weiter die Gefahr, oder haben Sie Informationen, dass mittlerweile die Versorgung wieder vernünftig klappt?

    Telöken: Ja, also insgesamt muss man sagen, hat die Türkei hier sehr gute Arbeit geleistet, und die humanitären Standards in den Flüchtlingslagern in der Türkei sind jetzt, verglichen auch mit anderen Situationen, durchaus gut. Es hat Versorgungsengpässe gegeben, aber die Türkei ist wie gesagt dabei, die ist auch beheben, es bedarf hier natürlich auch der internationalen Unterstützung. Auch der UNHCR hilft der Türkei, wenn weitere und verstärkte Hilfe gebraucht wird, dann bin ich sicher, dann wird diese auch kommen. Wir haben es also insgesamt in der Türkei mit einer Situation zu tun, die für die Betroffenen, für die Flüchtlinge natürlich nicht besonders gut ist. Sie leben in Flüchtlingslagern, sie leben in Ungewissheit, wie es weitergeht, aber es ist auch nicht so, dass man in irgendeiner Form von einer größeren humanitären Krise sprechen könnte.

    Engels: In Jordanien hat ja der UNHCR auch mit Hilfe des deutschen THW ein neues Flüchtlingscamp für bis zu 140.000 Menschen eingerichtet. Ein erstes kleines Lager in Jordanien war einfach übergelaufen. Funktioniert dort die Aufnahme der Flüchtlinge mittlerweile problemlos?

    Telöken:Ja, problemlos – es ist ein Lager in der Wüste, es ist ein Zeltlager, 2000 Zelte sind aufgebaut worden auf einem neun Quadratkilometer großen Gelände, das möglicherweise noch viel mehr Flüchtlinge aufnehmen soll in den nächsten Wochen und Monaten. Dieses Flüchtlingslager musste gebaut werden, weil die Kapazitäten – Sie sprachen es an – in Jordanien erschöpft sind, teilweise waren Notunterkünfte drei- bis fünfmal überbesetzt, sodass jetzt nichts anderes möglich war, als dieses Flüchtlingslager aufzubauen. Es werden jetzt diese Flüchtlinge kommen, eine Infrastruktur – eine Behelfsinfrastruktur – steht, auch mithilfe des THW, das die Wasserversorgung leistet. Es ist keine schöne Situation für die Betroffenen, das muss man klar sagen. Stellen Sie sich vor, im Ramadan in der Hitze bei 40 Grad, ein Zeltlager in einer wüstenähnlichen Umgebung, da will nicht wirklich jemand hin, aber die Menschen, die dort jetzt ankommen, sind zumindest froh, dass sie sicher sind. Sie hoffen natürlich, dass dies nur für sie eine vorübergehende Zeit wird in diesem Lager, und dass sie möglichst schnell in ihre Heimat zurückkehren können.

    Engels: Wann ein Ende der Kämpfe in Syrien möglich ist, ist nicht abzusehen. Reichen denn die Geldmittel der Länder und aus internationalen Quellen noch zur Versorgung der Flüchtlinge aus?

    Telöken: Derzeit nicht, das muss man klar sagen. Es ist vor vier Wochen noch mal ein revidierter Appell von sieben UN-Organisationen, 36 nichtstaatlichen Organisationen an die internationale Staatengemeinschaft gerichtet worden, Hilfsmaßnahmen in den Nachbarländern in Höhe von 193 Millionen Dollar zu finanzieren. Stand heute ist, dass 33 Prozent, also rund ein Drittel dieser Gelder bei uns eingetroffen sind. Es heißt also, hier bedarf es verstärkter internationaler Hilfe, Finanzierung – gerade jetzt auch, wo zum Beispiel in Jordanien die Situation doch sehr schwierig geworden ist: Immer mehr mittellose Flüchtlinge kommen, was vergessen wird, ist, dass die meisten Flüchtlinge zum Beispiel im Libanon sich ja noch über längere Zeit selbst helfen konnten. Sie sind dort privat untergekommen, bei Freunden, Verwandten, oder aber in Hotels oder in Pensionen, aber jetzt wird doch die Zahl der Menschen, die keine Mittel mehr haben, deren Ersparnisse aufgezehrt sind, immer größer, sodass es dringend notwendig ist, auch die internationale Unterstützung für diese Menschen zu verstärken und die notwendige Infrastruktur für die Betroffenen, aber auch für die Gemeinden, die sie aufgenommen haben, hier zu intensivieren.

    Engels: Stefan Telöken, der deutsche Sprecher des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR. Vielen Dank für das Interview heute morgen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.