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Hilfe zur Selbsttötung
Ist es klug, dass der Staat schweigt?

Es ist eine ethische Debatte, wann ein Mensch sterben darf, wenn der Tod nicht plötzlich kommt. Auch unter bekennenden Christen ist diese Frage umstritten.

Von Kirsten Dietrich |
    Im Vordergrund eine Rose, im Hintergrund ein Krankenbett mit einer alten Frau und einer jüngeren am Bett.
    Rund 80 Prozent der Menschen sterben in Krankenhäusern und Heimen. (Picture-alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    "Hilfe im Sterben, Sterbebegleitung – ja, aus meiner Sicht ein klares Nein zur Hilfe zum Sterben, zum aktiven Töten oder auch zur organisierten Hilfe zur Selbsttötung," sagt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe - und Gita Neumann vom Humanistischen Verband Deutschlands kontert: "Wenn man die Leute alleine lässt oder die Angelegenheit tabuisiert, dann greifen sie ja zu schrecklichen Verzweiflungstaten, dann kommen wir an die Leute nämlich gar nicht ran."
    Was kann und darf man tun am Ende eines Lebens, wenn der Tod nicht plötzlich kommt, sondern das Sterben zum Problem wird? Mit diesem ganzen großen Gebiet befasst sich die Sterbehilfe. Der Gesetzgeber will nun einen Teilbereich reformieren: die Hilfe zur Selbsttötung. Hermann Gröhe will an der juristischen Grundeinschätzung von Suizid aber nichts ändern:
    "Ich halte das Schweigen unserer Rechtsordnung zur Selbsttötung – Straffreiheit der Selbsttötung, damit auch der individuellen Beihilfehandlungen – für richtig. Ich unterscheide mich da von einem jetzt vorgeschlagenen Gesetzentwurf, der vorsieht, auch jedwede Beihilfehandlung unter Strafe zu stellen. Weil es Bereiche gibt, bei denen es klug ist, dass der Staat vor dem Lebensdrama einer Entscheidung, die das eigene Leben beenden möchte, schweigt."
    Was ist menschenfreundlich?
    Denn auch wenn über verschiedene Gesetzesentwürfe politisch debattiert wird – hier geht es vor allem um grundsätzliche ethische Fragen, auf die Politik und Staat nur begrenzt Antworten geben können. Wenn ein Mensch wirklich sterben will, dann wird ihn nichts davon abhalten, davon ist Gita Neumann überzeugt. Sie arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Referentin für Lebenshilfe und Humanes Sterben beim Humanistischen Verband. Sie hat schon Menschen bis zu deren Selbsttötung begleitet. Es sei menschenfreundlich, dabei zu helfen, dass dieser Tod so schmerzfrei und leicht wie möglich herbeigeführt werde.
    "Wenn mir jemand gegenüber sitzt und Sie sprechen offen und Sie lassen zu – also Sie sprechen erstmal über den Suizidgedanken und das Vorhaben, wie stellen Sie sich das denn vor und so weiter – und wenn Sie das erstmal abgehakt haben, dann werden Sie in aller Regel, ich würde sagen bei 95 Prozent, feststellen, dass dann so Impulse zum Leben hin kommen."
    Würdevoll sei es, über das Ende des Lebens selbst bestimmen zu können, meint Neumann. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe steht für eine andere Prämisse: Im Zentrum steht nicht das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, sondern der generelle Schutz für Leben in jeder Form.
    "Ich will diesen einen, sehr präzisen Punkt, nämlich des organisierten, geschäftsmäßigen Angebotes einer Selbsttötungsbeihilfe unter Strafe stellen, weil ich glaube, dies berührt die Wertschätzung für Leben, die Lebensschutzorientierung unserer Rechtsordnung insgesamt. Ich möchte nicht, dass Selbsttötungshilfe und vor allen Dingen natürlich auch kein ärztlich assistierter Suizid gleichsam zur Behandlungsvariante wird."
    Unschärfe
    Bis jetzt ist die gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe relativ unscharf. Was ist erlaubt und was nicht? Klar ist: Aktiv ist sie verboten, die so fatal symbolische Giftspritze durch den Arzt. Indirekte Sterbehilfe, also zum Beispiel eine Behandlung von Schmerzen, die in Kauf nimmt, dass die tödliche Folgen haben wird, oder auch passive Sterbehilfe durch Unterlassen notwendiger Behandlung sind erlaubt. Voraussetzung ist eine entsprechende Willensbekundung – immer mehr Menschen haben inzwischen so eine Patientenverfügung. Den Suizid oder die Selbsttötung kann natürlich niemand verbieten. Soweit ist die Regelung eindeutig. Aber was ist, wenn ein Patient zu krank oder eingeschränkt ist, um die Selbsttötung auch wirklich selbst auszuführen? Oder wenn er nach einem möglichst schonenden Weg sucht? Wenn es also um die sogenannte Beihilfe zum Suizid geht? Das ist nicht verboten, doch Ärzten, die eine solche Beihilfe leisten, drohen gut die Hälfte der Landesärztekammern mit Entzug der Zulassung. Gita Neumann:
    "In Krebsstationen oder anderen Stationen auch mit Schwerkranken werden die Fenster verriegelt, weil die Patienten sich sonst auch aus dem Fenster stürzen würden, und das ist das ganze Ausmaß der Dramatik, die wir haben, wenn wir das Begehren von Suizid tabuisieren."
    Die Gesetzentwürfe, die dem Bundestag zur Entscheidung vorliegen, arbeiten sich an einem konkreten, wenn auch namentlich nicht genannten Gegenüber ab: an Organisationen, die in verschiedenen rechtlichen Formen Hilfe bei der Selbsttötung anbieten. In Deutschland ist das vor allem der Verein "Sterbehilfe Deutschland", in der Schweiz die Organisation "Dignitas". Auch Gita Neumann sieht diese Vereine kritisch, dort bekämen Betroffene keine echte Beratung angeboten, sondern praktisch nur den Tod.
    "Ich bin nun wirklich kein Freund von Spezialorganisationen, die nichts anderes anbieten können. Das ist nämlich das Problem: Wenn ich nur das anzubieten habe, liegt es meiner Meinung nach etwas nahe, dass ich es dann auch anbiete."
    Die Angst vor der Einsamkeit nehmen
    Diese Organisationen arbeiten im rechtlichen Graubereich – auch wenn die Fallzahlen vergleichsweise gering sind, etwas über 40 im letzten Jahr, stehen sie symbolhaft für einen neuen Umgang mit dem Tod. Mit einem nämlich, der auch das Sterben als grundsätzlich regelbar und dem Menschen verfügbar sieht. Ein gesamtgesellschaftlicher Trend. Gesundheitsminister Hermann Gröhe:
    "Die Deutungshoheit kann heute jedenfalls nicht mehr wie in der Vergangenheit irgendeine kirchliche oder staatliche Instanz für sich beanspruchen. Ich bejahe ja uneingeschränkt die Pluralität unserer Gesellschaft. Das Freiheitsstreben des Menschen ist zutiefst mit meinem christlich geprägten Menschenbild in Einklang. Aber es gibt sozusagen Risiken und Nebenwirkungen auf dem Beipackzettel dieser Pluralität, dass es eben nicht Leitplanken einer gemeinsam getragenen gesellschaftlichen Überzeugung gibt, die früher Menschen in diesen existentiellen Fragen Halt gegeben hat."
    Die moderne Medizin macht, neben all ihren Segnungen, das Sterben zum Problem. So etwas wie einen natürlichen Tod – schnell, ohne Interaktion mit Ärzten, Krankenhäusern und Medizintechnik – kann man als Wunschbild zeichnen. Der Realität entspricht das nicht: rund 80 Prozent der Menschen sterben in Krankenhäusern und Heimen, und in vielen Fällen verlängert die Medizin nicht nur das Leben, sondern auch das Sterben. Gegner einer Lockerung der Suizidhilfe meinen: wenn Palliativmedizin und Hospizdienste ausgebaut werden, muss niemand mehr leiden. Der Wunsch nach einem früheren Ende würde sich erübrigen. Hermann Gröhe betreibt deshalb parallel zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung auch eine Gesetzesinitiative zum Ausbau der Palliativmedizin und Hospizen.
    "Weil das sicher neben den unerträglichen Schmerzen die andere große Angst ist: bin ich einsam in dieser Lebenssituation? Und so wie die Palliativmedizin es ermöglicht, Schmerzen zu lindern oder gar weitgehend erfolgreich zu bekämpfen, so ist eben aus der Hospizbewegung und hospizlicher Kultur auch zu lernen, dass wir Menschen auch die Angst vor Einsamkeit nehmen können, wenn wir uns vornehmen, sie gut und klug zu begleiten."
    "Schön wär's. Wir haben ja es mit vielen alten Menschen zu tun, also, der Alterssuizid ist ja der häufigste Suizidfall in Deutschland, und die leiden unter schweren chronischen Mehrfachkrankheiten, die sind überhaupt nicht Zielgruppe für Hospiz- und Palliativversorgung."
    Gita Neumann beschreibt die Lage drastisch:
    "Wer zu lange lebt, fliegt ja raus aus der Palliativversorgung. Oder kommt gar nicht rein."
    Selbst Palliativmediziner sagen: nicht jedes Leid lässt sich lindern – das schmerzfreie Sterben kann niemand garantieren. Was wird dann aus denen, die das Leid nicht mehr ertragen wollen oder können? Hermann Gröhe ist da ganz entschieden:
    Suizid von der Krankenkasse finanziert?
    "Es hieße aus meiner Sicht eine Überdehnung von einer bestimmten Vorstellung von Autonomie, wenn aus dem Schweigen der Rechtsordnung zum Wunsch eines Menschen, seinem Leben ein Ende zu setzen, gleichsam ein Anspruch an den Sozialstaat würde, einem dafür die Mittel, das Sachwissen und die persönliche Assistenz anderer Menschen, am besten dann noch bezahlt über die Krankenkasse, qualitätsgesichert, zur Verfügung zu stellen. Diesen Anspruch gibt es eben nicht."
    Eine offene Frage ist die Sorge um den Missbrauch von liberaleren Regelungen: wenn die Selbsttötung bequemer, sicherer und leichter zugänglich ist – wächst dann nicht die Gefahr, dass Sterbende sich gedrängt sehen, diesen für andere belastenden Prozess vorzeitig zu beenden? Gita Neumann verweist auf ähnliche Befürchtungen, bevor der Einsatz von Patientenverfügungen gelockert wurde.
    "Es war damals das Argument, wir dürfen kein liberales Modell der Patientenverfügung zulassen, sonst passiert genau das: der Dammbruch, Leute werden genötigt dazu, auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten – nichts dergleichen hat sich bewahrheitet."
    Auch unter bekennenden Christen gibt es unterschiedliche Antworten auf diese ethischen Probleme. Auch wenn evangelische und katholische Kirchenleitende sich klar gegen jedes Verbot organisierter Hilfe bei der Selbsttötung aussprechen – im Bundestag finden sich Christen auf allen Seiten der Debatte. Der evangelische Pfarrer Peter Hinze zum Beispiel steht für den Vorschlag, Ärzten in einem strikt reglementierten Verfahren Hilfe beim Suizid zu ermöglichen. Hinter der Debatte um die Hilfe bei der Selbsttötung stehen eben größere Fragen: die Sorge um das immer mehr schwindende Solidarprinzip zum Beispiel, und gleichzeitig trotzdem auch der Wunsch danach, das eigene Leben in wirklich allen Belangen zu gestalten – zumindest dann, wenn man sich stark fühlt.
    "Ich weiß es nicht, ob man das nun unbedingt, diese durchaus zu befürchtende Tendenz, dass alles immer egozentrischer wird und man sich kranken und behinderten Lebens zu entledigen versucht, an der Frage der Suizidhilfe aufgehängt werden muss."
    "Ich empfinde die Diskussion in den letzten Monaten als sehr wertvoll, weil so intensiv und so persönlich, wie darüber diskutiert wurde, das tut unserer Gesellschaft gut."