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Hilferuf aus Mogadischu

In Mogadischu hat die Regierung den Notstand ausgerufen und die Nachbarländer um militärische Hilfe gebeten. Radikale Islamisten sind offenbar kurz davor, die im Januar gewählte somalische Regierung unter Präsident Sharif Sheikh Ahmed zu stürzen.

Von Bettina Rühl |
    Der Weg vom Flughafen durch die Stadt führt durch ein Ruinenfeld: Das alte Zentrum von Mogadischu ist fast völlig zerstört. Parlamentsgebäude und Ministerien, Nationaltheater, Luxushotels und Banken - alles liegt in Trümmern. Nur noch ein paar Straßen der somalischen Hauptstadt werden von der Regierung kontrolliert. Der Rest ist in der Hand radikal-islamischer Kämpfer. Die Regierung hat in dieser Woche den Notstand ausgerufen und in dramatischen Hilferufen um militärische Unterstützung gebeten. Noch im Mai dieses Jahres war die Lage ganz andres.

    "Ich glaube, es herrscht heute mehr Optimismus, als jemals zuvor. Denn es gibt jetzt eine Art politischer Lösung, eine politische Vereinbarung. Ich sage das, obwohl sich ein Teil der Gesellschaft dem Friedensprozess noch nicht angeschlossen hat. Genauer gesagt: Wichtige Persönlichkeiten stehen bis heute außen vor. Aber ich habe auch gesagt: Eine Gesellschaft sollte nie die Hoffnung verlieren."

    So optimistisch war der somalische Premier Omar Abdirashid Ali Sharmake noch Anfang Mai. Tatsächlich schien es damals so, als wären die Somalier diesmal tatsächlich auf dem Weg zum Frieden, nach fast 20 Jahren Krieg. Denn der damals neu gewählte, gemäßigt-islamische Präsident Sheikh Sharif war in der Bevölkerung weithin anerkannt. Und vor allem: Er hatte auch einen Teil der islamistischen Bewegung hinter sich.

    Heute ist es fast unmöglich, die Hoffnung nicht zu verlieren. Die Realität spricht dagegen: Der harte Kern der islamistischen Kämpfer verurteilt heute die gemäßigt-islamische Haltung der jetzigen somalischen Regierung - mit der sie noch bis vor Kurzem gemeinsam gegen den Vorgänger des jetzigen Präsidenten gekämpft hat. Und es scheint, als habe der Amtsantritt von Präsident Sheikh Sharif eine Art Kernspaltung ausgelöst: Der harte Kern des radikal-islamischen Untergrunds zersplittert in immer neue Gruppen. Sie bekämpfen sich gegenseitig, bekämpfen die Regierung - und führen Krieg gegen die Bevölkerung.

    Die größte dieser Gruppierungen sind die Shabaab; übersetzt heißt das: die Jugend. Schon seit Längerem wird über deren Kontakte zum Terrornetzwerk El Kaida spekuliert. Der französische Politologe Roland Marchal:

    "Die Kontakte gibt es, das leugnet niemand mehr. Die meisten Beobachter sind sich darin einig, dass sie während der letzten beiden Jahre enger geworden sind. Der Grund dafür ist ganz ohne Frage der Krieg in Somalia: Die Gruppe hat sich weiter radikalisiert und die Kontakte mit Ausländern vertieft - darunter auch mit Mitgliedern von El Kaida. Ausländer spielen heute eine ungleich größere Rolle innerhalb der Shabaab als früher: Sie liefern die Ideologie und stehen auch hinter vielen Aktionen."

    Diesen Eindruck bestätigen auch Beobachter vor Ort, die lieber ungenannt bleiben möchten: Somalia - ein "sicherer Rückzugsraum" für Mitglieder des internationalen Terrornetzwerkes.

    Das Land ohne eine funktionierende Regierung ist für Terroristen unterschiedlichster Couleur tatsächlich ungemein attraktiv - und anfällig für auswärtige Einmischungen: Es gibt keine Grenzkontrollen, keinen Sicherheitsapparat, keine Zentralregierung.

    Aus dem Ausland kommen Kämpfer, Waffen, Gelder - zum Beispiel aus dem benachbarten Eritrea, aber auch aus westlichen Ländern: Marchal spricht von einer "unglaublichen Mobilisierung” von Somaliern in der Diaspora. Sie schickten Geld oder kehrten sogar nach Somalia zurück, um sich den Kämpfern anzuschließen. Mit dieser Beobachtung ist Marchal nicht allein: Nach Erkenntnissen mehrerer westlicher Quellen sei die Zahl der kampfbreiten Rückkehrer aus westlichen und arabischen Ländern in diesem Jahr "dramatisch" gestiegen.

    Die Motive der Kämpfer ähneln vermutlich denen der fanatisierten Mitglieder anderer radikal-islamistischer Organisationen - und sind in ihrem Fanatismus zum Teil genauso schwer zu verstehen.

    Immerhin nachvollziehbar sind dagegen die Beweggründe der Kämpfer, die Somalia nie verlassen konnten. Roland Marchal:

    "Wir haben es ja mit einem Krieg zu tun - und das heißt: Viele Menschen schließen sich dem bewaffneten Untergrund an, weil sie sich für irgendetwas rächen wollen. Oder sie wollen sich selbst schützen, indem sie sich einer bewaffneten Gruppe anschließen. Wenn der Zugang zu Al Shabaab am einfachsten ist, werden sie eben Mitglied von Al Shabaab. Im Zweifelsfall wissen sie noch nicht einmal besonders viel über die Ideologie dieser Gruppe. Und natürlich unterschätzen sie auch, was auf sie zukommt, wenn sie erst einmal Mitglied geworden sind."

    Ein junger Mann, der Hussein heißen könnte, war einer von ihnen. Er schloss sich Ende 2006 den Al Shabaab an, als Äthiopien in Somalia einmarschierte. Kaum waren die äthiopischen Truppen Anfang dieses Jahres aus Somalia abgezogen, tauchte er aus dem Untergrund wieder auf. Hussein lebt immer noch in Mogadischu und ist zu einem Interview bereit - nur seinen richtigen Namen will er nicht nennen.

    "Ich habe mich den Shabaab angeschlossen, um mit ihnen gegen die Äthiopier zu kämpfen. Ich glaube an diesen Kampf - ich habe dafür meine Eltern, meine Frau und meine Kinder verlassen, die mich eigentlich brauchen. Aber es gab für mich keine Alternative: Die Äthiopier kämpfen gegen das somalische Volk, gegen uns. Ich musste mein Volk verteidigen, das war mir heilig. Und wenn die Äthiopier noch einmal somalischen Boden betreten, dann werde ich wieder in den Untergrund gehen."

    Es könnte bald schon wieder so weit sein: Wenn Äthiopien auf die mittlerweile verzweifelten Hilferufe der somalischen Regierung reagiert und erneut in Somalia eingreift - diesmal hingegen auf Bitte der Regierung. Dann wird wohl nicht nur Hussein wieder abtauchen, sondern mit ihm Hunderte oder Tausende von Kämpfern, die nach dem Abzug der Äthiopier vorübergehend wieder aufgetaucht waren. Der somalische Untergrund ist fest entschlossen, ausländische Soldaten jeder Nationalität zu bekämpfen - und das gilt sowohl für somalische Nationalisten, als auch für gewaltbereite Islamisten. Die weitere Entwicklung in Somalia ist deshalb kaum absehbar. Und das gilt auch für die möglichen Folgen für die gesamte Region:

    "Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die somalische Krise auf andere Länder übergreift. Dass einige furchtbare Anschläge auch jenseits der Landesgrenzen verübt werden - entweder von Somaliern selbst oder mit deren Hilfe. Das hat es 1998 und 2002 schon gegeben; und ich bedaure, sagen zu müssen: Das ist auch heute wieder möglich."

    Roland Marchal spielt auf mehrere Bombenanschläge in den somalischen Nachbarländern an. Die Lage im Osten Afrikas ist brisant. Denn die Landesgrenzen Somalias durchschneiden das sehr viel größere Siedlungsgebiet des somalischen Volkes. Diesseits und jenseits der Grenzen gibt es ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Deshalb auch strahlt der Krieg in Somalia schon heute in die Nachbarländer aus. Sollte die Lage eskalieren, sollte es womöglich zu einem Sturz der jetzigen Regierung in Mogadischu kommen, dann könnte die ganze Region explodieren.