Manche Menschheits-Pessimisten mag die große Hilfsbereitschaft nach der Hochwasserkatastrophe Mitte Juli überrascht haben. Den Soziologe und Solidaritätsforscher Ulf Tranow nicht. Viele Helfer hätten die Katastrophe als Nachbarn Betroffener unmittelbar erfahren oder seien durch die Berichte in deutschen Medien zumindest gefühlt sehr nah dabei. Eine emotionale Beziehung zu Menschen oder Orten mobilisiere Solidarität, so Tranow. Und Hilfe sei sowohl für Leistende als auch für Empfangende eine "befriedigende Erfahrung".
Am Anfang sei sie ansteckend, sie erschöpfe aber auch auf Dauer, warnte der Soziologe von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Deswegen sei es " politisch extrem wichtig, dass wir verstehen, dass wir diese Ressource nicht überstrapazieren dürfen". Schließlich müssten Politik oder Akteure der "institutionalisierten Solidarität" wie Hilfswerke übernehmen, "um die Hilfe nachhaltig und auf Dauer zu stellen".
Kehrseiten der Solidarität
Soldarität sei aber auch durchaus zweischneidig, betonte Tranow. Weil sie auf "emotionaler Identifikation und Betroffenheit" beruhe, bedeute sie im Umkehrschluss auch immer Grenzziehung und Ausschluss. Und nicht jede Form von Solidarität sei immer wünschenswert. Die Motivation, sich um sich selbst zu kümmern, könne unter Hilfeleistungen auch leiden. Wie viel Solidarität und Eigenverantwortung gewünscht seien, sei eine gesellschaftliche Entscheidung.
Der Umgang mit der Hochwasserkatastrophe sei übrigens nur eines von vielen Feldern, auf den aktuell über Solidarität diskutiert werde, hob der Düsseldorfer Forscher hervor. Auch bei den oft hitzigen Verhandlungen der EU und beim Klimawandel gehe es wesentlich um Fragen der Solidarität, so Tranow, nämlich: Wer sind wir eigentlich, wen schließen wir ein - und aus-, und was schulden wir einander?