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Hilfsdienste im Unwettereinsatz
"Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos"

"Die Unwetterschäden kommen öfter und werden heftiger", sagte der Präsident des Technischen Hilfswerks, Albrecht Broemme, im Dlf. Gleichzeitig werde es für Freiwilligendienste immer schwerer, Nachwuchs zu rekrutieren. Er hält es darum für sinnvoll, junge Menschen dazu zu verpflichten, sich eine Zeit lang sozial zu engagieren.

Albrecht Broemme im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Helfer vom Technischen Hilfswerk (THW) bergen am 04.06.2017 ein von Wassermassen mitgerissenes Auto in Sottrum bei Holle im Landkreis Hildesheim (Niedersachsen).
    Helfer vom Technischen Hilfswerk (THW) bergen am 04.06.2017 ein von Wassermassen mitgerissenes Auto in Sottrum bei Holle im Landkreis Hildesheim (Niedersachsen). (picture alliance / Julian Stratenschulte/dpa)
    Mario Dobovisek: Sturm Xavier kam plötzlich und heftig. Mindestens sieben Menschen starben, erschlagen von Bäumen und Ästen. Ganz Norddeutschland ist betroffen. Den gesamten Zugverkehr im Norden hatte die Bahn eingestellt und noch immer fahren viele Züge nicht. Tausende mussten auf Bahnhöfen in bereitgestellten Zügen oder in Hotels übernachten. Auch der Nahverkehr war betroffen, in Berlin und Hamburg fuhren die S-Bahnen nicht, auch viele Busse blieben in den Depots - aus Sicherheitsgründen.
    Überall im Einsatz sind jetzt Helfer von Feuerwehren, Rettungsdiensten und vom Technischen Hilfswerk, dem THW, der Einsatzorganisation des Bundes auch für Katastrophenfälle. Dessen Präsident Albrecht Broemme begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Broemme!
    Albrecht Broemme: Guten Tag.
    "Richtige Entscheidung" der Bahn
    Dobovisek: Wir haben gerade von der Kritik an der Deutschen Bahn gehört für das Einstellen des Zugbetriebes gestern Nachmittag. Hat die Bahn aus Ihrer Sicht, aus Katastrophenschutzsicht richtig gehandelt?
    Broemme: Das war eine völlig richtige Entscheidung, die natürlich nicht leicht fällt, weil sie für viele Passagiere Stillstand bedeutet und Warten, Warten, ohne dass man weiß, wann es weitergeht. Aber wenn ein ICE mit 230 Stundenkilometern gegen einen dickeren Ast oder gar Baum fährt, ist das Debakel deutlich größer.
    Dobovisek: Wo sind Ihre Einsatzkräfte, die Helfer des THW vor allem im Einsatz im Moment?
    Broemme: Wir sind nach wie vor in Berlin und im Berliner Umfeld im Einsatz und in weiten Gebieten Norddeutschlands. Mit etwa 600 Mann sind wir im Einsatz. Das heißt, auch 600 ehrenamtliche Einsatzkräfte können heute nicht zur Arbeit erscheinen, sondern müssen anderen Menschen helfen, unter anderem auch, damit die Bahnstrecken wieder möglichst schnell freigeräumt werden.
    Ehrenamt eine "wichtige Ergänzung" für Berufsdienste
    Dobovisek: Wie tun Sie das? Wie können Sie den anderen Menschen helfen?
    Broemme: Wir helfen einmal mit Kettensägen. Die Kettensäge ist das gefragteste Gerät in diesen Tagen. Wir haben aber auch nachts beleuchtet, und wir haben auch mit Stromausfall zu tun gehabt im Land Brandenburg. Der ist immer noch nicht ganz beendet, weil auch umstürzende Bäume Hochspannungsleitungen beschädigt haben, so dass wir auch Strom einspeisen in Krankenhäusern und anderen Gebieten, wo es noch zusätzliche Probleme gegeben hat.
    Der Präsident des Technischen Hilfswerks (THW), Albrecht Broemme.
    Fordert eine aktive Beteiligung am Ehrenamt: Der Präsident des Technischen Hilfswerks (THW), Albrecht Broemme (picture alliance / dpa / Ole Spata)
    Dobovisek: Wir sprechen beim THW über ehrenamtliche Einsatzkräfte. Das haben Sie gerade schon angesprochen. Auch bei der Feuerwehr sind es hauptsächlich Ehrenamtliche, die helfen. Nur in den Großstädten gibt es Berufsfeuerwehren, die selber unter dem Spardruck der Kommunen leiden. Wie wichtig ist das Ehrenamt für Einsätze wie diesen?
    Broemme: Zunächst eine wichtige Ergänzung. Auch in Großstädten Deutschlands gibt es freiwillige Feuerwehren. Die ergänzen, die werden dann auch dazu geholt. Sonst würden tausend Einsätze, wie sie in Berlin zum Beispiel gestern angefallen sind, in mehreren Tagen nicht abgearbeitet werden können.
    Die Freiwilligen können das nur tun, weil sie einmal ausgebildet sind, weil sie sich dazu auch bereit erklärt haben. Das ist dann eine gewisse Verpflichtung, die die Freiwilligen eingehen. Und, weil ihre Arbeitgeber und Familien sagen, das sehen wir ein, das unterstützen wir, mal von Formalien abgesehen, weil wir dieses Engagement brauchen, damit jeder wieder möglichst schnell den Normalzustand erreichen kann, den wir sonst immer gewohnt sind.
    "Wir haben immer mehr zu tun"
    Dobovisek: Jetzt häufen sich Wetterereignisse wie diese. Erst gestern, noch vor dem Sturm, haben die Versicherer Zahlen veröffentlicht. Die Schäden durch Unwetter und Überschwemmungen hätten demnach in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr sich fast verzehnfacht. Was bedeutet das für Einsatzorganisationen, für Sie, und für allem für die Ehrenamtlichen?
    Broemme: Wir haben immer mehr zu tun, auch mit den Störungen kritischer Infrastrukturen. Da wird gerne von den Cyber-Angriffen geredet. Aber ein Sturm ist immer noch eine sehr reale und sehr handfeste Geschichte. Wir haben Gott sei Dank längst nicht die Stürme wie in den USA. In den USA war der Sturm etwa doppelt so schnell in den Spitzengeschwindigkeiten und hatte eine doppelt so breite Schneise geschlagen. Da sind wir in Deutschland immer noch auf einer etwas sichereren Seite. Aber die Unwetterschäden kommen öfter, kommen schneller, werden heftiger.
    Dobovisek: Was bedeutet das für Ihre Organisation?
    Broemme: Wir müssen uns auf jeden Fall darum kümmern, das gilt für die Feuerwehren, für die anderen Freiwilligen-Organisationen, dass wir wieder genügend freiwillige Helfer motivieren, die sich bei uns auch ausbilden lassen. Denn die Hilfe, mit einer Kettensäge zu arbeiten, setzt zum Beispiel voraus, dass man darin eine ausführliche Schulung gemacht hat. Denn ein Baum, der umgestürzt ist, unter Spannung steht, wenn man den einfach abschneidet, dann kann das zu einem tödlichen Ende führen.
    Dobovisek: Unsere Gesellschaft verlässt sich ja auf das Ehrenamt, gerade weil es vor allen Dingen draußen auf dem Land gar keine Berufsfeuerwehrleute gibt. Es sind gerade die Ehrenamtlichen, die diese Arbeit leisten. Gleichzeitig nimmt das Engagement ab. Bei vielen freiwilligen Feuerwehren sind nur noch die Fensterplätze auf den Einsatzfahrzeugen besetzt. Auch aus THW-Ortsverbände höre ich teils von massiven Problemen. Wie ernst ist das Problem?
    Das Prinzip Hoffnung
    Broemme: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos, wie ich in solchen Fällen sage. Denn wenn wir uns das Potenzial anschauen an jungen Menschen, an Menschen im Alter zwischen 20 und 60 - ich habe mir gerade mal vom Statistischen Bundesamt die Statistiken angeschaut -, dann gibt es mehrere Millionen Menschen, die einfach noch nicht aktiviert wurden. Warum sie nicht aktiviert sind, das ist eine interessante Frage. Da denken wir auch drüber nach, wie wir die Menschen erreichen können.
    Es liegt zum Teil daran, dass eine längerfristige Bindung an eine bestimmte Organisation nicht mehr erwünscht wird. Für Projekte sich zu engagieren, das würden viele noch mitmachen, aber die Brandbekämpfung zum Beispiel oder das Schneiden und Wegräumen von umgestürzten Bäumen ist kein Projekt, sondern setzt eine sehr ausführliche und sorgfältige Ausbildung und auch Training voraus.
    Dobovisek: Die längerfristige Bindung gab es ja durchaus früher, zu Zeiten der Wehrpflicht, als man im Katastrophenschutz und Zivilschutz Ersatzdienst leisten konnte über mehrere Jahre. Das ist weggefallen. Wie sehr vermissen Sie die Wehrpflicht?
    "Frauen sind auch willkommen"
    Broemme: Die Wehrpflicht vermisse ich insofern, als dass das ein automatischer Nachwuchs von jungen Männern war. Ich vermisse sie nicht mehr, weil wir dadurch zum Beispiel keine Frauen gewonnen haben. In Folge des Wegfalls der Wehrpflicht ist zum Beispiel der Frauenanteil beim THW inzwischen doppelt so hoch, wie es früher war. Wir liegen jetzt bei 14 Prozent und wir hoffen, dass wir eines Tages mal auf ein Viertel herankommen, obwohl bekanntlich die Hälfte der Menschen in Deutschland Frauen sind. Frauen sind auch willkommen und auch sie können lernen, mit einer Kettensäge zu arbeiten.
    Dobovisek: Braucht Deutschland eine Dienstpflicht, ganz abgekoppelt von der Bundeswehr?
    Broemme: Das ist eine interessante Diskussion, die wir positiv unterstützen. Ob sich das politisch umsetzen lässt, ist eine andere Frage. Aber es wäre natürlich eine sehr gerechte Lösung, wenn jeder junge Mensch, der in Deutschland lebt, sich mal für eine gewisse Weile lang sozial in verschiedenen Bereichen - dazu zählt natürlich auch das THW - engagieren müsste.
    Playdoyer für die "Dienstpflicht"
    Dobovisek: Dann frage ich anders herum, Herr Broemme. Wollen Sie eine Dienstpflicht für Deutschland?
    Broemme: Ich bin sehr dafür, weil viele Leute dann auch daran so viel Spaß gewinnen, dass sie, wenn sie erst mal gezwungen würden anzufangen, dabei dann auch gerne freiwillig bleiben würden.
    Dobovisek: Es gibt ja schon den einen oder anderen Versuch der Politik, Ehrenamt zu fördern, mit speziellen Ausweisen, Rabattaktionen, was auch immer es da alles gibt. Das hilft aber eher weniger als mehr. Was erwarten Sie von der Politik, um das Ehrenamt wirklich zu stärken?
    Broemme: Wir leiden alle darunter, dass die Bürokratie uns immer mehr zu schaffen macht. Und wenn man schon jemand für die ehrenamtliche Arbeit in einem THW-Ortsverband motiviert und vielleicht noch Führungskraft zu werden, dann muss man zurzeit sagen, dann hat er auch mit einem gehörigen Maß an Verwaltungsarbeit zu tun. Wenn wir das wieder entweder ins Hauptamt verlagern, oder wieder ein Stückchen reduzieren könnten, wäre das ein riesen Fortschritt. Denn die Leute kommen ja nicht zur Feuerwehr oder zum THW, um dann am Schreibtisch zu arbeiten, sondern sie wollen den Menschen helfen.
    "Die Bevölkerung kann sich aufs Ehrenamt verlassen"
    Dobovisek: Verlässt sich unsere Gesellschaft zu viel auf ehrenamtliche Dienste? Bräuchten wir mehr Berufsfeuerwehren?
    Broemme: Mehr Berufsfeuerwehren ist der Trend. Auch auf dem Land, wo es immer weniger freiwillige Feuerwehren gibt, die auch tagsüber alarmiert werden können, müssen das hauptamtliche Kräfte machen. Das führt aber dazu, dass dann die Einsatzstärken noch geringer werden, denn das Hauptamt kostet Geld und wer hat schon Geld übrig, um dann einen Löschzug mit Berufsfeuerwehrleuten zu stellen, wenn es bislang Freiwillige getan haben.
    Dobovisek: Das Ehrenamt als Sparmaßnahme?
    Broemme: Nein. Das Ehrenamt ist nie eine Sparmaßnahme, sondern Ergänzung des Hauptamtes, und in der Fläche wird es nie anders gehen. Es hat auch bei uns eine Tradition, die 170 Jahre alt ist, das freiwillige Engagement. Es fing ja mit den Ständen an, die sich organisiert haben, und geht heute in den organisierten Einsatzkräften weiter. Ich sage gerne, die Bevölkerung kann sich aufs Ehrenamt verlassen, aber nicht, indem sie schaut, was es macht, sondern indem sie sich daran aktiv beteiligt.
    Dobovisek: Albrecht Broemme ist Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, des THW. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Broemme: Bitte sehr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.