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"Hindemith - Schott. Der Briefwechsel"
Eine Edition für Liebhaber und Fachleute

Fordernd und selbstbewusst, humorvoll und direkt: Der Briefwechsel zwischen Paul Hindemith und dem Schott-Verlag lässt den Komponisten in all seinen Facetten sichtbar werden. Die sorgfältige Edition liefert neben biografischen und historischen Erkenntnissen auch wichtige kompositorische Details.

Von Christoph Vratz |
    Der Komponist Paul Hindemith auf einem schwarz-weiß Foto um 1930.
    Auch wenn nicht immer alles reibungslos lief: Paul Hindemith blieb dem Musikverlag Schott über vier Jahrzehnte lang treu (picture-alliance / akg-images)
    "Frankfurt am Main, 31. Oktober 1922
    Sehr geehrter Herr Dr. Strecker […] Die Tatsache steht also fest, dass Sie sich für eine unverhältnismäßig geringe Summe mit einer Menge Stücke von mir 'eingedeckt' haben."
    Gerade hat Paul Hindemith einen Vertrag über sein "Weihnachtsmärchen" unterzeichnet. Doch er ist unzufrieden. Der junge Komponist hat in Donaueschingen mit neuen Werken für Furore gesorgt und seinen Ruf als begabtester Vertreter der musikalischen Avantgarde bekräftigt. Hindemith weiß also um seine Rolle. Entsprechend offensiv tritt er auch seinem Verleger gegenüber auf:
    "Zudem wissen Sie ebenso gut wie ich, dass […] ich auf dem besten Wege bin, sehr bekannt und sehr viel gespielt zu werden. Sie werden also im Laufe der nächsten Jahre nicht nur auf Ihre Kosten kommen, sondern wahrscheinlich auch ein gutes Geschäft an mir machen. Ich bin in Geldsachen sehr ungeschickt und war bis vor kurzem nicht orientiert über Verlagshonorare, Tantiemen etc. Umso verwerflicher finde ich es, dass Sie meine Unkenntnis ausgenutzt und mich mit miserablen Honoraren abgespeist haben."
    Das Vertrauen wächst mit der Zeit
    Das klingt nicht nach auffallender Harmonie. Auch die Antwort des Verlegers aus Mainz, durch Ludwig Strecker vom Schott Verlag, lässt – zunächst – Schlimmes befürchten.
    "Lieber Herr Hindemith, ich frage Sie, ob bei dem guten Verhältnis, das ich mir zwischen uns einbildete, es nötig war, mit diesem Geschütz aufzufahren. Ich möchte mit Mephisto sagen: 'Ihr wisst wohl nicht, mein Freund, wie grob ihr seid.' [...] Noch keiner unserer Verlagsfreunde hat bedauert, mit Schott in Verbindung zu stehen. [...] Ich bitte Sie aber dringend Vertrauen zu mir oder meinem Verlage zu haben."
    Dieses erbetene Vertrauen wächst im Laufe der Zeit. Aus dem anfänglichen Pokerspiel zwischen dem jungen, selbstbewussten Musiker und dem Verlag entwickelt sich eine Zusammenarbeit, die mehr als 40 Jahre bestehen wird – und sich auch über Hindemiths Tod im Dezember 1963 noch erstreckt, in Person von dessen Ehefrau Gertrud.
    "Sind Sie Herr Hindemith?"
    So blickte Willy Strecker, der zweitälteste Sohn des Verlagsinhabers Ludwig Strecker, auf die erste Begegnung mit dem jungen Musiker im Jahr 1919 zurück:
    "Ein paar helle, klare Augen in einem großen blonden Kopf sahen mich fragend an. Dieser jugendliche Mensch mit seinem forschenden Blick, seinem bestimmten Wesen und den kurzen, knappen Bewegungen wäre mir immer aufgefallen. Ebenso kurz und klar waren seine Worte. Trotz einer gewissen Bescheidenheit fühlte ich ein sicheres Wollen, eine Persönlichkeit."
    Ein Zeitdokument der 1920er und 1930er Jahre
    Aus der anfänglichen Neugierde entwickelt sich mehr und mehr eine geschäftliche und letzten Endes sogar fast freundschaftliche Beziehung, sodass der Briefwechsel zwischen Paul Hindemith und dem Schott-Verlag nicht zuletzt auch ein zeithistorisches Dokument darstellt, das die Epoche der Weimarer Republik und die dunklen Jahre der Naziherrschaft mit abbildet. Umso bedauerlicher, dass zwischen November 1941 und Juni 1945 eine Lücke klafft, da der zivile Postweg zwischen Europa und Amerika zur damaligen Zeit unterbrochen war.
    Auf diesem historischen Hintergrund gewinnt etwa die Aufführungsgeschichte rund um Hindemiths Oper "Mathis der Maler" in diesem Briefwechsel an Prägnanz und Eindringlichkeit.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Selbstbewusst, aber immer respektvoll erscheint Paul Hindemith im Briefwechsel (picture-alliance / Bildagentur Schapowalow )
    1934 hatte sich der Dirigent Wilhelm Furtwängler vehement für eine Uraufführung von "Mathis der Maler" bei den braunen Machthabern stark gemacht. Hindemith scheint die Brisanz dessen, was politisch kommen wird, noch nicht richtig einzuschätzen. Aus Berlin schreibt er im Oktober 1934:
    "Nach meiner Ankunft drohte ich auf die im Anzuge befindlichen Schwierigkeiten hin auszuwandern, worauf sich ein grosses aufgeregtes Debattieren allenthalben erhob. Seitdem hat sich nichts ereignet. Es scheint, dass man sich wieder beruhigt hat, außerdem sind die Wohlgesinnten wirklich in der Überzahl. Verbote sind nicht erfolgt außer dem im Rundfunk, und das können wir wohl mit Fassung tragen."
    Biografische und historische Erkenntnisse
    "Mathis der Maler" wird nicht in Deutschland aufgeführt, sondern 1938 erstmals in der Schweiz, dem ersten Land von Hindemiths Exil. Ludwig Strecker schreibt nach der Premiere Ende Mai aus Mainz an den Komponisten:
    "Lieber Paul,
    soeben kommt Willy zurück und in einer Weise begeistert, wie ich ihn selten gesehen habe. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich über den Erfolg und das Werk bin, zu dem ich Ihnen von ganzem Herzen Glück wünsche. Durch das Radio war leider kein Eindruck zu gewinnen; das ganze Orchester fiel so gut wie aus und übrig blieben nur die Singstimmen."
    Fast 2,800 Dokumente umfasst der Briefwechsel zwischen dem Ehepaar Hindemith und den verschiedenen Vertretern des Schott-Verlages. Lange Zeit im hauseigenen Archiv aufbewahrt, wurden die Briefe im Jahr 2014 von der Fondation Hindemith erworben. Jetzt haben sie, nach mühevoller Arbeit, Susanne Schaal-Gotthardt, Luitgard Schader und Heinz-Jürgen Winkler herausgegeben und als vierbändiges Kompendium veröffentlicht. Wobei der letzte Band ausschließlich als Anhang dient, mit einer detailgenauen Auflistung der in den Dokumenten genannten Konzertprogramme und Veranstaltungen sowie mit mehreren Registern, die diese Edition ungleich leichter handhabbar machen.
    Neben den biografischen und historischen Erkenntnissen liefert dieser Briefwechsel auch eine Reihe von kompositorischen Details, die vor allem für kritische Noteneditionen von Bedeutung sind, da sie den Entstehungsprozess teilweise Note für Note nachvollziehbar machen. So schreibt Verlagsmitarbeiter Franz Menge an Hindemith über dessen neues Streichtrio im Jahr 1924 unter anderem:
    "I. Satz, in Takt 143 (Kadenz) ist nicht ersichtlich, ob die fünfte Note des ersten Laufes der Violine cis oder c sein soll. In jedem Falle wäre nach Analogie der übrigen Stellen ein Vorzeichen notwendig.
    IV. Satz, Mittelteil, nach Buchstabe D, 4. Takt der Bratsche soll das erste Sechszehntel trotz des Taktstriches vorher es sein?"
    Liebe zum Wandern und zu Hunden
    In diesen Briefen erleben wir Paul Hindemith in sehr unterschiedlichen Facetten: fordernd und selbstbewusst, humorvoll und direkt, offen und vor allem stets respektvoll. Auch private Dinge spielen im Laufe der Jahre eine Rolle, sei es die Liebe zum Wandern oder zu Hunden. So schreibt Willy Strecker eines August-Tages betrübt an das Ehepaar Hindemith:
    "Allen befreundeten Hundeseelen die traurige Nachricht, dass unser TROLL gestern Abend im hohen Alter von über 14 Jahren in bessere Jagdgründe abgerufen wurde. Er starb selbstständig, wie er gelebt und ohne ärztliche Hülfe."
    Egal, aus welcher Richtung man sich dem Schaffen Paul Hindemiths künftig nähern wird, ob aus Liebhaber-Perspektive oder aus fachlicher Sicht: An diesem Briefwechsel wird künftig kein Weg vorbeiführen. Die Sorgfalt der Edition steigert ihren Wert zusätzlich.
    Hindemith - Schott. Der Briefwechsel
    Herausgegeben von Susanne Schaal-Gotthardt, Luitgard Schader und Heinz-Jürgen Winkler
    Eine Publikation des Hindemith Instituts Frankfurt im Auftrag der Fondation Hindemith, Blonay (CH)
    Schott Verlag 2020
    4 Bände, 2.480 Seiten
    99,00 Euro
    ISBN 978-3-7957-1916-6