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Hinduismus
Als Göttinnen verehrt, als Frauen kontrolliert

Im Hinduismus sind Frauen religiös und gesellschaftlich ihren Männern untergeordnet. Da sie als sinnlich und haltlos gelten, müssen sie von ihren Männern beschützt und unter Kontrolle gehalten werden. Hochzeiten werden arrangiert. Erst mit der Geburt eines Sohnes steigt das gesellschaftliche Ansehen einer Frau.

Von Margarete Blümel |
    Eine Frau sitzt während des hinduistischen Festes Maha Kumbh Mela am Flussufer und hält eine brennende Gabe in der Hand.
    Eine Frau im Gebet: Frauen sind im Hinduismus den Männern untergeordnet. (imago/Invision)
    "Generell ist das klassisch-brahmanische Frauenideal die gute Ehefrau, die ihrem Mann dient, ihrem Mann ihr Leben weiht, die sich ihm hingibt, die, ja, es geht so weit, dass man eigentlich sagt, die Hochzeit ersetzt für eine Frau die religiöse Initiation. Sie ist ihre religiöse Initiation und die Religion der Frau besteht im Dienst an ihrem Ehemann. Also, auf den Punkt gebracht würde das heißen: Gattendienst ist Gottesdienst für die Frau, also das ist die Vorstellung der Brahmanen."
    So die Religionswissenschaftlerin Professor Birgit Heller von der Universität Wien.
    "Also Frauen sind ja von Natur aus, aus der hinduistischen Perspektive der Bhakti-Religiosität und der brahmanischen Religiosität, vom Wesen her eigentlich diejenigen, die gehorsam sind und opferbereit und dergleichen, wenn sie ihrem eigentlichen Wesen entsprechen. Alles andere sind mehr oder weniger Abirrungen von ihrem eigentlichen Wesen."
    Das Hochzeitsbuffet mit den vegetarischen Speisen, dem Reis und den gefüllten Fladenbroten ist mit fliegensicheren Gittern abgedeckt. Die Gäste: Die Herren in Tuchhosen und Jackett, die Damen in Seiden- oder Brokat-Saris hängen an den Lippen des Priesters, der einen Behälter mit geklärter Butter über einer Feuerstelle schwenkt und Sanskrit-Texte zitiert.
    Gegenüber sitzen der angehende Ehemann und die ganz in Rot gekleidete Braut auf einem Podest. Die junge Frau schaut gesenkten Blicks und mit undurchdringlicher Miene vor sich hin.
    "Es gibt alte Texte, die heute noch im Hochzeitsritual verwendet werden, wo zum Beispiel ein Hymnus an Indra, eine der wichtigen vedischen Gottheiten, gerichtet ist. Und in diesem Hymnus wird um hundert Söhne für die Braut gebetet zum Beispiel. Die Tochter gilt auch in dieser Zeit schon als ein Jammer und der Sohn ist eben das Licht in der Himmelswelt. Das erklärt sich dadurch, dass der Vater in der Vorstellung lebt, dass er in seinem eigenen Sohn eigentlich wiedergeboren wird und dafür die Frau einfach auch benötigt wird und sie wichtig für ihn ist."
    Hinduismus als patriarchalische Religion
    Die religiösen Traditionen, die meist als Hinduismus bezeichnet werden, sind Bestandteil einer patriarchalischen Religion. Ihre Sozialstrukturen, maßgeblichen Werte und Verhaltensnormen werden von Männern geprägt. Nicht nur die Initiative und Schöpferkraft, so die Definition des Religionswissenschaftlers Friedrich Heiler, auch die Leitung der religiösen Organisation liege stets in den Händen der Männer.
    Dabei gibt es inzwischen Frauen, die sich zu Hindupriesterinnen ausbilden lassen. Und: 15 Jahre lang hat eine Premierministerin das Land regiert. Ihre Schwiegertöchter sind Politikerinnen. Eine ehemalige Polizeichefin, Ministerinnen, erfolgreiche Geschäftsfrauen, Ärztinnen und Universitätsprofessorinnen ließen einige westliche Beobachter in der Vergangenheit hoffen, in Indien seien bedeutsame Veränderungen im Gange.
    Ein Individualismus westlicher Prägung und emanzipatorische Bestrebungen lassen sich bis heute nicht mit den Hindureligionen vereinbaren. Doch dass sich Frauen innerhalb gewisser Grenzen für ihre Ziele eingesetzt haben, ist nicht neu.
    "Es gab wichtige, sehr selbstbewusste, gebildete Frauen. Oft waren sie die Töchter, die Schwestern von den Hindureformern, die sich engagiert haben in den Reformbewegungen, die eben auch sehr gefördert wurden von ihren Vätern, den Brüdern und dergleichen, die sich dann auch eingesetzt haben. Also das ist so eine gebildete Schicht von Frauen, die sich hier engagiert hat. Und dann gibt es eine zweite, nicht weniger wichtige Wurzel für diese vielfältigen Bewegungen und das sind diese sogenannten Grassroot-Movements, das sind Bewegungen, die von ganz unten wachsen."
    Und doch: Diese Ausnahmen scheinen immer wieder die Regel zu bestätigen. Die religiös legitimierte Dominanz der Männer, die sich auf eine Vielzahl von Texten stützt. Passagen, in denen die Frau auf ihre Rolle als ergebene Gattin und als Mutter reduziert wird. Schriften, in denen Frauen als personifizierte Verführerinnen dargestellt werden, die Männer vom spirituellen Pfad abbringen.
    "Es gibt in den Texten eigentlich immer wieder Belege dafür, dass die Frauen kontrolliert werden müssen. Und das hängt vor allem damit zusammen, wenn man ein Frauenbild konzipiert, das so stark darauf beruht, dass man die Sexualität, die Körperlichkeit, grundsätzlich dem weiblichen Geschlecht zuordnet. Dann muss in einer Gesellschaftsstruktur, die patriarchal geprägt ist, die davon lebt, dass der Vater weiß, wer sein Sohn ist und dass er sich sicher sein kann, dass auch das Erbe auf seinen Sohn übergeht und dergleichen, muss weibliche Sexualität sozusagen stark kontrolliert werden. Und das wird in den Texten ganz klar, die wir haben."
    Frauen als "Saatbeet"
    Einerseits als Muttergöttin hochverehrt, gelten Frauen auf der anderen Seite nur als das Saatbeet, wie es im sogenannten Gesetzbuch des Manu heißt. Der Same sei entscheidend, nicht dessen Empfangsbehälter, lautet es in diesen Schriften. Die Frau muss ihrem Ehemann Kinder gebären. Und, wieder und wieder wird betont, vor allem Söhne sollen es sein.
    "Eine unfruchtbare Frau darf im achten Jahr der Ehe ersetzt werden; eine, deren Kinder alle sterben, im zehnten Jahr, eine, die nur Töchter gebiert, im elften Jahr. Eine streitsüchtige aber ohne Verzug."
    Als Shakti, als weibliches Prinzip, stehen sie ihren Männern zur Seite. Sie ergänzen sie. Ohne das weibliche Prinzip geriete für die Hindus der Kreislauf der Welt aus den Fugen. Aber gleichzeitig gelten Frauen auch als potenzielle Verführerinnen. Um die Gefahr, die von ihnen ausgeht, einzudämmen, müssen sie in ihre Grenzen gewiesen werden.
    "Ja, sie sind gefährlich einerseits für die asketisch lebenden Männer. Da gibt es ja diverse Texte, die sagen: Hüte dich vor den Frauen und verbringe nicht einmal allein Zeit mit deiner eigenen Mutter oder Schwester, geschweige denn mit irgendwelchen fremden Frauen. Also die Asketen müssen sich fürchten vor den Frauen. Andererseits ist natürlich diese wilde Form von Sexualität, die wird auch als chaotisch-destruktive Kraft erfahren. Und deshalb: Solange Frauen unter der Kontrolle des Mannes sind, ist diese Gefahr mehr in den Hintergrund gedrängt oder sogar ausgeschaltet."
    Lange Zeit hatten männliche Politiker einer immer wieder vorgebrachten Forderung aus den Reihen der weiblichen Abgeordneten entgegengestellt und eine Frauenquote im Parlament abgelehnt. Frauen seien nicht auf Führungsposten vorbereitet, wurde argumentiert. Oder auch: Populäre Politiker würden dann ihre Töchter oder ihre Gattinnen ins Parlament lancieren. Und: Solcherlei Forderungen würden von Feministinnen gestellt, die stark von westlichem Gedankengut beeinflusst und weit von der indischen Realität entfernt seien.
    Schließlich wurde vor fünf Jahren dennoch eine Frauenquote im indischen Parlament eingeführt. Seitdem müssen ein Drittel der Abgeordneten Frauen sein. Professor Birgit Heller:
    "Von indischen Frauenrechtlerinnen wird die westliche Frauenbewegung oder der westliche Feminismus sehr oft als ziemlich abstrakt und verkopft beschrieben. Und sie meinen, dass das für Indien einfach so nicht passend ist, nicht übertragbar ist. Was nicht heißt, dass es nicht durchaus sinnvolle Kontakte oder auch Beziehungen gibt, aber es gibt eine eigenständige Entwicklung von indischen Frauenbewegungen, indischen feministischen Vorstellungen."