Archiv

Hinrichtungen in Saudi-Arabien
"Riad ist kein strategischer Partner mehr"

Nach den Hinrichtungen in Saudi-Arabien geht die deutsche Politik zunehmend auf Distanz zu dem Land. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich vermisst bei der Führung in Riad Verlässlichkeit. Niemand in der deutschen Politik rede hier noch von einer strategischen Partnerschaft, sagte Mützenich im DLF.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Doris Simon |
    Demonstranten in Teheran protestieren gegen Hinrichtungen in Saudi-Arabien.
    Demonstranten in Teheran protestieren gegen Hinrichtungen in Saudi-Arabien. (picture alliance / dpa / Abedin Taherkenareh)
    Während die frühere Führung in Riad noch einen moderaten Kurs in der Innen- und Außenpolitik gefahren habe, setzten die jetzigen politischen Akteure wieder stärker auf eine Eskalation, kritisierte Mützenich. Das zeige sich auch im Jemen, wo das saudische Militär hart gegen die Zivilbevölkerung vorgehe.
    Für die Bemühungen um einen Frieden im Jemen und auch in Syrien sei die derzeitige Eskalation ein Rückschlag, meinte der SPD-Politiker. Künftige internationale Verhandlungen dürften damit deutlich erschwert werden. Deshalb sei es wichtig, den Dialog mit Riad ungeachtet aller Kritik aufrecht zu erhalten.
    Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Mützenich
    Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Mützenich (Deutschlandradio/Charlotte Voß)
    Der Fraktionsvize sieht die harte Linie des saudischen Königshauses vor allem innenpolitisch motiviert. Die schiitische Minderheit im Land, die zuletzt Dialogbereitschaft signalisiert habe, solle zurückgewiesen werden. Riad werde mit einem solchen Kurs aber keinen Erfolg haben, betonte Mützenich. Die saudische Führung müsse über kurz oder lang auf die Schiiten im eigenen Land zugehen.
    Wie zuvor bereits Politiker der Grünen und der Linkspartei sprach sich auch Mützenich für einen restriktiven Kurs bei den Waffenexporten nach Saudi-Arabien aus. Dies habe SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister Gabriel ja auch bereits angekündigt. Wenn es derzeit noch Waffenlieferungen in das Land gebe, dann seien dies Entscheidungen der Vorgänger-Regierungen. Derzeit gebe es eine Diskussion, ob solche Entscheidungen per Gesetzesänderung wieder rückgängig gemacht werden könnten, fügte Mützenich hinzu.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Am Anfang stand die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr durch Saudi-Arabien am Samstag. Der Mann war im streng wahhabitisch-sunnitischen Saudi-Arabien friedlich für die Rechte der unterdrückten Minderheit der Schiiten dort eingetreten, war dafür 2014 zum Tode verurteilt worden, und nach seiner Hinrichtung protestierten Schiiten überall im Nahen Osten. Im Iran stürmten am Wochenende Demonstranten die saudische Botschaft in Teheran und Geistliche drohten der saudischen Regierung mit der Rache Gottes. Jetzt hat Saudi-Arabien die Beziehungen zum Iran abgebrochen, und bei mir im Studio ist Rolf Mützenich, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, zuständig für Außenpolitik, Verteidigung, Menschenrechte. Guten Morgen!
    Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Simon!
    Simon: Herr Mützenich, Iran und Saudi-Arabien sind Erzrivalen in der Region, sie stehen sich gegenüber in Stellvertreterkriegen in Syrien, im Jemen, im Irak. Wie gefährlich ist die Eskalation jetzt?
    Mützenich: Sie ist auf jeden Fall - eine neue Eskalationsstufe ist erreicht, auch durch den Abbruch der diplomatischen Beziehungen, Rückzug des diplomatischen Personals. Ich glaube schon, dass das ein sehr deutliches Zeichen ist, was auch möglicherweise in den nächsten Wochen Dinge erschweren wird, wofür wir Saudi-Arabien, aber auch den Iran brauchen, nämlich die Verhandlungen über Syrien, die Verhandlungen über den Jemen, alle unter dem Dach der Vereinten Nationen, und die Bundesregierung wird alles dafür tun, dass diese Gespräche beginnen und zumindest auch einen erfolgreichen Verlauf nehmen. Aber wir sind nicht die entscheidenden Akteure. Das sind andere Länder.
    "Für einen Dialog werben"
    Simon: Sie sagen, wir sind nicht die entscheidenden Akteure, aber die Bundesregierung betrachtet ja Saudi-Arabien als strategischen Partner. Wie viel Einfluss hat denn die Bundesregierung bei ihrem strategischen Partner, darauf zu drängen, jetzt mal einen Gang zurückzufahren?
    Mützenich: Nun, nicht nur offensichtlich die deutsche Bundesregierung, selbst die Weltmacht USA haben ja offensichtlich in den letzten Jahren Einfluss in Saudi-Arabien verloren, das hat ja auch Präsident Obama immer wieder erläutert. Und ich glaube, deswegen ist es umso notwendiger, dass wir mit verlässlichen Partnern versuchen, auch in der Region eben den Einfluss zu nehmen, der uns überhaupt zusteht, nämlich Konflikte, die uns ja auch betreffen - über Fluchtursachen ist in den letzten Monaten immer wieder diskutiert worden -, diese Fragen auch in den Vordergrund zu bringen. Und ich finde das, was der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier immer wieder unternommen hat, auch in Saudi-Arabien für einen Dialog und letztlich auch für den iranischen Atomkompromiss zu werben, das ist schon nachahmenswert, und ich glaube, da wird er auch nicht nachlassen.
    Simon: Sie sprechen von verlässlichen Partnern. Ist denn Saudi-Arabien, ein Staat, der jemanden, der friedlich gegen die Unterdrückung einer Minderheit exekutiert und 46 andere dazu aus unterschiedlichen Gründen, ist das ein verlässlicher Partner und ein Partner, wie wir uns den in Deutschland vorstellen?
    Mützenich: Für mich nicht, und das ist bei mir aber auch keine neue Position. In den letzten Jahren habe ich oft genug bestimmte Entscheidungen in Saudi-Arabien kritisiert, habe aber auch zur Kenntnis nehmen müssen, dass zumindest der verstorbene König versucht hat, gesellschaftliche Fortschritte im Land zu erreichen. Offensichtlich haben zurzeit politische Akteure in Riad auch das Heft in der Hand, die stärker eben auch auf Eskalation setzen, auch auf eine deutliche Sprache. Und ich bedaure es, dass sie zum Beispiel eben im Jemen so unterschiedslos und so massiv auch gegen die Zivilbevölkerung einen Krieg führen, und ich glaube, das muss auch offen benannt werden.
    "Begriff der strategischen Partnerschaft seit Jahren nicht mehr gefallen"
    Simon: Sie sagen, Sie sehen das anders, aber die Bundesregierung mit einem SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier setzt trotzdem auf einen strategischen Partner, der handelt, wie wir gerade besprochen haben. Der hat eine religiöse Staatsideologie, den wahhabitischen Sunnismus, der oft deckungsgleich ist mit Überzeugungen, die auch der Islamische Staat hat.
    Mützenich: Ich glaube nicht, dass die Bundesregierung kritische Töne vermissen lässt. Auch der deutsche Außenminister hat in den Gesprächen auch auf die Menschenrechtssituation hingewiesen. Ich verstehe aber auch die Rolle der Bundesregierung, weil wir eben auch nicht umhin können, Saudi-Arabien, der eben ein unverzichtbarer Akteur für die Befriedung der Situation ist, natürlich auch einen Dialog, natürlich auch Gespräche brauchen -
    Simon: Aber warum nennen wir den gleich einen strategischen Partner? Das geht ja ein Stück weiter.
    Mützenich: Ich meine, das hat doch, glaube ich, in den letzten Monaten und Jahren niemand mehr in den Mund genommen, dass man sozusagen von einem strategischen Partner gesprochen hat, so wie Vorgängerregierungen. Hier ist doch ein kritisches Verhältnis entstanden, und nehmen Sie allein den Bundeswirtschaftsminister. Er hat doch genug kritische Töne gegenüber Saudi-Arabien, aber auch mein Fraktionsvorsitzender Oppermann in den letzten Wochen immer wieder gezeigt. Und da ist der Begriff der strategischen Partnerschaft nicht gefallen.
    Simon: Aber wie kritisch ist das, wenn wir im Gegenzug trotzdem Waffen liefern und weiter da mitmachen?
    Mützenich: In der Tat. Ich kann nur die Bundesregierung ermutigen, an einem restriktiven Kurs in Saudi-Arabien festzuhalten. Alles das, was wir in der Öffentlichkeit gehört haben, die Diskussionen im Sicherheitsausschuss der Bundesregierung sind ja geheim, deutet ja darauf hin, dass die Bundesregierung eben nicht mehr so offensiv liefern will. Zum Beispiel sind Rüstungslieferungen, Komponenten für eine deutsche Firma, die dort in Saudi-Arabien in Lizenzproduktion eine Fabrik damals aufgebaut hat, zurückgehalten worden. Und da ist meine Fraktion sehr klar. Sie hat immer wieder den Bundeswirtschaftsminister oder den Außenminister ermutigt, an diesem restriktiven Kurs festzuhalten und selbst zum Beispiel auch einen rechtsförmigen Widerspruch vonseiten dieser Firma auszuhalten.
    "Restriktiven Kurs gegenüber Riad fahren"
    Simon: Aber Herr Mützenich, Sie sagen, wir ermutigen die Bundesregierung - Sie sind ja nicht in der Opposition, das sind die Linken, das sind die Grünen bei uns. Ihre Partei, der Bundeswirtschaftsminister ist in Ihrer Partei, steht hinter diesen Waffenexporten. Wieso gelingt es Ihnen nicht...
    Mützenich: Das sehe ich aber nicht, Frau Simon, sondern der Bundeswirtschaftsminister hat sowohl in den Diskussionen im Plenum als auch in der Öffentlichkeit für seinen Kurs geworben, der nämlich insbesondere in der Bundesregierung deutlich gemacht hat, eben nicht mehr an diesen Waffenlieferungen, wie sie in der Vergangenheit entschieden worden sind, festzuhalten, sondern einen restriktiveren Kurs zu fahren, insbesondere im Bereich der kleinen Waffen -
    Simon: Aber weiter Waffen zu liefern.
    Mützenich: Nein, aber eben - das müssen Sie mir jetzt aber dokumentieren, wo neue Entscheidungen die Bundesregierung getroffen hat. Das sind Vorgängerentscheidungen gewesen, wo wir ja auch eine Diskussion gehabt haben, auch mit dem Koalitionspartner, ob wir nicht Gesetze verändern können, dass Entscheidungen, die früher im Bundessicherheitsrat gefallen sind, nicht auch zurückgenommen werden können. Ich halte an dieser Linie fest. Wir müssen es restriktiv tun und insbesondere auch gegen Saudi-Arabien zeigen, dass Entscheidungen nicht mehr so wie in der Vergangenheit getroffen werden. Und das hat die Bundesregierung, das hat dieser Bundeswirtschaftsminister auch getan.
    "Es wird keine militärische Lösung in Syrien geben"
    Simon: Wie schätzen Sie denn die Chancen ein, dass angesichts der aktuellen Eskalation das, was Sie eingangs sagten, nämlich eine Zusammenarbeit mit Blick zum Beispiel auf Syrien und den Jemen, überhaupt zustande kommt, wie derzeit in Aussicht genommen? Es sollte ja Ende Januar ein erstes Treffen geben.
    Mützenich: Wir wollen eben unter dem Dach der Vereinten Nationen diese Gespräche führen. Dafür hat Deutschland massiv gearbeitet, und das werden wir auch in den nächsten Tagen tun. Ich hoffe immer noch, dass diese Gespräche nicht nur beginnen, sondern dass sie auch konstruktiv und erfolgreich geführt werden, und da müssen wir zum Beispiel eben auch auswärtige Akteure wie die USA, aber auch Russland weiterhin bestärken, an dieser Rolle festzuhalten und insbesondere regionale Akteure wie den Iran und Saudi-Arabien, die eben auf Kriegsparteien in Syrien Einfluss haben, diesen Verhandlungstisch zu suchen. Es wird keine militärische Lösung in Syrien geben, und das muss man auch Riad klar machen. In den vergangenen Jahren haben sie eine andere Politik dort gefahren, und umso mehr glaube ich, müssen wir mit Partnern daran arbeiten, eine diplomatische Lösung für Syrien zu finden. Das ist auch in unserem eigenen Interesse.
    Simon: Sehen Sie im Augenblick in Riad, in Saudi-Arabien, den schwierigeren Verhandler als in Teheran, dem Iran?
    Mützenich: Nein, das darf man nicht unterscheiden. Iran, insbesondere, wenn man auf die innenpolitische Situation schaut, verfolgt Minderheiten, geht massiv auch in religiösen Fragen gegen bestimmte Menschen vor, die Bahai zum Beispiel. Aber auf der anderen Seite ist Saudi-Arabien ein genau so schwieriger Partner zum jetzigen Zeitpunkt.
    Simon: Und was empfehlen Sie in der weiteren Auseinandersetzung? Sie sagen, die deutschen Mittel sind begrenzt, auf die USA hören die Saudis auch nicht, auf die Russen sowieso nicht.
    Mützenich: Weiterhin insbesondere dann, wenn unser Einfluss nicht so groß ist, andere Partner zu finden, die versuchen, eben auch Einfluss zu nehmen. Das sind die USA. Aber ich glaube eben, auch auf Russland und andere Partner letztlich einzuwirken, die versuchen, unter dem Dach der Vereinten Nationen eine politische Lösung für Syrien zu finden. Ich bin immer noch sehr zuversichtlich, dass wir diese Gespräche führen können. Alle müssen ein Interesse daran haben, weil es gibt keine militärische Lösung.
    "Die Motive liegen in Riad in der innenpolitischen Frage"
    Simon: Herr Mützenich, haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Saudis in der derzeitigen Situation diese Geschichte so haben eskalieren lassen? Es war ja abzusehen, dass die Hinrichtung eines so bekannten schiitischen Geistlichen Proteste auslösen wird.
    Mützenich: Ich glaube, die Motive liegen in Riad sowohl in der innenpolitischen Frage, dass man eben nicht bereit ist, eine Minderheit, die wirklich auch versucht hat in den letzten Jahren, einen politischen Dialog mit dem Königshaus zu führen, dass man das wieder unterstützt. Offensichtlich gibt es in Riad Gruppen, die eine andere Sprache sprechen wollen. Aber sie müssen auf der anderen Seite, glaube ich, gerade diese Gruppen, erkennen, sie werden keinen Erfolg damit haben. Im Jemen haben sie schnell einen militärischen Erfolg ihrer Bevölkerung versprochen, auch den Golfstaaten, und in der Innenpolitik werden sie auch auf die schiitische Minderheit zugehen müssen.
    Simon: Die Bundesregierung, aber auch andere Länder, haben sich im Fall des verfolgten Bloggers Raif Baddaui sehr eingesetzt, zum Beispiel Wirtschaftsminister Gabriel bei seinem Besuch in Saudi-Arabien. Der schiitische Geistliche Nimre al-Nimre, der jetzt hingerichtet worden ist, der ist ja schon 2014 zum Tod verurteilt worden. Hätten wir, hätten viele Länder in der Welt schon viel früher darauf achten müssen, dass es hier nicht zum Äußersten kommt?
    Mützenich: Das hat ja die Bundesregierung, aber das hat ja zum Beispiel auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen getan. Er hat ja nicht erst gestern zum Beispiel erklärt, dass an dem Prozess alle Prinzipien, die wir vertreten, fehlen. Leider ist es eben nicht gelungen, die saudi-arabische Führung, eine politische Gruppe, die durchaus auch im Königshaus scheinbar umstritten ist, zu überzeugen, einen anderen Weg zu gehen. Ich hoffe, dass Saudi-Arabien sieht, dass das, was an Kritik, an berechtigter Kritik hier zurzeit diskutiert wird, gerade auch in Europa, dass es vielleicht wirkt, und leider haben sie die falsche Entscheidung in den vergangenen Tagen getroffen.
    Simon: Bei uns im Studio war Rolf Mützenich, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Mützenich, vielen Dank dafür!
    Mützenich: Vielen Dank, Frau Simon, für die Einladung!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.