Krieg im Nahen Osten
Hintergründe zum Abkommen im Gaza-Krieg

Seit heute Vormittag soll das Waffenstillstands-Abkommen zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas gelten. Wie sollen die nächsten Schritte aussehen und wie wahrscheinlich ist es, dass das Abkommen langfristig hält?

    Demonstranten halten Bilder von den Geiseln der Hamas und fordern ein sofortiges Geiselabkommen, um die Überlebenden zu retten, während Netanjahu das Regierungskabinett einberuft.
    Demonstranten mit Bildern von Hamas-Geiseln. In einer ersten Phase sollen 33 von ihnen freigelassen werden. (Archivbild) (picture alliance / ZUMA / Nir Alon)
    Wesentliche Punkte der Übereinkunft sind eine sechswöchige Waffenruhe, die Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Hamas und die Entlassung Hunderter palästinensischer Häftlinge. Außerdem soll die humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen intensiviert werden. Abgemacht war, dass die Waffenruhe im Gazastreifen Sonntag ab 7.30 Uhr MEZ gilt - die Umsetzung verzögerte sich zunächst und ist um 10.15 Uhr erfolgt. Hier Antworten auf wichtige Fragen.

    Wie viele israelische Geiseln sollen freikommen?

    Während der Waffenruhe sollen 33 der mutmaßlich 98 verbliebenen Geiseln freikommen, die sich in der Gewalt der Hamas befinden. Laut der israelischen Regierung war die Freilassung der ersten drei Geiseln heute um 15.00 Uhr unserer Zeit geplant. Nach israelischen Angaben handelt es sich um drei Zivilistinnen. Die Hamas nannte die Namen der drei Frauen: Romi Gonen, Doron Steinbrecher und Emily Damari. Etwa zur gleichen Zeit sollten in Israel die ersten rund 90 palästinensischen Häftlinge freigelassen und von Sicherheitskräften entweder ins besetzte Westjordanland oder in den Gazastreifen gebracht werden. 

    Weshalb hat sich die Umsetzung des Abkommens zunächst verzögert?

    Die Hamas hatte die Liste mit den Namen der Geiseln zunächst anders als vereinbart nicht an Israel übermittelt. Als Grund gab die Hamas "technische Störungen" an. Ein israelischer Militärsprecher teilte mit, solange die Hamas ihren Verpflichtungen nicht nachkomme, würden die Abmachungen nicht greifen und die Angriffe im Gazastreifen weitergehen. Inzwischen wurde die Liste aber übermittelt und das Abkommen ist in Kraft getreten.

    Wie viele palästinensische Häftlinge werden entlassen?

    Im Gegenzug zur Freilassung der 33 israelischen Geiseln werden nach israelischen Angaben Hunderte palästinensische Häftlinge aus Israels Gefängnissen entlassen. Das Justizministerium veröffentlichte eine Liste mit den Namen von mehr als 90 Insassen, die heute gegen die ersten drei Geiseln ausgetauscht werden sollen. Insgesamt sollen in der ersten Phase 737 Häftlinge freikommen, später weitaus mehr.

    Was ist mit dem Widerspruch von Angehörigen der Terroropfer?

    Am frühen Sonntagmorgen hat das israelische Gericht offenbar eine weitere Hürde für das Abkommen ausgeräumt. Es lehnte laut israelischen Medienberichten eine Petition von Hinterbliebenen gegen die Freilassung von palästinensischen Sicherheitsgefangenen im Rahmen des Abkommens ab. Nach israelischem Recht dürfen Angehörige von Terroropfern gegen die Freilassung bestimmter palästinensischer Häftlinge Einspruch einlegen.

    Wie soll die humanitäre Hilfe ermöglicht werden?

    Der Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen soll wieder öffnen und die Einfuhr humanitärer Hilfe für die Palästinenser deutlich aufgestockt werden. Die Vorbereitungen hierfür laufen laut ägyptischen Sicherheitsquellen. Demnach wurde zunächst intensiv daran gearbeitet, Einrichtungen, Straßen und Gebäude an dem Grenzübergang instandzusetzen. Dutzende Lastwagen stünden bereit, um bei Öffnung des Übergangs Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bringen. Insgesamt wurden nach Angaben des Ägyptischen Roten Halbmonds rund 600 Lkw mit Hilfsgütern vorbereitet. Am Sonntagnachmittag erreichten erste Hilfsgüter den Gazastreifen.

    Welche weiteren Schritte sind vorgesehen?

    Israels Militär soll aus dicht besiedelten Gebieten des Gazastreifens abziehen. Die in den Süden des abgeriegelten Küstenstreifens geflohenen Einwohner sollen sich wieder frei bewegen und unter internationaler Aufsicht in ihre Wohngebiete im Norden Gazas zurückkehren dürfen.
    Details der zweiten und dritten Phase des Abkommens über ein dauerhaftes Ende des Krieges und einen kompletten Abzug Israels aus dem Gazastreifen wollen die Konfliktparteien während der ersten Phase klären.

    Wie wahrscheinlich ist es, dass das Abkommen hält?

    Wie stabil das Abkommen langfristig sein wird, ist fraglich. Die intensiven Verhandlungen der vergangenen Tage, als es in letzter Minute noch um strittige Detailfragen ging, zeigten nach Einschätzung von Beobachtern, wie heikel das Gesamtpaket ist. Angesichts des tiefen Misstrauens ist offen, ob sich Israels Regierung und die Hamas über Wochen an die vereinbarten Schritte halten werden.
    Sollte das Abkommen scheitern, könnten die Kämpfe in dem weitgehend zerstörten Palästinensergebiet erneut ausbrechen - zumal es auf beiden Seiten entschiedene Befürworter einer Fortsetzung des Krieges gibt. So könnte sich Netanjahu dafür entscheiden, aus dem Abkommen auszusteigen, um den Zusammenbruch seiner Regierungskoalition zu vermeiden, wie Daniel Levy, ein früherer israelischer Regierungsbeamter und Verhandlungsführer, dem "Wall Street Journal" sagte.
    Diese Nachricht wurde am 19.01.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.