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Afghanistan
Warum die Taliban Frauenrechte immer mehr einschränken

In Afghanistan unter den Taliban werden Mädchen und Frauen immer stärker benachteiligt. Fürs Regime sind Frauenrechte ein Faustpfand im Kampf gegen die Sanktionen der Welt. Sie sind aber auch Gegenstand interner Differenzen zwischen den Fraktionen.

Von Marc Thörner |
Eine 14-jährige Wasserverkäuferin auf einem Kabuler Friedhof, lesend, während sie auf Kundschaft wartet
Frauen und Mädchen haben es immer schwerer in Afghanistan - entgegen der ursprünglichen Ankündigung, sie sollten auch unter den Taliban zur Schule gehen und studieren können (picture alliance / AP / Ebrahim Noroozi)
Eine Geburtsklinik in Badakshan im Norden von Afghanistan. In langer Schlange warten hier Frauen auf Behandlung; getrennt von ihnen: die zur Begleitung mitgekommenen Ehemänner, Brüder oder anderen männlichen Verwandten. Sie alle warten jedoch vergebens. Denn, so meldet eine Frauenärztin: bereits am Vortag haben die radikalislamischen Taliban die Klinik geschlossen.
"Wissen Sie, was hier am 1. Januar passiert ist? Alle 120 Angestellten wurden gezwungen, zu Hause zu bleiben. Und in der Nacht sind mehrere Patientinnen gestorben, weil keine Ärztin und keine Hebamme mehr da war."
Die ganze Klinik, sagt die Gynäkologin, soll jetzt nach Ostafghanistan verlegt werden. Und wenn sie dort wiedereröffnet wird – im erzkonservativen Kernland der Taliban – dann möglicherweise ganz ohne Ärztinnen und weibliches Fachpersonal. In einem Land, in dem Frauen nicht von Männern untersucht und behandelt werden sollen, käme das einem Ausschluss von der medizinischen Versorgung gleich.

Fortgesetzte Entrechtung der Mädchen und Frauen

"Die Taliban glauben sowieso, dass sich Krankheiten heilen lassen, indem man bestimmte Verse des Koran vorliest."
Angesichts der jüngsten Frauendekrete der militant-islamistischen Taliban-Führung ist Leila nicht viel mehr geblieben als Sarkasmus. Die junge Frau, die eigentlich anders heißt, kommt aus dem westafghanischen Herat und hat ihr Lehramts-Studium dort bereits abgeschlossen. Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 organisiert sie zusammen mit Gleichgesinnten Proteste gegen die fortgesetzte Entrechtung. Afghaninnen dürfen nur noch bis zur sechsten Klasse zur Schule gehen. Seit Ende Dezember dürfen sie nicht mehr für Nichtregierungsorganisationen tätig sein. Und nur Tage zuvor war Frauen per Dekret auch das Studium an Universitäten untersagt worden. Leila:
"Am Tag der Unischließung wurden Klausuren geschrieben. Und dann kam plötzlich die Aufforderung, Frauen sollten das Unigelände räumen. Die Studentinnen waren sehr wütend und wollten das nicht akzeptieren. Mitten aus der Klausur heraus die Universität verlassen? Einfach nach Hause gehen und dort rumsitzen? Was sollte das?"

Schüsse in die Luft und Wasserwerfer gegen die Demonstrantinnen

Einige Studentinnen entschlossen sich sofort, gegen diesen Erlass zu demonstrieren. Es bildeten sich zwei Gruppen. Die eine versammelte sich spontan vor dem Rathaus von Herat. Die andere wollte in der Universität protestieren. Die Taliban verhinderten das; sie schossen in die Luft und setzten Wasserwerfer gegen die Demonstrantinnen ein.
Leila gehört zu einer Generation junger Frauen in Afghanistan, die mit der Aussicht auf Ausbildung, Studium und Beruf aufgewachsen sind. Dass ihre Heimat nun das wohl einzige Land der Welt sein soll, das so etwas verbietet, löste bei ihr und ihren Altersgenossinnen zuerst Unglauben aus. Und dann Empörung.
"Am Anfang haben die Taliban auf unsere Proteste nicht aggressiv reagiert; sie haben uns nicht ernst genommen. Aber auf der zweiten Demo merkten sie, wie viele wir waren. Dann wurden sie wütend und beschimpften uns als schamlose Frauen. Sie bedrohten uns mit Waffen. Und sie setzten Peitschen ein, um uns zu schlagen."

Kehrtwende der Taliban nach der Machtübernahme 2021

Dass die Taliban die Frauenrechte so drastisch einschränken, das hat auch Experten und internationale Helfer überrascht. Wohl auch, weil...
"die Taliban in den Jahren 2010 bis 2020 sich ganz anders gegeben haben. Sie haben ein eigenes Bildungskonzept verabschiedet, in dem sie deutlich machen, dass auch Frauen Bildung bekommen sollen", so Conrad Schetter, Afghanistanexperte am Internationalen Zentrum für Konfliktstudien in Bonn.
"Auch wenn man in die düstere Zeit der Taliban Ende der 90er-Jahre zurückdenkt: Obwohl auch damals Arbeit von Frauen verboten war, gab es immer das Argument: Es ist verboten, weil die Sicherheitslage es nicht hergibt. Dieses Argument fehlt gegenwärtig. Sondern man sagt: Auch jenseits von Sicherheit will man Frauen ausschließen. "
Was also sind die Gründe dafür, die Frauenrechte gerade jetzt so stark zu beschneiden? Seit die Taliban im August 2021 die Macht übernommen haben, halten sie sich mit Kommentaren und Erklärungen zurück. An einer Stelle jedoch setzt man auf Dialog.

Regime unter internationalem Boykott

Das Ministerium für Finanzen liegt im Zentrum der Hauptstadt Kabul, ein grauer Gebäudeblock mit ausgetretenen Treppen und abgeschabten Wänden, Teegeruch strömt aus halb geöffneten Büros. Ahmad Wali Haqmal leitet die Abteilung für Öffentlichkeit, er ist Religionsgelehrter, so wie die meisten Führungskader des Regimes. Und er möchte vor allem eine Botschaft an das Ausland senden. Es ist dieselbe, die die Taliban seit anderthalb Jahren ständig wiederholen, seit nämlich die meisten Staaten ihr Islamisches Emirat konsequent boykottieren:
"Unser größtes Problem ist das eingefrorene Geld. Zum einen hat die internationale Hilfe aufgehört. Und zum anderen wurde auch das Geld eingefroren, das uns selbst gehört, und ich meine nicht: unserem Emirat, sondern der Bevölkerung."
Haqmal meint damit die im Ausland gelagerten afghanischen Zentralbankreserven, die wegen der Machtübernahme der Taliban eingefroren wurden. Die politische Bilanz der Taliban ist bisher katastrophal. Die Wirtschaft ist am Boden, schätzungsweise jeder zweite Afghane ist von Hunger bedroht. Zeitgleich baut eine noch radikalere Organisation im Land ihre Macht aus: der so genannte Islamische Staat. Für die Terrororganisation sind die Taliban nur ein lascher Abklatsch jenes noch radikaleren Islam, wie ihn der IS vertritt.

Unklar was die jetzt erlassenen Frauendekrete bedeuten

Die jetzt erlassenen Frauendekrete könnten da einerseits eine Warnung an die internationale Gemeinschaft sein, um zu zeigen, was alles möglich wäre, wenn die Sanktionen nicht aufgehoben werden. Zum Zweiten könnten die neuen Gesetze ein Versuch sein, Stärke zu beweisen. Das Islamische Emirat nicht als einen Failed State, einen gescheiterten Staat erscheinen zu lassen, sondern als einzigartigen Erfolg. Noch einmal Ahmad Wali Haqmal aus dem Finanzministerium der Taliban:
"Unter den 50 Staaten der islamischen Welt gibt es bisher nicht einen einzigen vollständig islamischen Staat. Einen Staat, der seiner Nation durch den Islam alle Möglichkeiten gibt und alle Rechte gewährt, die Allah uns gelehrt hat, durch den Koran und durch die Sunna. Deshalb glauben wir, dass wir zu einem Modell für die gesamte Welt werden, vor allem für die islamische Welt."
Junge Studierende in Kabul demonstrieren gegen Studienverbot für Frauen
Junge Frauen in Kabul beim Protest gegen das Studienverbot für Frauen (picture alliance / Anadolu / Bilal Guler)

Bedeutung der Stammestradition

Forscht man nach, was denn den Islam der Taliban von dem in anderen konservativ-islamischen Staaten unterscheidet, findet man Antworten weniger in der Theologie. Der Unterschied liegt vor allem in der Führungsstruktur des Islamischen Emirats. Die Wortführer der Taliban sind ethnische Paschtunen. Die politischen und religiösen Anführer werden als „die Ältesten“ bezeichnet.
"Wer diese Ältesten sind? (Lacht.) Na eben unsere Ältesten. Also das Gros derjenigen, die in unserem Kabinett sind, unser Premierminister, die Stellvertreter. Und der Amir al Mu’minin, der Führer der Gläubigen, unser oberster Führer. Und dann haben wir Persönlichkeiten, die nicht in Regierungspositionen hineinwollen, die aber höchst wichtig für uns sind. Sie waren in den vergangenen 20 Jahren des Widerstands die Anführer. Sie nehmen eine Stellung ein, die sie berechtigt, dass wir sie unsere Ältesten nennen. Sie sind diejenigen, die die Entscheidungen treffen. Und wir gehorchen ihnen."

Ungeschriebene Regeln sind Frauen gegenüber äußerst rigide 

„Die Ältesten“ – eigentlich ein Terminus aus der Stammestradition. Was den Islam der Taliban von den islamischen Auslegungen in anderen Staaten unterscheidet, sind ungeschriebene Regeln. Und diese ungeschriebenen Regeln sind Frauen gegenüber äußerst rigide. Es ist der so genannte Paschtunwali, der Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen.
"Die allerdings auch wieder aus verschiedenen Stammesgebieten kommen", betont Conrad Schetter. "Und hier hat man einen regionalen Kampf zwischen denjenigen, die aus Kandahar kommen, also aus dem Süden; und da hat man es mit dem Führer der Taliban, dem spirituellen Oberhaupt, Abitullah Ahund zu tun, der ein spiritueller Führer ist. Er ist kein Kämpfer, sondern jemand, der in einer gewissen Weise entrückt ist und in einer eigenen spirituellen Welt lebt und der hier wohl verantwortlich dafür ist, dass solche Edikte wie das Frauenverbot zustande kommen, also jemand, der sozusagen mit den lebensweltlichen Dingen wenig beschäftigt ist."
"Der hat nie studiert. Das ist ein Mullah. Und der hat sich auch umgeben mit den intellektuell sehr einfach strukturierten anderen Taliban-Führern in Kandahar. Dort sind die Dekrete erlassen worden", so sieht es Reinhard Erös, Gründer und Betreiber der „Kinderhilfe Afghanistan“.
Seit 20 Jahren arbeitet er mit seiner Nichtregierungsorganisation vor allem im Osten Afghanistans, im Kernland der Taliban. Er kennt deren Strukturen und steht mit einigen der Führer in engem Kontakt.
"In Kabul haben wir eine zweite Gruppe von Taliban-Führern, das sind mehr die Gebildeten, das sind die, die mehr moderat sind, von denen ein Teil während der letzten Jahre in Doha war, von denen ein Teil mit den Amerikanern verhandelt hat, von denen ein Teil in Pakistan auch war und ist."
Lesende afghanische Mädchen in Kopftuch und langen Gewändern in einer Bibliothek in Kabul
Lesende Mädchen in einer Bibliothek in Kabul (picture alliance / Anadolu / Bilal Guler)

Differenzen zwischen spirituellem Führer in Kandahar und Kabul-Gruppe

Die sogenannte „Kabul-Gruppe“, die Erös als gebildet beschreibt, die Rede ist auch von „den Haqqanis“, weil sie Gefolgsleute des Taliban-Innenministers Siradschuddin Haqqani sind. Der Afghanistan-Experte Conrad Schetter:
"Hier ist etwa bekannt, dass die so genannte Haqqani-Gruppe zwar ein sehr radikales, gewalttätiges Auftreten hat, aber etwa bei dem Thema Frauenbildung doch durchaus moderate Töne anschlägt, in ihrer Region es immer eine Selbstverständlichkeit war, dass Frauen arbeiten durften und auch zur Schule gehen durften."
Trotz ihrer Akzeptanz für Frauenbildung, aus Sicht von Guido Steinberg, Islamexperte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik überwiegt bei den Haqqanis eindeutig das radikale Element.
"Angeführt wird die Organisation von Siradschuddin Haqqani. Und dieser Haqqani ist tatsächlich Innenminister. Das Haqqani-Netzwerk hat eine stark dschihadistische Ausrichtung. Das Haqqani-Netzwerk hat exzellente Beziehungen zu al Kaida. Und seit 1996 wird al Kaida von der Haqqani-Organisation beschützt, und nicht von den Taliban insgesamt. Und es ist auch kein Zufall, dass unter den afghanischen Mitgliedern von IS-Afghanistan ganz viele ehemalige Haqqani-Kämpfer sind. Die Haqqanis sind ganz einfach für die Dschihadisten ideologisch anschlussfähig."

Viele Hilfsorganisationen haben Arbeit vorerst niedergelegt

Einerseits also eine erzkonservative Gruppe in Kandahar um den so genannten Führer der Gläubigen, Mullah Ahundzadah, die ihr Stammesdenken zum Weltmaßstab erheben will. Andererseits eine paschtunische Dschihadistengruppe in Kabul mit Anbindung ans Terrornetzwerk der al Kaida? Eine schwierige Situation für internationale Helfer. Viele Organisationen haben ihre Arbeit nach dem Erlass der strengen Frauengesetze im Dezember vorerst niedergelegt. Reinhard Erös von der „Kinderhilfe Afghanistan“ jedoch macht weiter. Der Entwicklungshelfer und ehemalige Bundeswehr-Arzt hält Kontakt zu einem der beiden Taliban-Machtzentren, nämlich zur Haqqani-Gruppe. Er habe im Dialog auch konkrete Zugeständnisse erreicht. Etwa dass Frauen nicht vom Medizinstudium ausgeschlossen werden und nicht von der Arbeit in medizinischen Berufen; zumindest in dem Teil Ostafghanistans, in dem Erös seine Hilfszentren und Bildungseinrichtungen unterhält.
"Und das wird auch nicht passieren. Wir haben mit dem Gesundheitsminister der Taliban in Anführungszeichen, den wir seit 20 Jahren recht gut kennen, persönlich auch kennen, der bei uns in Nangahar, wo wir arbeiten, dort Medizin studiert hat – ein hochgebildeter Mann, ein hochgebildeter Talib, der auch sehr gut Englisch spricht – mit dem haben wir auch regelmäßig Kontakt. Und der wird das nicht zulassen, dass Mädchen nicht Medizin studieren oder nicht weiter Medizin studieren können."
Das wäre zumindest eine neue Entwicklung. In den Restaurants, den Kebab-Stuben Kabuls, also auch dort wo sich die Männer treffen, macht sich inzwischen Unmut breit.
"Und dort wird das schon diskutiert seit ein paar Wochen, wie das jetzt ist mit den Kindern der Taliban-Führer. Dürfen die auch nicht in die Schule gehen, dürfen die auch nicht studieren? Und da ist jetzt herausgefunden worden, dass da eben etliche ihre Kinder in Islamabad, also Pakistan, oder auch in Lahore oder auch in Doha auf die Universitäten schicken. Und die dort – auch im westlichen Sinne – eine gute akademische Ausbildung bekommen. Das spricht sich jetzt herum, vor allen Dingen auch in den sozialen Medien, und das erregt natürlich schon Ärger."

"Ausland muss alles tun, um Taliban unter Druck zu setzen"

Kritik nur hinter vorgehaltener Hand zu äußern, das ist für die ausgebildete Lehrerin Leila aus Herat und ihre Freundinnen keine Option. Sie haben sich seit dem Machtwechsel dazu entschlossen, ihren Protest in die Öffentlichkeit zu tragen:
"In meiner Gruppe waren wir am Anfang 20 Frauen. Von ihnen machen jetzt noch elf weiter. Auch wenn es sehr schwer geworden ist, sich untereinander zu kontaktieren und Proteste zu organisieren. Meistens läuft das über Whats App."
Leila und ihre Verbündeten wissen, dass sie ein hohes Risiko eingehen. Den Frauen drohen Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, Sanktionen gegen die Familien, wenn nicht noch Schlimmeres. Viele sehen sich gezwungen, Afghanistan zu verlassen. Auch deshalb hofft Leila auf eine klare Ansage der internationalen Gemeinschaft.
"Das Ausland muss alles tun, um die Taliban unter Druck zu setzen. Auf andere Methoden reagieren sie nicht."
Die Bundesregierung hat die afghanischen Frauendekrete verurteilt, das SPD-geführte Entwicklungsministerium hat seine Hilfsprojekte vorerst angehalten. Als Reaktion auf das Studienverbot durch die radikalislamischen Taliban will die Bundesregierung nun gezielt afghanische Frauen im benachbarten Ausland fördern: Rund 5.000 Afghaninnen soll ein Hochschulstudium etwa in Pakistan, Kirgistan oder Bangladesch ermöglicht werden.

Geopolitische, Taliban- und Bevölkerungsinteressen

Für die internationale Entwicklungshilfe bleibt der Umgang mit dem Taliban-Regime eine Gratwanderung, denn letztlich geht es darum, der notleidenden Bevölkerung zu helfen. Deshalb warnt Reinhard Erös von der Kinderhilfe Afghanistan davor, Entwicklungshilfe mit politischen Bedingungen zu verknüpfen.
"In den Mutter-Kind-Kliniken, die wir dort betreiben, da treffen wir eine Fülle jede Woche an fehl-, mangel- und unterernährten Säuglingen an, so dass wir mit dem Verteilen von Säuglingsnahrung für junge Mütter gar nicht mehr richtig nachkommen. Wenn sich die anderen Organisationen, die das teilweise auch gemacht haben, auch davon zurückziehen, ins Ausland gehen, nach dem Motto, 'Jetzt bestrafen wir mal die Taliban', dann ist das politisch unsinnig, denn die Taliban bestrafen wir damit nicht. Aber wir bestrafen die afghanische Bevölkerung und unter der wiederum die besonders Bedürftigen, die besonders Armen."
"Wir fokussieren gegenwärtig enorm auf das Thema Frauenpolitik." Der Konfliktforscher Conrad Schetter beobachtet die Lage in und um Afghanistan schon seit langem. Er geht davon aus, dass trotz der scharfen Kritik an der Frauenpolitik der Taliban auch westliche Länder versuchen werden, Gesprächskanäle nach Afghanistan offen zu halten. Nicht nur Afghanistan brauche den Westen. Der Westen brauche auch Afghanistan.
"Ich denke, dass das aus so einer realpolitischen Perspektive ein ganz entscheidender Aspekt ist, den wir sehr schnell übersehen, wenn wir uns nur über die Frauenpolitik unterhalten. Hier gibt es wirklich ganz handfeste Interessen, die ein Rolle spielen. Afghanistan liegt in der Nachbarschaft von so viel Atommächten wie kein anderes Land. Da können Sie China nehmen, Pakistan, Iran als entstehende Atommacht, Russland hat hier sehr großen Einfluss. Indien ist als Atommacht vor Ort. Das heißt, hier gibt es ganz klare geostrategische Interessen an der Region."
Eine optimistische Vision von Afghanistan: Wandgemälde mit Friedenstauben, einer jungen Wählerin und einer Revolutionsfaust mit Stift als Symbol für Bildung
Leila jedenfalls will weiterkämpfen für Frauenrechte, für eine afghanische Zukunft. Auch wenn sie derzeit keine große Hoffnung hat:
"Es geht ja nicht nur ums Studieren. Die Taliban haben uns das ganze Leben weggenommen. Das Neueste, was wir hören ist: Frauen dürfen überhaupt nur noch an zwei Tagen in der Woche vor die Tür gehen, montags und donnerstags, und auch das nur in männlicher Begleitung. Bei solchen Regeln stellt sich die Frage nach dem Studium sowieso nicht mehr."