Ein Vormittag in der Oberen Apotheke in Dachau in Oberbayern. Der Apotheker Maximilian Lernbecher misst bei einer 78-jährigen Patientin den Blutdruck.
„Perfekt. 122 zu 71, ein Traum, dann würde ich Sie jetzt wieder freimachen. Ist aber kein Bluthochdruck. Gut eingestellt, würde ich sagen, der Arzt ist sein Geld wert.“
Lernbecher berät die Patientin, sagt ihr auch, ob der Blutdrucksenker, den sie nimmt, die gewünschte Wirkung hat: Bei ihr scheint das ganz klar der Fall zu sein.
Dass Apotheken Leistungen wie diese erbringen, ist neu. Im vergangenen Jahr hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn von der CDU ein Gesetz auf den Weg gebracht, das es Apotheken ermöglicht, für bestimmte Beratungsleistungen Honorare bei den gesetzlichen und auch privaten Krankenversicherungen abzurechnen.
Apotheker bekommen elf Euro für Blutdruckmessen
Seit einigen Wochen wird das Gesetz angewendet, seitdem bekommen Apotheker wie Maximilian Lernbecher fürs Blutdruckmessen mit kurzer Beratung ein Honorar von rund elf Euro. Wenn er erklärt, wie man ein Inhalationsgerät benutzt, bekommt der Apotheker 20 Euro Honorar, für die Beratung zu möglichen Arznei-Wechselwirkungen, wenn Patienten fünf Medikamente oder mehr einnehmen, gibt es 90 Euro.
Frank Dastych, Arzt und Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, findet das ausgesprochen ärgerlich. Apotheker wüssten wohl gut Bescheid über die chemische Zusammensetzung von Medikamenten, sagt er – nicht aber über Krankheiten.
„Wenn man aber keine Ahnung von den Erkrankungen der Patienten hat, dann kann man die Arzneimitteltherapie schon mal gar nicht beurteilen. Wissen Sie, wenn ich noch niemals in meinem Leben einen Automotor auseinandergebaut habe, dann kann ich auch nicht wissen, ob die Werkzeuge, die hier auf dem Tisch liegen, dafür die geeigneten sind. Schauen Sie doch mal in das Curriculum rein, was ein angehender Pharmazeut an der Uni so lernt. Und dann frage ich mich allen Ernstes: Würden Sie sich von so jemandem ein hochwirksames, unter Umständen auch nebenwirkungsreiches Arzneimittel verordnen lassen? Würden sie das nehmen? Also ich kenne keinen Menschen, der halbwegs bei Verstand ist, der das machen würde.“
Kassenärztliche Vereinigung Hessen sucht den Klageweg
Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen ist wegen der neuen Pharmazeutischen Dienstleistungen, die Apotheker jetzt abrechnen dürfen, vor Gericht gegangen. Eine Entscheidung steht noch aus. Es geht dabei um eine Grundsatzfrage: Sollen Gesundheitsberufe wie Apotheker, Physiotherapeuten oder Hebammen Aufgaben übernehmen, die bislang Ärztinnen und Ärzten vorbehalten waren?
Der Dachauer Apotheker Maximilian Lernbecher betont, er wolle die Arbeit der Ärzte nicht ersetzen. Doch er sei gerne bereit, die Menschen über die Zusammensetzung ihrer Medikamente zu beraten oder sie gegen Grippe oder Corona zu impfen.
„Es sind viele Patienten mittlerweile, die laufen eben ohne Hausarzt. Es sind viele Patienten, die im Gesundheitswesen vielleicht nicht den Mut haben, den Mund aufzumachen und Leistungen aktiv einzufordern, zum Beispiel in der Arztpraxis. Es sind viele Patienten, die wissen oft auch gar nicht, etwa bildungsferne Patienten mit Sprachproblemen. Das sind Patienten, die kommen in die Apotheke, weil sie da kommen müssen, wenn sie triviale Selbstmedikation betreiben müssen, wollen. Die kann man hier schnappen. Das ist, glaube ich, eine gute Geschichte.“
Pilotprojekte der Regierung zur Grippeimpfung in Apotheken
Vor der Einführung der neuen Pharmazeutischen Dienstleistungen hatte die Bundesregierung bereits Pilotprojekte zur Grippeimpfung in Apotheken gestartet, auch in die Corona-Impfkampagne wurden die Apotheken einbezogen. Schon die Pilotprojekte provozierten jedoch die Kritik vieler Ärzte. Beim Deutschen Ärztetag im Mai in Bremen wählte der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, zum Thema Impfen in Apotheken klare Worte.
„Wir sehen die Gefahr, dass wir anfangen, heilkundliche Tätigkeiten von Menschen ausüben zu lassen, die dafür nicht ausgebildet sind. Wir halten es auch für völlig überflüssig, in deutschen Apotheken zu impfen, weil das Netz von Vertragsarztpraxen in Deutschland derart dicht ist, es gibt ja viel mehr Vertragsarztsitze als Apothekensitze. Völlige Absurdität: Warum soll in Apotheken geimpft werden? Mit welchem Vorteil?“
Etliche Ärzte kritisieren aber die neuen Kompetenzen für Apotheker nicht nur. Sie leisten aktiven Widerstand. Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen beispielsweise ist nicht nur gegen die neueingeführten Pharmazeutischen Dienstleistungen vor Gericht gegangen. Sie hat ihre Mitglieder auch aufgefordert, es zu melden, falls Apotheken Patienten falsche oder zweifelhafte Ratschläge geben sollten. Frank Dastych, der Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, kann nicht verstehen, dass künftig etwa auch Krebspatienten in Apotheken beraten werden sollen. So sei es in der Medizin Standard, Krebskranke nicht in normalen Praxen, sondern möglichst in spezialisierten Tumorzentren zu behandeln.
„Also Patienten, die wir Ärzte, niedergelassenen Ärzte, selber in Zentren schicken, weil wir sagen, hey, Leute, das ist wirklich etwas, was in Expertenhand gehört, und dann gehen die mit ihrem Rezept in die Apotheke, und der Apotheker, der mal so zehn Semester Pharmazie studiert hat, und einen Acht-Stunden-Kurs, das ist ganz wichtig, einen Acht-Stunden-Kurs online bei der Apothekerkammer absolviert hat, der schaut sich dann die Medikamente dieses Patienten an. Also wissen Sie, das ist der entscheidende Knackpunkt für uns: Das hat mit Qualität überhaupt nichts zu tun.“
Verbandschefin hält Kritik an neuem Gesetz für abwegig
Die Vorsitzende der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Gabriele Oberwiening, hält Kritik an dem neuen Gesetz für abwegig. Sie spricht von einem Missverständnis: „Dass Ärzte glauben, dass wir sozusagen ihre initiierte Therapie noch mal kontrollieren wollten. Das ist nicht unser Fokus. Das ist nicht das, was wir wollen. Wir wollen den Menschen helfen, dass sie ihre Therapie verstehen, dass sie ihre Therapie sicher und ganz effizient anwenden, damit es ihnen damit dann bessergeht.“
Die Apothekerchefin sieht in den aktuellen Auseinandersetzungen vor allem einen Verteilungskampf: „Wir müssen auf jeden Fall an der Stelle sehen, dass es hier einen Topf gibt. Und wenn einer aus dem Topf was bekommt, ist schnell Futterneid da bei den anderen. Ist denn das, was du da bekommst, auch das, was mir möglicherweise später weggenommen wird?“
150 Millionen Euro im Jahr für die Apotheken
Zunächst rund 150 Millionen Euro im Jahr sollen die Apotheken als Honorar für die neueingeführten Pharmazeutischen Dienstleistungen erhalten können. Nicht nur die Kassenärztliche Vereinigung Hessen ist gegen die Pharmazeutischen Dienstleistungen vor Gericht gegangen. Auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung hat Klage erhoben. Denn die Honorare sind nach Ansicht des GKV-Spitzenverbandes unangemessen hoch. Man muss aber nicht mit Verbands-Chefs bei Kassen und Ärzteverbänden allein reden. Auch anderswo ist deutlicher Unmut über die neuen Aufgaben für andere Gesundheitsberufe zu hören.
„Also, das ist unsere schöne Hals-, Nasen-, Ohrenpraxis.“ Bernhard Junge-Hülsing ist HNO-Arzt, er betreibt mit drei Kolleginnen eine Gemeinschaftspraxis in Starnberg südlich von München. Im Erdgeschoss des Gebäudes, in dem Junge-Hülsing seine Praxis hat, befindet sich auch eine Apotheke. Mit deren Chef verstehe er sich gut, sagt der Arzt, genauso wie mit anderen Apothekern. Vor allem dann, wenn sie bestimmte Grenzen einhalten.
„Der Apotheker ist ja heutzutage mehr als früher, wo natürlich auch noch sehr pharmazeutisch-chemisch gearbeitet wurde, ein Kaufmann.“ Wenn Apotheker anfangen, medizinische Einschätzungen abzugeben, führe das immer wieder zu Ergebnissen, die ihn ärgern, erzählt der Hals-Nasen-Ohren-Arzt. „Ich habe dem Medikation gegeben, und er sagt, nein, das macht müde, nehmen Sie lieber das, und das kann man auch homöopathisch machen. Und dann kommen die wieder, und dann sagen sie, der Apotheker hat mich beraten. Und das war einfach nicht sachgerecht.“
"Verunsicherung steigt durch nichtärztliche Beratung"
Es sei elementar wichtig, dass Patienten auf das vertrauen, was ihnen in der Arztpraxis erklärt und verschrieben wird, sagt Junge-Hülsing. „Der Haupt-Einwand gegen zusätzliche Beratung durch nichtärztliche medizinische Berufe liegt ja gerade darin, dass die Verunsicherung steigt.“
Wohin sollen Patienten gehen, wenn sie Fragen zu einer Inhalationstherapie haben, zu einer langen Medikamenten-Liste oder zu ihrem Blutdruck? Sind sie mit ihren Fragen in einer Arztpraxis oder in einer Apotheke besser aufgehoben? Dieses Thema sorgt also für Konflikte. Konflikte, deren Vehemenz Fachleute erstaunt.
„Speziell jetzt bei dieser Apotheker-Frage, das ist schon sehr heftig.“ Wolfgang Greiner ist Inhaber des Lehrstuhls für Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement an der Universität Bielefeld. Und er ist stellvertretender Vorsitzender des Gesundheits-Sachverständigenrates, der die Bundesregierung wissenschaftlich berät. Zur Aufteilung der Zuständigkeiten im deutschen Gesundheitssystem hat Greiner eine klare Analyse:
„Grundsätzlich muss man sagen, dass Deutschland sehr, sehr Arzt-zentriert ist, in allem, was wir tun. Auch im Krankenhaus werden viele Dinge vom Arzt direkt oder zumindest sehr indirekt, also er muss dann immer gefragt werden, gemacht, was woanders von anderen nichtärztlichen Berufsgruppen gemacht wird. Auch die Position des Apothekers, gerade wenn man ans Impfen denkt, ist in anderen Ländern eine andere. Die haben dort mehr Tätigkeiten, die ihnen zufallen. Und die Erfahrungen sind eigentlich nicht schlecht.“
Auch Physiotherapeuten oder Pflegefachkräfte sind gefragt
So seien die Impfquoten tendenziell in Ländern höher, in denen Impfungen auch in Apotheken möglich sind. Der Wirtschaftswissenschaftler hält es aber nicht nur aus medizinischen, sondern auch aus rein praktischen Gründen für sinnvoll, wenn mehr Aufgaben in der Gesundheitsversorgung von Berufsgruppen aus dem medizinischen Bereich übernommen werden, die kein Medizinstudium haben.
„Die Vorteile, auch gesundheitsökonomisch, sind vor allem darin zu sehen, dass wir natürlich Ressourcen, die da sind, auch von sehr qualifiziertem Personal sehr breit nutzen können.“
Nicht nur Apothekerinnen und Apotheker könnten eine wichtigere Rolle spielen, findet der Gesundheitsökonom Greiner, sondern auch Physiotherapeuten oder Pflegefachkräfte.
„Zum Beispiel Diabetesversorgung, dass sie sich die Füße angucken und ähnliches. Bei chronischen Wunden, auch bei Demenz, dass man schaut, wie ist die Entwicklung? Welchen Hilfebedarf haben die Familien und ähnliches? Das kann die normale Hausarztpraxis kaum noch leisten, jedenfalls nicht in dem Takt, wie dort die Patienten eben behandelt werden müssen. Und da glaube ich, dass dort - natürlich entsprechend weitergebildete - pflegerische Kräfte das fast noch besser machen können. Die haben mehr Zeit, sind spezialisiert dann auf diesen Bereich, sodass man also nicht irgendwie befürchten muss, dass dadurch ein Qualitätsmangel entsteht.“
Wunsch nach mehr Gelassenheit in der Diskussion
Eine Entlastung der Arztpraxen also – vor allem zu Gunsten von Patientinnen und Patienten. Greiner würde sich wünschen, dass die Diskussion über die künftige Rolle der verschiedenen Gesundheitsberufe mit mehr Gelassenheit geführt wird. Und: Es sei durchaus möglich, fortlaufend zu prüfen, ob es eine gute Idee ist, etwa den Apotheken mehr Verantwortung bei der Betreuung kranker Menschen zu geben: „Genau das muss man dann eben feststellen. Wer war das? Wie viele Medikamente haben die gehabt? Sieht man dann anschließend zum Beispiel, dass eine Reduktion erfolgt ist, sieht man, dass Medikamente weniger dabei sind, die Unverträglichkeiten vielleicht in sich bergen, und so. Das können Sie sogar an Abrechnungsdaten sehen. Also da würde mir ein schönes Evaluationsdesign einfallen.“
Im Gesetz, mit dem die neuen Pharmazeutischen Dienstleistungen eingeführt wurden, ist allerdings keine solche Evaluation vorgesehen. Es gibt keinen gesetzlichen Auftrag, zu prüfen, wie sich die Neuerung auf die Gesundheitsversorgung auswirkt. Die Chefin der Apothekerverbände, Gabriele Overwiening ist aber sicher, dass sich auch ohne eine gesetzlich vorgeschriebene Auswertung belegen lässt, dass etwa die Beratung zu Medikamenten in Apotheken eine gute Sache ist. Sie verweist auf ein Projekt in Sachsen und Thüringen, in dem die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Apothekerverbände und die AOK gemeinsam versuchen, die Arzneitherapie von Patienten besser abzustimmen. Ende Oktober soll eine Auswertung vorgelegt werden. Jetzt schon könne sie sagen:
„Wenn Sie die Ergebnisse sehen, dann brauchen Sie keine Evaluation mehr. Das ist die beste Evaluation, die man wirklich haben kann. Ich darf die Ergebnisse jetzt noch nicht verraten, aber sie sind exorbitant. Sie sind wirklich so beeindruckend, und wir müssen uns hier wirklich darauf besinnen, was haben wir schon an Daten. Nichtsdestotrotz sind wir offen dafür. Auch wir wollen ja gerne belegen, was wir da leisten, und wir werden gucken, was wir und wann wir und wie wir evaluieren. Da wird sicherlich in den nächsten Jahren einiges an Ergebnissen von uns kommen."
Patientenvereinigung: Medikationsberatung in Apotheken sinnvoll
Unabhängig von einer solchen Auswertung gibt es auch außerhalb der Apothekerschaft einige Befürworter der neuen Pharmazeutischen Dienstleistungen. Carola Sraier ist eine der Sprecherinnen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientenstellen. Sie hält eine Medikationsberatung in Apotheken für sinnvoll:
„Wir haben ja eine sehr aufgegliederte Behandlung heute. Wir haben eine Herzerkrankung vom Kardiologen betreut, wir haben internistische Erkrankungen, um die sich der Hausarzt kümmert. Dann haben wir vielleicht noch orthopädische oder rheumatische Beschwerden, und immer geht der Patient zu einem anderen Arzt, und jeder Arzt schaut sich nur dieses kleine Segment an und verordnet dann auch nur in diesem Bereich ein Medikament. Aber weiß der dann in dem Moment immer, was da sonst noch gegeben wird oder was sonst noch für Unverträglichkeiten vielleicht bestehen? Das ist eben nicht der Fall.“
Carola Sraier kennt das Argument, dass durch eine zusätzliche Beratung in den Apotheken zu den vielen Anlaufstellen, die es für Patienten jetzt schon gibt, eine weitere hinzukommt. Das könne man aber vermeiden, sagt sie.
„Natürlich nicht, wenn ich jeden Tag woanders hingehe, sondern wenn ich eben meine Hausapotheke in meinem Quartier habe, die noch dazu die Versorgungsstrukturen vielleicht auch gut kennt, vielleicht auch den einen Arzt, der sich eben permanent nicht merken kann, dass dieses Medikament nicht verordenbar ist. Ich finde das wirklich wichtig, dass wir diese Struktur, die vertrauenserweckend ist, für die Patienten in den Quartieren nutzen, um Unterstützung für die Patienten zu bieten, die ein Hausarzt überhaupt nicht mehr geben kann.“
Entwicklung geht in völlig falsche Richtung
Der Starnberger Arzt Bernhard Junge-Hülsing lässt sich von Argumenten, wie sie Carola Sraier von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientenstellen oder auch Wolfgang Greiner vom Gesundheits-Sachverständigenrat vorbringen, nicht überzeugen. Der Hals-Nasen-Ohren-Spezialist findet, die gesamte Entwicklung gehe in eine völlig falsche Richtung: Die Politik versuche, einen drohenden Mangel an Ärzten auszugleichen, indem sie deren Arbeit in andere Hände gibt. Dahinter stecke aber ein falscher Gedanke, sagt Junge-Hülsing.
„Patienten haben Beratungsbedarf, das ist richtig, das kommt manchmal zu kurz. Auch ich muss mich da an die eigene Nase fassen. Aber dann zu sagen, dann müssen es eben Nicht-Ärzte machen, das ist der falsche Schluss, sondern der richtige Schluss wäre: Dann müssen wir die, die das können, dazu in die Lage versetzen, dass sie es tun. Und das geht in unserer Gesellschaft nun mal mit Geld und mit Manpower, Womanpower. Also wir brauchen einfach mehr Ärztinnen und Ärzte.“
Und damit die Zahl der Ärzte steigt, müsse erst einmal die Zahl der Studienplätze steigen: „Das Allerwichtigste ist, dass man sofort die Studienplatzzahlen verdreifacht.“
Medizin-Studienplätze nach der Wiedervereinigung deutlich gesenkt
Tatsächlich ist die Zahl der Medizin-Studienplätze nach der Wiedervereinigung deutlich gesenkt worden, kaum ein Studiengang ist für den Staat so teuer wie die Mediziner-Ausbildung. Inzwischen ist die Zahl der Medizin-Studienplätze wieder gestiegen. Doch der Zuwachs reicht nach Ansicht der Ärzteverbände nicht einmal aus, um den Nachwuchsmangel in Krankenhäusern und Arztpraxen zu decken. Ein Hauptgrund dafür liegt darin, dass Nachwuchs-Mediziner im Schnitt deutlich weniger Stunden pro Woche arbeiten als frühere Ärztegenerationen - auch weil es inzwischen strengere gesetzliche Obergrenzen zur Arbeitszeit gibt. Eine weitere deutliche Steigerung der Zahl der Studienplätze, wie sie viele Ärztevertreter fordern, ist trotz des Defizits nicht in Sicht.
Gleichzeitig ist Bundesgesundheitsminister Lauterbach den Apotheken weiter entgegengekommen. Er hat den Delegierten des Deutschen Apothekertages, die sich Mitte September in München getroffen haben, eine Zusage gemacht: Er möchte die Therapiehoheit der Ärzte zwar nicht grundsätzlich in Frage stellen. Er will aber die jetzt eingeführten neuen Aufgaben für Apotheken nicht nur in jedem Fall beibehalten, er will sie auch ausbauen. Das versprach er aus Berlin per Video an den Tagungsort zugeschaltet: "Wenn wir in Richtung einer stärkeren Nutzung der Apotheken für die Erbringung von Leistungen gehen würden, würde ich das ausdrücklich begrüßen und werde es auch begleiten. Also hier wäre einiges denkbar.“
Die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Gabriele Overwiening, ist über viele Pläne des Bundesgesundheitsministers verärgert. Vor allem über Einsparungen, die bei der Vergütung der Apotheker geplant sind. Sie sollen einen Beitrag leisten, um eine Finanzlücke von 17 Milliarden Euro zu schließen, die nächstes Jahr in der gesetzlichen Krankenversicherung erwartet wird. Doch die neuen Pharmazeutischen Dienstleistungen, die Lauterbach weiter ausbauen will, sieht sie positiv, hält sie für eine grundlegende Veränderung: „Einen Quantensprung.“
Viele Ärzte halten einen solchen Sprung aber für einen Sprung in die völlig falsche Richtung. Etwa der Starnberger Hals-Nasen-Ohren-Arzt Bernhard Junge-Hülsing, der auch in der Kassenärztlichen Vereinigung und der Landesärztekammer ehrenamtlich aktiv ist: „Dann kommt es eben wie in Holland, da kommt man nach fünf Tagen zur Gemeindeschwester, dann kriegt man ein Paracetamol, dann kriegt man innerhalb von drei Wochen einen Termin beim Hausarzt, und dann kriegt man in fünf bis acht Monaten einen Termin beim Facharzt.“
Niederländisches Gesundheitssystem besser als deutsches
Junge-Hülsing kennt Ranglisten, bei denen das niederländische Gesundheitssystem deutlich besser abschneidet als das deutsche. Aber er hält die Vergleichskriterien solcher Rankings für irreführend. Dass es das Beste für Patienten ist, wenn Ärztinnen und Ärzte unangefochten die zentrale Rolle in der Gesundheitsversorgung spielen, daran kann es seiner Ansicht nach keinen Zweifel geben. Eine Abkehr davon bedeutet in seinen Augen Abstriche bei der Qualität der Versorgung:
„Wenn das der gesellschaftliche Wunsch ist, wir schrauben die Qualität nach unten und Hauptsache, es wird irgendwas gemacht, egal was, dann muss man das als Ärzteschaft vielleicht irgendwann am Ende dieses Prozesses akzeptieren. Aber man muss zumindest darauf hinweisen, dass das ganz, ganz, ganz großer Mist ist.“
Und so dürfte die Frage, ob und in welchem Ausmaß bestimmte Kompetenzen etwa an Apothekerinnen oder Physiotherapeuten abgegeben werden dürfen, für immer intensivere Diskussionen sorgen. Auch mit Blick darauf, ob zum Wohl der Kranken miteinander entschieden wird oder aber gegeneinander - eine Expertise steht dann gegen die andere. Wer aber hat dann das letzte Wort? Solche Konflikte zwischen den Berufsgruppen dürften auch Patientinnen und Patienten immer wieder zu spüren bekommen.