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Hinterhalt als Kunst

Mit "60 Minutes" lieferte der US-Sender CBS 1968 das Vorbild für TV-Politmagazine wie "Monitor" oder "Report". Die Spezialität von "60 Minutes": harte, überraschende Fragen an Interviewpartner vor laufender Kamera. Fragen aus dem Hinterhalt wurden zur Waffe.

Von Gunnar Schultz-Burkel | 13.02.2010
    Es war eine Frage, auf die Hillary Clinton nicht vorbereitet war. Der Reporter des investigativen TV-Magazins "60 Minutes" von CBS hatte während des Wahlkampfs 1992 ganz scheinheilig gefragt, inwieweit sie sich selbst aufgeben würde, um ihrem Mann zu helfen.

    "Ich hätte natürlich auch Zuhause sitzen und Plätzchen backen können, so wie es die Country-Sängerin Tammy Wynette besingt, aber das ist nicht mein Ding! "
    "
    Die arrogante Antwort schockte Konservative und Hausfrauen im ganzen Land. Um den Wahlkampf ihres Mannes nicht weiter zu gefährden, backte sie demonstrativ Kekse. Es ist genau diese Art der Überraschungsfragen, die "60 Minutes" berühmt gemacht hat. "60 Minutes" ist das Vorbild für britische, australische und deutsche Magazine wie "Panorama", "Monitor" und "Report". Interviewpartner mit harten und häufig überraschenden Fragen zu konfrontieren, war nicht ganz neu, als "60 Minutes" 1968 zum ersten Mal auf Sendung ging. Zeitungsreporter machten das schon ziemlich lange. Die Frage war, erklärt der Ex-"60 Minutes"-Producer Lowell Bergman, ‚ob man das aufs Fernsehen übertragen konnte? Man konnte. Und Ambush-Journalism - also Fragen aus dem Hinterhalt abzufeuern - wurde zur Waffe.

    "60 Minutes"-Reporter Mike Wallace hatte als Erster den Dreh raus. Er attackierte Gesprächspartner vor laufender Kamera. Ein Beispiel: Wallace wollte einen Mann interviewen, der sich in seinem Haus verschanzt hatte. Wallace: "Kommen sie raus!" Mann lehnt ab. Wallace: "Warum wollen sie nicht mit mir reden? Warum weigern sie sich. Was haben sie zu verbergen?" Der Mann schweigt noch einige Minuten, gibt dann genervt auf und lässt sich auf ein Gespräch ein. Wallace zum Teil brutale Hartnäckigkeit hat wieder mal gesiegt.

    Mike Wallace, inzwischen pensioniert, war der beste Ambush-Journalist des "60 Minutes"-Teams. Die anderen Reporter wandten die Taktik zwar auch an, aber Wallace hatte sie perfektioniert.

    In den 80er-Jahren imitierten Reporter der anderen Sender diese Art des investigativen Journalismus. Prompt hörte Wallace mit der Methode auf. Die Kopien waren einfach zu schlecht und er wollte nicht mit ihnen in einen Topf geworfen werden.

    " "Die Methode hat viel für sich", gibt Berman zu:

    "Man kann den langweiligsten Film dramatischer machen, wenn man Leute mit der Kamera im Anschlag mit Fragen konfrontiert, auf die sie nicht vorbereitet sind. Wir arbeiteten an dieser Tabakgeschichte über Brown and Williamson. Wir hatten einen Insider, der Dokumente hatte, die bewiesen, dass das Nikotin Zusätze erhielt, um Raucher noch süchtiger zu machen."

    Bergman wollte mit dem Pressesprecher reden, aber der gab ihm zu verstehen, dass es ein Interview mit "60 Minutes" niemals geben würde. "In den meisten Telefongesprächen wurde er ziemlich ausfallend", erinnert sich Bergman:

    "Ich warnte ihn sogar, dass er lieber nicht in einen Hinterhalt unserer Kameras geraten sollte."

    Auch das ließ den Pressemann kalt.

    "Daraufhin bauten wir die Kamera direkt vor dem Eingang der Konzernzentrale in Manhattan auf. Als er die Kamera sah, war er sichtlich geplättet. Aber dann ging er auf uns zu und fing an zu reden. War ne tolle Einstellung für die Reportage."

    Seit ein paar Jahren versucht sich eine jüngere Reportergeneration am Ambush-Journalismus. Aber in der Regel werden Gesprächspartner weniger überrascht, als vielmehr angebrüllt. Wie beim ultra-konservativen Bill O'Reilly von Fox TV

    Auch die ehemalige Staatsanwältin Nancy Grace von CNN verhört Gesprächspartner eher, als dass sie sie auf süffisante Art und Weise befragt.

    Kein Wunder, dass "60 Minutes" zwar dem Ambush-Journalismus nicht völlig abgeschworen hat, aber diese Art des Reportagestils ziemlich reduziert hat. Man will mit den O'Reillys und Graces einfach nicht auf einer Stufe stehen.

    Und wehmütig erinnert man sich an die Höhepunkte des Star-Ambush-Manns Mike Wallace.
    Als er einen bekannten iranischen Hassprediger in Teheran für ein Interview aufsuchte und sich zuerst höflich dafür bedankte, zu ihm gelassen zu werden, feuerte er die erste Frage ab: "Sagen Sie mal, sind sie ein Terrorist?" Welcher andere Reporter hätte sich das getraut?
    Es ist genau diese Kunst des Ambush-Journalismus, die heute kaum noch jemand beherrscht.