Adalbert Siniawski: Zugezogen Maskulin - das sind Moritz Wilken alias Grim104 und Hendrik Bolz alias Testo. Hallo!
Hendrik Bolz: Hi!
Moritz Wilken: Hi, na?
Bolz: Tachchen.
Siniawski: Im Song "Alle gegen alle", da schießen Sie gegen die AfD, gegen die besserwisserischen Wessis, gegen renitente Ossis, Hipster, Rapper-Kollegen von Aggro Berlin, Großstädter, die Provinz, Konsum, Soziale Medien - eigentlich: Wut, Wut, Wut. Ist das Ihr Treibstoff?
Bolz: Ja. Nach der Trauer und dem Frust und dem Nicht-einverstanden-Sein ist dann die Wut das befreiende Element. Sich einfach mal richtig schön auszukotzen, ist besser, als alles in sich hineinzufressen. Und schön, dass wir da dieses Medium Musik haben.
Siniawski: Ja. Moritz Wilken, wie sehen Sie es?
Wilken: Das sehe ich sehr ähnlich. Ich finde allerdings auch, dass es jetzt nicht nur ein herumschreiendes, wütendes Album ist. Ich finde, es hat ja auch immer mal ein paar Sekunden zum Innehalten. Ich sage mal so: Es ist jetzt kein Easy-Listening-Album. Die anderen Feels neben Wut und Zorn sind jetzt auch nicht gerade die positiven Gefühle, die man so hat, an einem warmen Sommertag. Aber das kann ja auch Kunst nicht immer sein - einfach immer nur gut gelaunt.
"Hinter der Wut verstecken sich letztendlich auch wieder andere Gefühle"
Bolz: Hinter der Wut verstecken sich ja letztendlich auch wieder die anderen Gefühle. Also wenn ich sage: Ich bin traurig, fühle mich unsicher, das macht mich irgendwann wütend. Die Wut lasse ich auf dem Album heraus. Dann bildet das diese oberste Oberfläche. Wenn man es vielleicht nur mit einem halben Ohr hört, dann denkt man: Okay, die hacken auf allem herum. Aber vielleicht, wenn man genauer hinhört, erkennt man dahinter dann wieder: Okay, eigentlich geht es hier um Unsicherheit, um "Was passiert hier gerade?". Das Album ist im letzten Jahr entstanden, wo sich ja gefühlt vieles geändert hat, auf politischer Ebene, aber auch auf gesellschaftlicher Ebene, der Ton. Und es sind eigentlich zwei Protagonisten, die in einer sich ändernden Welt versuchen, sich neu zu ordnen.
Wir haben noch länger mit Moritz Wilken und Hendrik Bolz gesprochen -
hören Sie hier Langfassung des Corsogesprächs
.
Siniawski: Ich meine, die CD ist eingetaucht in so ein zartes Rosa, das ist ja erst einmal sehr friedlich, vielleicht auch ironisch. Ich weiß es nicht, weil: Auf dem Cover sieht man auch so eine comichafte Wolke. Wenn zwei Zeichenfiguren ineinander geraten, dann wirbelt es den Staub hoch. Ist das so ein Sinnbild? Verlieren wir uns so in Lagerkämpfen statt gemeinsame Lösungen zu finden?
Wilken: Naja, ich meine, diese Vereinzelung, dieses Zurückfallen in diverse Stammesformationen - egal in welcher Richtung - ist ja sowohl im Großen, also im Gesellschaftlichen, zu beobachten, als auch im ganz Kleinen, wo alle gegen alle kämpfen müssen. Ob das jetzt ganz groß ist, auf politischer, gesellschaftlicher Ebene, am Arbeitsplatz, in den Sozialen Netzwerken, wo du halt noch mal so ein bisschen cooler, ein bisschen besser, ein bisschen schlauer, ein bisschen witziger sein musst als deine Konkurrenten, mit denen du dir in einem Kampf gegenüberstehst. Auch wenn es natürlich alles ganz wattig-weich eingepackt ist. Also das ist ja die große Kunst vom Neoliberalismus, dass es sich trotzdem alles nach einem Riesenspaß anf… zumindest so verpackt ist. Es fühlt sich ja meistens doch beschissen an.
"Dann höre ich lieber Flair und Haftbefehl, als dass ich mich auf die Seite des Feuilletons stelle"
Siniawski: In Deutschland gibt es entweder ironischen Spaß-Rapper - mein Gefühl, korrigieren Sie mich, wenn ich da falsch liege … Also entweder diese Spaß-Rapper oder die aggressiven Macho-Hip-Hopper. In den USA gibt es in diesem Gerne deutlich mehr Gesellschaftskritik, finde ich - bei Künstlern wie Kendrick Lamar oder Solange und so, die gegen Rassendiskriminierung ansingen. Fehlt es dem deutschen Rap an so einem ernsthaften Biss?
Wilken: Es fehlt dem deutschen Rap vielleicht - das weiß ich auch nicht, ich bin auch nicht das Zentralorgan des deutschen Raps … Aber was ich mir immer denke, ist, woran es vor allen Dingen fehlt, ist - Sie haben jetzt gerade diese zwei Lager aufgezeigt - was fehlt ist, dass ein Kendrick Lamar, der ein Feature machen kann oder als Conscious-Rapper mit irgendwelchen Gangsta-Rap-Typen, der ja auch selbst einen ziemlich stabilen Gang-Hintergrund hat und so weiter und so fort. Also das fehlt mir manchmal. Dass ich mir denke, okay: Warum macht ein Conscious-Rapper in Deutschland … Also warum ist das nicht mehr eine Kultur? Anstatt: Wir machen den witzigen Spaßvogel-Rap oder den schlauen Studenten-Rap und auf der anderen Seite steht man sich feindlich gegenüber, macht man halt Gangsta-Rap. Das fehlt. Aber was auf der anderen Seite auch fehlt, ist eine andere Betrachtungsweise. Ich glaube, dass in Amerika eine ganz andere Akzeptanz von Rap - also eine gesellschaftliche Akzeptanz von Rap - herrscht und dass man das eben als Kultur nicht nur belächelt und so "hahaha" …
Siniawski: Ist das heute noch so? Empfinden Sie das noch so? Also hier in Deutschland?
Wilken: Also ich empfinde, dass Rap nach wie vor … Also in Feuilleton-Zusammenhängen - da werden wir dann irgendwie als das schlaue, das gute Gewissen und so weiter uns so fort bezeichnet. Das finde ich ganz fürchterlich. Ich will nicht das gute Gewissen sein. Dann höre ich doch lieber Flair und Haftbefehl, als dass ich mich jetzt auf die Seite des Feuilletons stelle und sage: Wir sind jetzt die Guten, die Schlauen.
"Ich mag, wenn es irgendwie warm ist, aber auch, wenn's ballert"
Siniawski: Eine Frage noch zum Musikalischen. Also in einigen Tracks gibt es solche Footwork-Anklänge, dann Trap-Sounds, aber auch Klänge, die so auf die Geschichte des Hip-Hops verweisen. Was zeichnet für Sie einen guten Hip-Hop-Track aus?
Wilken: Ich habe leider noch nicht die Geheimformel, die Pop-Formel für den guten Hip-Hop-Track gefunden. Ich kann nur sagen, was ich gerne mag. Ich mag, wenn es irgendwie warm ist, wenn es organisch ist, ich mag aber auch, wenn's ballert. Also ich finde nichts so schlimm wie so ein schnarchiges 90-BPM-Boom-Bap-Brett, das da irgendwie so staubtrocken vor sich hin … Ich kann es jetzt nicht sagen, das kommt auf meine Stimmung an. Da gibt es nicht den Sound.
Bolz: Ja, ich fürchte auch, das kann man nicht so technisch an irgendwelchen Parametern festlegen: Ja, die und die BPM-Zahl muss es jetzt haben. Sondern es muss irgendwie etwas auslösen, ein Gefühl. Ich muss das hören und etwas fühlen dabei. Dann kann das verschiedener Art sein. Das kann ein total kalter Trap-Banger sein, wo jemand nur darüber rappt, wie er irgendwie Mütter penetriert, und es kann aber auch irgendwie so ein warmer, jazziger Track über Politik sein oder so.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das neue Album von Zugezogen Maskulin heißt "Alle gegen alle" und ist bei Four Music erschienen.