Wer wollte, konnte sich schon nachmittags bei schönstem Sommerwetter zum "Dj Hang Out" im Biergarten der Berliner Live-Club-Institution "Cassiopeia" in einen der Liegestühle fläzen – oder auf dem kleinen Skateboard-Parcour unter Bäumen zwischen graffitiübersähten Industrieruinen ein paar Runden drehen.
Und wenn auch der Style der abhängenden Parteimitglieder in spe - Baseballkappe, Kapuzenpulli, Baggy-Pants und Tattoos - relativ einheitlich war: nach Sprache und Herkunft ist die Basis der "Urbanen" eine ziemlich bunte Mischung:
"Ich bin in Paris gezeugt worden, in Hongkong geboren und in Berlin aufgewachsen - und als solcher gehöre ich vielleicht mit so vielen anderen hier, zu denen, die sich nicht mehr über Nationen definieren, sondern sich als Weltbürger sehen, und das glaube ich, ein ganz starker Teil ist von dem, was wir in die Politik tragen wollen."
Gestandener Rapper auf dem Vorstands-Podium
So stellt sich der Berliner Breakdancer und frisch gekürte Parteivorsitzende Raphael Hillebrand beim "Q & A", der abendlichen Partei-Infoveranstaltung im vollbesetzten Cassiopeia-Café, selbst vor. Neben ihm auf dem Vorstands-Podium: ein gestandener Rapper:
"Ja, schönen guten Tag, ich bin Rapper Circulate von den Antihelden." Zum offiziellen Gründungstermin allerdings unter seinem bürgerlichem Namen Fabian Blume unterwegs:
"1978 in Ostberlin geboren - und beschäftige mich quasi mehr oder weniger immer im Rahmen meiner eigenen Musik, der Texte und auch in Workshops und Veranstaltungen mit Politik und bin jetzt Generalsekretär der Partei - der Ossi. Generasekretär. Ist natürlich toll."
Womit die Frage...
Raphael Hillebrand: "Warum mit Hip Hop in die Politik?"
...schon in der Vorstellungsrunde gewissermaßen biographisch beantwortet wurde, so etwa auch von Niki Drakos, ehemalige Hip-Hop-Videokünstlerin, jetzt: "hauptberufliche Feministin. Die Frage wird uns oft gestellt. Aber: Hip-Hop ist Politik und ist eine Kultur, die Gruppen eine Stimme verliehen hat – ich werde jetzt gar nicht so viel zum Gründungsmythos sagen."
Kreativer Wettstreit
Denn der Hip-Hop-Gründungsmythos – die Ursprünge der Kultur in den New Yorker Ghettos der Siebzigerjahre, in denen die Gangs sich Bandenkriegen gegenseitig umbrachten, diese Geschichte wird als weitgehend bekannt vorausgesetzt.
Niki Drakos: "Hip Hop ist zum Ventil geworden, um diese Gewalt zu kanalisieren und umzusetzen in kreativen Wettstreit - und das ist für uns auf jeden Fall Vorbild."
Mit dem betonten Bezug auf den Hip-Hop-Gründungsmythos grenzen sich die Parteigründer nach mehreren Seiten ab: Einerseits zum kommerzialisierten Gangster-, Bling-Bling-, Dicke-Karre-Dicke-Hose-Macker-Hip-Hop, andererseits aber auch von anderen linken Parteien, die sich mit Multikulti-Themen beschäftigen, so der Berliner Landesverbandsvorsitzende Iwan Stefanowitsch:
"Wir sind im Prinzip genau das, was andere Parteien sich in ihr Parteiprogramm reinschreiben, sie wünschen sich ja eine Gesellschaft, die so aussieht, wie eine Hip-Hop-Gemeinschaft - sie formulieren es so. Sie formulieren es so, aber wir sind es."
Nicht mit- sondern selbermachen
Stichwort: Abgrenzung von anderen Parteien. Was wollen "Die Urbanen" über die Kernthemen Multikulti-Gesellschaft, Integration, "Konfliktlösung durch Kreativität" hinaus?
Frage aus dem Publikum: "Hab gerade mal in euer Parteiprogramm rein gelesen - ich finde, es unterscheidet sich nicht von der Linken: Deutschland raus aus der NATO, Friedenspolitik, gegen Massentierhaltung, gegen Diskriminierung. Wo seht ihr den Unterschied? Was fehlt euch in den etablierten Parteien? Warum nicht da mitmachen?"
Antwort: Die wollen nicht irgendwo mitmachen, sondern: selber machen. Auf ihre Art. Und: Welche andere Partei hat einen Profi-Breakdancer als Spitzenkandidaten, der sich für das Wahlplakat-Motiv bei einem perfekten gesprungenen Wallflip-Rückwärtssalto in der Luft photographieren lassen kann? Und welche andere Partei hat einen Generalsekretär, der vom Parteipodium direkt auf die Hip-Hop-Bühne geht - um dort das Wahlvolk mal ordentlich zum Hüpfen zu bringen?