Ich betrete den Laden "Rage Montréal" über eine Treppe. Drinnen spielen bereits ein junges Pärchen, eine Gruppe von Anzugträgern und Männer in Holzfällerhemden. Bunt gemischt also. In der kleinen Halle im Erdgeschoss liegen überall Holzklötze herum. An den Wänden hängen unzählige Äxte in verschiedenen Größen.
"Welcome to Rage Montréal. Today we are going to introduce you the axe throwing activity."
Sofort nach der Begrüßung muss jeder Gast ein Formular unterschreiben. Man erklärt sich einverstanden, auf eigenes Risiko zu spielen und niemanden zu verletzen. Ich werde an zwei der insgesamt elf Zielscheiben geführt. Sie ähneln denen beim Bogenschießen, sind aber aus Holz. An den Seiten werden sie mit Maschendrahtzaun gesichert. Aufseher Martin erklärt die Regeln:
"Pass auf, dass niemand in deiner Wurfbahn ist, also dass niemand hinter dir und besonders natürlich vor dir steht. So ist es für jeden sicher und jeder kann die Axt in seinem Bereich werfen."
Kurz darauf halte ich schon eine Tischtennisschläger-große Axt in der Hand. Ich bin bereit.
Man hebt die Axt in die Höhe, lässt ein wenig locker, lehnt sich dann in Richtung Zielscheibe und wirft.
Fehlwurf. Das Geräusch der abprallenden Axt wird mich in den kommenden 30 Minuten begleiten. Es ist nämlich gar nicht so einfach wie es aussieht. Je nachdem, wo die Axt in der Holzscheibe stecken bleibt, bekommt man 7,5,3 oder 1 Punkt. Die Spieler werfen abwechselnd. Am Ende wird zusammengezählt.
Umgeben von axtwerfenden Menschen
Treffer. Drei Punkte! Wichtigste Regel: Bevor man seine Axt wieder holen darf, muss man warten, bis der andere geworfen hat. Wer das nicht befolgt, wird sofort rausgeschmissen. Ein bisschen mulmig ist mir anfangs schon, von axtwerfenden Menschen umgeben zu sein. Ob sich denn noch niemand hier verletzt habe, will ich von Rage-Montréal-Mitgründer Anton Puskari wissen?
"Es gab schon kleine Verletzungen. Das waren aber Leute, die die Axt in die Hand genommen und gesagt haben: 'Ich weiß, wie man damit umgeht. Ich spiele seit Jahren damit!' Dann prüfen sie, ob sie scharf genug ist. Das nächste, wonach sie fragen ist ein Pflaster. Das war das Schlimmste bisher."
Puskari stammt ursprünglich aus Russland, lebt aber mittlerweile seit 15 Jahren in Montréal. Die Idee für das Axt-Werfen kam ihm und seinem Freund erst vor Kurzem:
"Wir haben das zufällig entdeckt. In Kanada gibt es diese große Tradition der Holzfäller. Äxte kennt man hier also schon seit mehreren hundert Jahren. Es gibt bei kleinen lokalen Festivals auch Wettbewerbe im Axtwerfen. Wir haben uns dann gedacht: Warum sollten wir es nicht auch versuchen?"
Die Mitarbeiter nehmen das Ganze sehr ernst. Einige von ihnen richten sogar eine eigene Meisterschaft aus und spielen dabei in Play Offs gegeneinander.
Axtwerfen beim ersten Date
"Rage Academy" ist ein Teil der Axtwurf-Föderation in Kanada. Die hat in jeder Provinz verschiedene Ableger. Es geht darum, standardisierte Regeln, Sicherheitsbedingungen und Trainingstechniken zu haben, um Wettbewerbe in ganz Kanada abzuhalten.
Für mich kommt das nicht in Frage. Nach ein paar Minuten macht das Werfen zwar Spaß, aber für eine Meisterschaft reicht meine Begeisterung dann doch nicht. An diesem Abend verliere ich zudem noch haushoch gegen meinen Gegner.
Warum das Ganze, frage ich mich am Ende. Zum Spaß, erwidert Puskari. Während ich mich zum Schluss umschaue, sehe einen jungen Mann und eine junge Frau spielen. Es scheint so, als würden sie sich gerade erst kennenlernen. Axtwerfen zum ersten Date? Ja, auch das ist möglich ...
"Es ist eine gute Übung, um seine Freunde, seinen Boss oder den möglichen Partner oder die Partnerin besser kennen zu lernen. Man kann sehen, wie jemand auf den Erfolg oder Niederlage des anderen reagiert. Das ist interessant. Es geht also nicht nur ums Werfen, sondern auch um Menschenkenntnis."