"In der Swiss Arena in Zürich läuft gerade der letzte Wettbewerb beim Cybathlon. Die anderen Piloten haben alle schon ihre Medaillen bekommen. Beim virtuellen Rennen mit Gedankensteuerung hat ein Schweizer Team gewonnen: die Brain Tweakers mit Numa Poujouly."
Das war im Oktober 2016. Numa Poujouly trat gegen zehn Kontrahenten an. Sie alle waren ab dem Hals querschnittsgelähmt. Das Rennen lieferten sie sich in einem Computerspiel und bedienten es mit einer Hirn-Computer-Schnittstelle. Das Gerät analysierte die Hirnströme auf ihrer Kopfhaut und übersetzte sie in Kommandos für den Computer. Serafeim Perdikis von der Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne hatte das System mit seinen Kollegen vom Team Brain Tweakers entworfen. Wie hat der Informatiker den Sieg erlebt?
"Ich hoffe, das klingt jetzt nicht arrogant, aber es hat uns nicht sonderlich überrascht, dass wir gewonnen haben."
Rückbesinnung auf alte Tugenden
Was ihn damals so sicher gemacht hat, das hat er mit Kollegen in einem Artikel aufgeschrieben, der heute im Onlinemagazin PLOS Biology erscheint. Er beschreibt nicht weniger als einen erneuten Paradigmenwechsel bei den Hirn-Computer-Schnittstellen – und eine Rückbesinnung auf alte Tugenden. Als es losging, etwa in den 90er Jahren, mussten die Nutzer noch mühevoll üben, um Hirnströme zu erzeugen, die ein Computer lesen kann.
"Dann kam die Revolution der künstlichen Intelligenz. Und plötzlich konnte man die Hirnaktivität besser entschlüsseln. Man begann, Hirnströme zu nutzen, die sowieso schon da sind, etwa die, wenn ein Mensch sich vorstellt, einen Arm zu heben. Wenn man also sehr gute Computersysteme hat, kann man sich das Üben sparen – zumindest denken das viele."
Tatsächlich befasst sich heute jeder zweite wissenschaftliche Artikel über Hirn-Computer-Schnittstellen mit Signalverarbeitung und maschinellem Lernen, wie Serafeim Perdikis herausgefunden hat. Es ist ein Trend unter den Forschern. Auch die meisten anderen Cybathlon-Teams haben sich bei ihrer Vorbereitung auf das maschinelle Lernen verlassen. Nicht so die Brain Tweakers.
"Wir haben nicht etwas komplett Anderes gemacht als die anderen Teams. Auch bei ihnen lernten die Piloten irgendwie mit der Hirn-Computer-Schnittstelle. Aber wir haben wirklich unser Augenmerk darauf gelegt, dass auch unsere Piloten lernen. Ein Beispiel: Wir haben den Algorithmus, der die Hirnströme analysiert, nur sehr selten geändert. Wenn man ihn zu oft ändert, dann muss der Pilot immer wieder von vorn lernen, damit umzugehen."
Gedankensteuerung bisher hauptsächlich in Laboren
Die Brain Tweakers haben also nichts revolutionäres gemacht. Sie haben sich lediglich vom Trend des reinen maschinellen Lernens abgewendet und stark darauf konzentriert, ihren Piloten genug Zeit zu lassen, mit der Schnittstelle zu üben. Dabei war es wichtig, sie zu motivieren und die Übungen interessant zu gestalten, sagt Serafeim Perdikis. Gut möglich, dass diese kleine Kursänderung dazu beigetragen hat, dass das Team mit Abstand am besten abgeschnitten hat.
"Jetzt hoffen wir, dass wir den Trend irgendwie dahin umlenken können, dass auch andere Forscher mehr an Trainingsmethoden für die Nutzer der Hirn-Computer-Schnittstellen arbeiten. Wir hoffen auch, dass die Technologie dadurch schneller in der echten Welt ankommt."
Bisher funktioniert Gedankensteuerung hauptsächlich in Laboren oder in manchen Fällen bei einfachen Buchstabierapparaten. Das große Ziel ist, dass Gelähmte irgendwann Kraft ihrer Gedanken im Alltag Computer oder Prothesen bedienen. Wenn es nach Serafeim Perdikis geht, werden dafür nicht nur die Computer lernen müssen, die gedanklichen Kommandos zu verstehen. Auch die Nutzer werden lernen müssen, für den Computer verständlich zu denken.