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Hirnforschung bei Hunden
Einfach nur wau?!

Hunde können wie einfältige Wesen wirken, immer darauf bedacht, dem Menschen zu gefallen: eine domestizierte, treuherzig-schlichte Version des Wolfs. Zwar haben Hunde nicht unbedingt ein logisches Verständnis für ihre Umwelt. Doch moderne Verhaltensforschung zeigt: Hunde sind überraschend klug. Daraus können wir auch über uns Hundehalter viel lernen.

Von Lennart Pyritz |
Eine neun Monate alte Dackel-Hündin sitzt auf einer Wiese
Hunde können sich in Menschen hineinversetzen (imago/blickwinkel)
Studien haben in den vergangenen Jahren bewiesen, dass Hunde sich in Menschen hineinversetzen können. Außerdem verstehen sie - anders als Menschenaffen - Zeigegesten und deuten damit menschliches Verhalten wie kein anderes Säugetier. Das Dreieck Wolf-Hund-Mensch bietet damit einmalige Chancen, die Evolution kognitiver Fähigkeiten zu erforschen - auch unsere eigenen.

Fast hätte ich selbst mal einen gehabt: einen kleinen Mischling mit langem, schwarzen Fell. Ich war sieben oder acht Jahre alt, und die Hündin eines Schulfreundes hatte Junge bekommen. Monatelang haben wir mit den Welpen gespielt. Dann durfte ich mir einen aussuchen und hab ihn mit nach Hause genommen - musste ihn allerdings sofort wieder zurückbringen: Denn die Aktion war - zugegebenermaßen - nicht mit meinen Eltern abgesprochen.
Die Trauer war groß. Es fühlte sich an, als hätte ich einen Freund verloren. Denn wenn der Hund und ich uns ansahen, hatte ich das Gefühl: Wir verstehen uns.
"Du bist ein Süßer, bist Du ein Süßer, hm? Ist schön hier, stimmt`s?"
Mensch und Hund verbindet viel
Jagdhelfer, Beschützer, Freund: Mensch und Hund verbindet viel. Selbst menschliche Zeigegesten vermögen die Vierbeiner richtig zu deuten.
"Und das Entscheidende ist: Das können Hunde im Gegensatz zu Menschenaffen."
Klüger als Schimpansen also? Oder doch eher dressierte Befehlsempfänger?
"Sitz, sag ich dir! Der Hund kommt immer näher ran."
Einfach nur wau?! Über das Hirn der Hunde und uns. Von Lennart Pyritz.
Verhaltenstests am Max-Planck-Institut
Warum fühlen wir uns so gut verstanden von Hunden?
Auf der Suche nach Antworten bin ich zuerst nach Jena gereist, an das Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. In den Räumen einer alten Cafeteria werden dort Verhaltenstests mit Hunden durchgeführt.
Es riecht nach nassem Fell. Ein Arbeitsraum mit Schreibtischen und Computern; dahinter zwei unmöblierte, geflieste Räume. Im Vorraum wuseln ein Border Collie und zwei Golden Retriever umeinander. Mittendrin steht die Biologin Juliane Bräuer, die die Hundestudien leitet ...
"Hier streicht uns ein Hund um die Beine. Ist das Ihrer oder ist der nur für wissenschaftliche Zwecke hier?"
"Der ist auch für wissenschaftliche Zwecke hier. Aber es ist außerdem auch mein Hund. Das ist Nana, die ist jetzt fast fünf Jahre alt, ein Border Collie. Und ich nehme sie natürlich gerne mit auf Arbeit, was auch schön ist für den Hund und für mich. Aber sie ist tatsächlich auch für wissenschaftliche Zwecke hier, weil ich mit ihr vieles schon mal ausprobiere, wie so ein Test ablaufen kann."
"Wir haben jetzt das Glück: Wir können eine Pilotstudie begleiten. In welchen Themenbereich fällt das, was wir uns jetzt gleich hier angucken können?"
"Details kann ich leider natürlich nicht verraten, weil Forschung ist ja auch immer eine Sache, die in Konkurrenz stattfindet, und außerdem kann ich so eine Studie, wenn ich jetzt hier darüber rede, nicht in einem Fachjournal veröffentlichen."
Soziales Lernen bei Hunden wird getestet
Bevor die Verhaltensforscher eine Untersuchung durchführen, testen sie das Konzept in einer kleinen Vorstudie. Wie reagieren die Hunde? Was ist der ideale Ablauf? In der Studie, für die heute getestet wird, geht es darum, ob und wie Hunde vom Menschen lernen, Juliane Bräuer nennt das: soziales Lernen.
"Das heißt, wir haben zwei Leute, die der Hund wenig kennt. Und normalerweise entwickelt der Hund sofort eine Präferenz. Und wir schauen, ob sich diese Präferenz auch ändert."
Die Psychologie-Studentinnen Julia und Theresa und die Biologin Kathrin unterstützen Juliane Bräuer. Julia geht vor in den Testraum und versteckt sich dort hinter einem Tuch an der Wand.
Für die Pilotstudie heute ist Alex da, ein anderthalbjähriger, ziemlich massiger Golden Retriever. Für ihre Untersuchungen greift Juliane Bräuer in Jena auf eine Datenbank mit etwa 200 Hunden zurück. Von Temperament und Motivation her sind Retriever oder Border Collies besonders geeignet.
"Gibt es entsprechend auch Rassen, die sich nicht so gut eignen oder ist es letztendlich egal, ob man da Dackel, Dogge oder Mops nimmt?"
"Ich kann mich nicht erinnern, dass wir mal eine Dogge hatten. Aber grundsätzlich, wenn wir uns Kognitionstests angucken, finden wir jetzt keine gravierenden Unterschiede."
Präferenzen des Hundes prüfen
Auf dem Weg zum Testraum beschnuppert Alex auch das Mikrofon ausgiebig.
"Alex, komm mal her."
"Jetzt betreten also meine Kolleginnen und Alex den Testraum. So, Tür zu. Jetzt wird Alex hier an die Leine gelegt. Das hat was damit zu tun - in dem Versuch soll er nicht hinter die Testperson kommen."
Auf dem Boden vor der gegenüberliegenden Wand sind zwei Kreise aufgemalt. Da hinein stellen sich Kathrin und Theresa. Alex Leine ist so lang, dass er sich den beiden von vorne bis auf kurze Distanz nähern kann."
"Und Alex kann also zeigen, wen er präferiert, also wen er interessanter findet, könnte man sagen. Und da nehmen wir ein ganz einfaches Maß: Wem er sich annähert. Er hat sich jetzt also eindeutig für die Kathrin entschieden."
Dann kommt die Calling-Phase, bei der Kathrin und Theresa in die Knie gehen und rhythmisch mit den Handflächen auf die Oberschenkel schlagen.
"Alex, Alex!"
"Das heißt, die Kolleginnen rufen zur gleichen Zeit, in der gleichen Art und Weise. Und Alex hat immer noch eine eindeutige Präferenz für die Kathrin."
Alle Versuchsdurchläufe werden gefilmt
Es gibt noch weitere Versuchsteile, bei denen ihre Kolleginnen auch den Platz tauschen würden, sagt Juliane Bräuer. So soll sichergestellt werden, dass der Hund nicht einen Ort im Raum, sondern tatsächlich eine der beiden Personen bevorzugt.
"So, und jetzt beginnt die Phase, über die ich keine Details verraten werde."
Es geht darum, ob Alex etwas Bestimmtes lernt und dadurch seine Vorliebe für eine der Personen ändert, so viel ist klar. Wie genau das ablaufen wird, darüber können Alex und ich nur spekulieren. Was wiederum sicher ist: Ganz am Ende des Versuchs wird Ball gespielt.
"Und zwar nehmen sich meine beiden Kolleginnen einen Ball, zur gleichen Zeit. Sie versuchen, immer alles synchron zu machen. Und, Alex liegt im Weg. Alex, steh mal jetzt hier zumindest fürs Vorführen auf."
"Alex!"
Die Kolleginnen holen aus, tun aber nur so, als ob sie den Ball werfen. Gleichzeitig lässt die dritte Assistentin Julia hinter dem Tuch an der Mitte der gegenüberliegenden Wand einen Ball auf den Boden fallen.
"Und der Ball kullert unter dem Vorhang vor. Und er bringt und hat immer noch eine ganz starke Präferenz für die Kathrin. Das war so der Ablauf von diesem Versuch."
"So jetzt wäre der Versuch damit beendet. Alex kann wieder von der Leine."
Alle Versuchsdurchläufe werden per Videokamera aufgenommen, sodass sie später auch von einem unabhängigen Beobachter ausgewertet werden können.
"Gut. Dann..."
"Geh ich mit raus?"
"Ja."
Soziales Lernen: "Vögel sind gut, Affen und Hunde sind schlecht"
"In dem Versuch, den wir jetzt gerade begleitet haben, geht es also darum, ob Hunde durch soziales Lernen ihre Präferenzen verändern. Mehr können Sie noch nicht sagen, wollen Sie noch nicht sagen, dürfen Sie noch nicht sagen, weil es noch nicht veröffentlicht ist. Wenn wir jetzt aber sozusagen mal diesen Forschungsbereich zugrunde legen - soziales Lernen - was für wegweisende Studien sind da bisher schon gemacht worden und veröffentlicht worden. Also was kann man bereits wissenschaftlich erwiesenermaßen über soziales Lernen bei Hunden sagen?"
"Das Überraschende bei sozialem Lernen ist immer, finde ich, dass Tiere da erstaunlich schlecht sind. Also Vögel sind ganz gut. Die Affen sind erstaunlich schlecht. Und die Hunde sind nach dem, was ich weiß, oder nach Tests, die wir durchgeführt haben, auch ziemlich schlecht. Wir haben eine Studie gemacht, wo es darum ging, ob Hunde voneinander lernen - und zwar ein bestimmtes Kommando. Das heißt, wir hatten einen Modellhund. Das war in dem Fall tatsächlich wieder mein Hund - damals noch ein anderer Hund. Dieser Modellhund hat gelernt, auf einen Befehl was Bestimmtes zu machen. Und zwar war das ein Wort, was ein Hund garantiert noch nie gehört hat. Das war nämlich der Name meines Chefs damals: Giuseppe, wir haben Giuseppe gesagt. Und bei "Giuseppe" hat sich Mora hingelegt. Und dann haben wir das einem anderen Hund vorgeführt. Und immer, wenn sich Mora auf "Giuseppe" hingelegt hat, hat sie dafür Futter bekommen. Und insgesamt haben wir in der Studie 200 Hunde in verschiedenen Bedingungen getestet. Keiner der Hunde hat das Verhalten nachgemacht. Also Hunde sind da erstaunlich schlecht."
Hund-Hund-Kooperation "ist nicht besonders gut"
"Ein weiterer großer Forschungsbereich, was die Hundekognition angeht, ist die Kooperation. Kooperation unter Hunden und auch Kooperation zwischen Mensch und Hund. Was für wegweisende Studien sind da bisher durchgeführt worden - inwieweit die Tiere also untereinander oder auch mit Halterinnen und Haltern, also dem Menschen kooperieren?"
"Ich glaube, es ist wirklich ganz wichtig, zu unterscheiden: Hund-Hund-Kooperation, da sind die Hunde nach dem, was wir wissen, nicht besonders gut. Das verwundert mich eigentlich aber auch nicht so, weil die Hunde bevorzugen den Menschen als Sozialpartner, und da ist es eigentlich nicht unlogisch, dass sie besonders gut mit dem Menschen kooperieren. Wir haben eine Studie durchgeführt, die man gut erklären kann. Wir hatten einen Raum, der war umgeben von so Plexiglaswänden. Und in dem Raum war ein Schlüssel. Und der Mensch hatte offensichtlich seinen Schlüssel in dem Raum verloren. Und der Hund hatte vorher gelernt, wie man den Raum mit so einem Taster öffnen kann. Und jetzt war also die Frage: Würde der Hund für seinen Besitzer diesen Raum öffnen? Und wir haben also festgestellt: Die Hunde haben geholfen, das heißt, sie haben das nicht nur einmal geöffnet oder für Belohnung geöffnet, sondern auch über mehrere Durchgänge. Affen machen so was zum Beispiel auch. Sie helfen, aber sie helfen nur im ersten Durchgang oft. Und wenn sie merken, sie kriegen nichts, dann hören sie damit auf. Die Hunde sind hoch motiviert."
"Affen können diese Zeigegeste nicht deuten"
"Das eben war ja eine Pilotstudie, wo man noch nicht so viel zu sagen konnte und vor allem die Ergebnisse auch noch nicht kennt. Sie haben sich jetzt bereit erklärt, mit Ihrer Hündin Nana ein paar schon durchgeführte, sozusagen etablierte Studienaufbauten, Experimente vorzuführen, zu denen man dann auch sagen kann, was tatsächlich dabei raus gekommen ist. Und ich sehe jetzt schon: Hier sind zwei undurchsichtige, gelbe Becher auf einem Tisch vor Ihnen aufgestellt. Sie sitzen dahinter. Nana sitzt auf der anderen Seite und guckt schon ganz gespannt."
"Ja, sie guckt sehr gespannt, sie findet das super."
Der Tisch ist nur etwa 30 Zentimeter hoch, sodass der Border Collie die Becher gut im Blick hat.
"Man hat also zwei Becher, zwei Behälter, und in einem ist Futter, aber der Hund weiß nicht in welchem, und dann lassen wir ihn wählen, und vorher geben wir ihm verschiedene Hinweise. Und das ist also klassischerweise so, dass ich jetzt hier diese beiden gelben Becher hinstelle, da eine Barriere davor stelle ..."
"...eine undurchsichtige Barriere, damit der Hund jetzt nicht mitkriegt, in welchem Becher das Futter tatsächlich landet."
"Genau, das ist eine undurchsichtige Barriere. Es geht auch anders, dass ich unter beide Becher so greife und nicht zeige, wo ich das Futter hintue, aber ich finde das immer die bessere Variante. So jetzt schiebe ich die beiden Becher, dass sie ungefähr einen Meter voneinander entfernt stehen. Und jetzt zeige ich auf den richtigen Becher - und dann sage ich: Geh ab! Und jetzt geht der Hund da hin. Und das ist kein Zufall, dass sie das kann. Das können alle Hunde, das können auch schon Welpen. Das können Hunde besser als handaufgezogene Wölfe, obwohl handaufgezogene Wölfe das durchaus auch lernen können. Und das Entscheidende ist: Das können Hunde im Gegensatz zu Menschenaffen. Und das ist eigentlich auch der Punkt, warum Hunde in die Kognitionsforschung gekommen sind. Und zwar deshalb, weil es den Psychologen Kopfschmerzen bereitet hat, dass die Affen diese Zeigegeste nicht deuten können."
Hunde deuten Zeigegesten viel besser als Schimpansen
"Also sind Hunde – und Wölfe mit Einschränkung – die einzigen Tiere, bei denen man das bisher festgestellt hat, dass sie auf diese menschliche Zeigegeste richtig reagieren oder sie richtig interpretieren?"
"Hunde sind die, die das mit Abstand am besten können. Sitz, sag ich Dir! Der Hund kommt immer näher ran. Grundsätzlich können andere Haustiere diese Zeigegesten auch deuten."
"Welche zum Beispiel?"
"Es gibt Studien mit Ziegen und mit Pferden auch. Aber sie schneiden nicht so gut ab wie Hunde, wobei Hunde natürlich auch viel mehr Erfahrungen sammeln können mit dieser Zeigegeste. Und die Affen sind, wie gesagt, ziemlich schlecht darin."
Hunde deuten also menschliche Gesten so gut wie kaum ein anderes Säugetier – und viel besser als unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen. Und sie können noch mehr. Forscher haben herausgefunden, dass Hunde sich in die Perspektive ihres Gegenübers hineinversetzen: Sie fressen zum Beispiel verbotenes Futter häufiger, wenn sie wissen, dass der Mensch sie dabei nicht sehen kann.
Verhaltensunterschiede durch Domestikation
Aber Tests haben auch gezeigt, wofür Hunden das Verständnis fehlt: logische Zusammenhänge in ihrer unbelebten Umgebung. Als Beispiel führt Juliane Bräuer ein weiteres Experiment vor. Sie zeigt Nana ein Stück Trockenfutter. Dann legt sie es hinter der blickdichten Barriere in einen der gelben Becher und verschließt beide Gefäße mit einem Deckel.
"So und jetzt, das ist wichtig, gucke ich den Hund im Prinzip nicht an. Ich schiebe die Becher wieder zur Seite. Und jetzt nehme ich den einen Becher, schüttel den."
"Da raschelt das Futter drin."
"Und jetzt sage ich: Geh ab! Und der Hund geht zum anderen. Was die Hunde definitiv nicht können, ist dieses Ausschluss-Prinzip. Also sich zu sagen: Wenn ich den leeren Becher schüttle - es macht kein Geräusch - sich zu sagen: Aha, hat kein Geräusch gemacht, ich muss zum anderen gehen. Und das können nur ganz wenige Tiere. Das können die Menschenaffen. Das können, soweit ich mich erinnern kann, auch die Papageien und laut unserem im letzten Jahr veröffentlichten Versuch auch die Wölfe. Und Hunde können das halt nicht. Und das ist ein sehr bemerkenswerter Unterschied, der offensichtlich was mit der Domestikation zu tun hat."
Talentiert in Kommunikation und Kooperation mit Menschen
Auch beim anschließenden Hütchenspiel scheitert Nana: Juliane Bräuer legt ein Stück Trockenfutter in einen der Becher. Der andere ist leer. Dann vertauscht sie die Position der Becher - alles vor den Augen des Hundes. Der sucht die Belohnung trotzdem an der Stelle auf dem Tisch, an der er sie hat im Becher verschwinden sehen.
"Die Idee ist, dass Hunde einfach ihre physikalischen Probleme nicht mehr selbst lösen müssen. Das heißt, sie kümmern sich einfach ganz wenig um die physikalische Umwelt und lösen das sozusagen kommunikativ."
Talentiert in Kommunikation und Kooperation, besonders mit dem Menschen. Auf der anderen Seite: nicht viel Verständnis für Logik in der Umwelt. Ist der Hund also klug oder nicht?
"Ich werde sehr oft gefragt, welches Tier ist denn nun am klügsten? Ich antworte da nicht mit einer Art drauf, weil ich denke, die Frage ist falsch gestellt. Die Hunde sind einfach fantastisch an ihre Umwelt Mensch angepasst. Der Hund kann bestimmte Sachen besonders gut, so wie der Schimpanse bestimmte Sachen besonders gut kann. Und jedes Tier ist halt an seine Umwelt angepasst und hat eben die kognitiven Fähigkeiten entwickelt, die es genau in dieser Umwelt braucht."
Der Hund - "kolossal über- und unterschätzt"
"Werden denn Ihrer Einschätzung nach die geistigen oder kognitiven Fähigkeiten von Hunden im Alltag, in der allgemeinen Einschätzung eher unterschätzt oder überschätzt? Ist der Hund das unterschätzte oder das überschätzte Wesen?"
"Ja, der Hund, ich würde sagen, der wird von der einen Hälfte kolossal überschätzt und von der anderen Hälfte kolossal unterschätzt - und die Wahrheit liegt wie immer dazwischen. Es gibt diese Hundebesitzer, die mir eben sagen: Mein Hund versteht jedes Wort. Und alles, was der Hund macht, wird irgendwie interpretiert und zwar so, als wäre das ein besserer Mensch - das halte ich für übertrieben. Und genau so gibt es die, die halt sagen, der ist im Zweifelsfall instinktgeleitet und vielleicht auch noch aggressiv und unberechenbar, und auch das halte ich für übertrieben."
Die Hälfte der Menschen überschätzt Hunde, die andere unterschätzt sie. Das hat Juliane Bräuer vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte gerade in ihrem Fazit gesagt. In jedem Fall scheinen alle eine Meinung über die Vierbeiner zu haben - was damit zu tun haben dürfte, dass jeder mindestens einen Hund kennt. Oder einen hat. Oder fast mal einen hatte.
Doch wie wurde der Wolf überhaupt zum Hund und damit zu unserem ständigen Begleiter? Wie hat sich die gemeinsame Geschichte auf die geistigen Fähigkeiten des Hundes ausgewirkt? Und was sagt das über unser eigenes Erkenntnisvermögen aus?
Um diese Fragen zu beantworten, habe ich mit jemandem gesprochen, der das Dreieck Wolf, Hund und Mensch erforscht: Friederike Range von der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Sie ist Verhaltensforscherin und hat das Wolf Science Center im österreichischen Ernstbrunn mitgegründet, wo die geistigen Fähigkeiten von Wolf und Hund verglichen werden. Außerdem das Clever Dog Lab in Wien. Friederike Range weiß, wann und wie der gemeinsame Weg von Mensch und Hund begonnen hat.
(Interview Friederike Range, Veterinärmedizinische Universität Wien, über die gemeinsame Geschichte von Mensch und Hund und die kognitiven Fähigkeiten von Hund und Wolf.)
"Wir sind der Rudel-Ersatz der Hunde"
Warum hatte ich also damals das Gefühl, mit dem Hund einen Vertrauten zu verlieren? Warum fühlen wir uns von Hunden so gut verstanden? Nach den Gesprächen mit Juliane Bräuer vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und Friederike Range würde ich sagen: Weil wir der Rudel-Ersatz der Hunde sind; ihre natürliche Umwelt, an die sie sich im Lauf von Jahrtausenden angepasst haben.
Dadurch haben Hunde erstaunliche Fähigkeiten entwickelt, mit uns zu kommunizieren und sich in unsere Perspektive hineinzuversetzen. Auf der anderen Seite scheren sie sich nicht viel um logische Zusammenhänge: Wir sind ja da, um ihnen Futter zu besorgen.
Das macht sie nicht klüger oder einfältiger als andere Tiere. Und es heißt auch nicht automatisch, dass die geistigen Fähigkeiten von Hunden dieselbe Grundlage haben wie unsere. Aber es schafft ein einmaliges artübergreifendes Verständnis.