Ein Mann steigt in den Ring und stellt sich einem wütenden Stier. Statt mit Tuch und Degen ist der Matador mit einer Fernbedienung bewaffnet. Er will das Verhalten des Tiers auf Knopfdruck steuern: Elektroden im Hirn des Kampfstiers, die per Funk aktiviert werden können, sollen seine Wut bändigen.
Es ist das wohl berühmteste Experiment des Hirnforschers José Manuel Rodriguez Delgado. Mitte der 60er gingen die Bilder des Stierkampfes um die Welt. Es war nicht nur der dramatische Auftritt, der faszinierte, sondern auch die Botschaft, die dahintersteckte: Den Geist fremdzusteuern ist offenbar möglich.
Fernsteuerung des Geistes als Chance
Eine Interpretation, die José Delgado durchaus unterstützte. In seiner Sicht war die Kontrolle des Geistes mehr Chance als Risiko. Er sah in der "elektrischen Hirnstimulation" großes Potential für die Therapie neurologischer Krankheiten wie Epilepsie, Schizophrenie und Depression. Die Idee war, das Gehirn durch wiederholtes Ausschalten einer unerwünschten Verhaltensweise dazu zu bringen, umzulernen und das Fehlverhalten damit abzulegen.
Delgados besonderes Interesse galt dabei der Aggression: Jahrgang 1915 hatte er als gebürtiger Spanier im Bürgerkrieg gekämpft. In zahlreichen Versuchen beobachtete er, wie sich aggressives Verhalten durch Hirnstimulation unterdrücken lässt, und welchen Einfluss das auf die Sozialstruktur einer Gruppe hat. Der Stier war dabei sein exotischstes Versuchstier. Die meisten seiner Untersuchungen machte er an Affen, einige auch mit menschlichen Patienten.
Moderne Methoden – umstrittene Ansichten
Methodisch war José Delgado seiner Zeit weit voraus. Auch wenn Geschichten wie die vom ferngesteuerten Stier heute vor allem absurd erscheinen, legte er den Grundstein für technische Entwicklungen, die inzwischen sowohl in der Hirnforschung als auch in der angewandten Medizin eine wichtige Rolle spielen. José Delgado war der erste, der chronisch implantierbare, drahtlose Elektroden entwickelte. Damit lieferte er die methodische Basis für tiefe Hirnstimulation die heutzutage ein anerkanntes Mittel ist, etwa um die Symptome von Parkinson zu mildern.
Delgado war auch der erste, der eine sogenannte Gehirn-Computer-Schnittstelle benutzte, um die Hirnaktivität eines Schimpansen durch eine Art Neurofeedback zu modulieren. Mit einer abgewandelten Form dieser Methode werden heute bestimmte Formen der Epilepsie behandelt. Trotz solcher Meilensteine ist José Delgados Beitrag zur Wissenschaft weitestgehend in Vergessenheit geraten. Wahrscheinlich eine Folge der kontroversen Ansichten, die Delgado vertrat.
Video: Dokumentarfilm von José Delgado zur Verhaltenskontrolle durch Elektrostimulation in Affen
Eine friedliche Gesellschaft durch Elektrostimulation?
Umstritten war die Arbeit José Delgados schon immer. Auch auf dem Höhepunkt seiner Karriere gab es in den Reihen seiner Kollegen zahlreiche kritische Stimmen. Seine Experimente waren sensationsheischend, kaum kontrolliert und konnten oft nicht wiederholt werden. Hinzu kam die ethische Dimension. Welches Verhalten ist "unerwünscht" und darf abgestellt werden? Wer entscheidet das? In dem 1969 erschienen Buch "Physical control of the mind – towards a psycho-civilized society" stellte Delgado einen detaillierten Plan vor, wie eine friedliche Gesellschaft durch internationale Zusammenarbeit, staatlich angeordnete Erziehungsprogramme und Elektrostimulation des Gehirns zu erreichen wäre.
Deep Science - Alle Folgen des Wissenschaftspodcasts
- Episode 1: Kommunikation zwischen Mensch und Tier | Mit Schimpansen sprechen
- Episode 2: Hirnforschung | Stierkampf mit Fernsteuerung
- Episode 3: Psychometrie | Dein Gesicht verrät deine politische Überzeugung
- Episode 4: Mischwesen | Kann man Mensch und Affe kreuzen?
- Episode 5: Solar Geoengineering | Verdunkeln wir doch die Sonne!
Ende der 50er-, Anfang der 1960er-Jahre, als er seinen Stier vorführte, war Mind-Control in den USA ein aktiver Forschungszweig im Rahmen der Politik des Kalten Krieges. Auch Delgados Forschung wurde vom Militär unterstützt. Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre dann waren Ideen, die Assoziationen von staatlicher Gehirnwäsche weckten, nicht mehr gesellschaftsfähig. José Delgado war für viele Kollegen nicht mehr tragbar. Bei seiner Rückkehr nach Spanien 1975 war der glanzvolle Teil seiner Karriere vorbei.
Der Podcast
In der wissenschaftlichen Literatur ist José Delgado heute nahezu vergessen. Aber in der Populärkultur hat er ein paar Denkmäler gesetzt bekommen. Der Romanautor Michael Crichton, ehemaliger Doktorand eines Kooperationspartners Delgados, verarbeitet in seinem Roman "The Terminal Man" viele von Delgados Ergebnissen und Technologien. Auch in der Neuverfilmung des Klassikers "The Manchurian Candidate" sind Referenzen an den Pionier der Hirnforschung versteckt.
Im Podcast zeichnen wir die Geschichte von José Delgados Forschungen noch einmal nach. Zusammen mit dem Verhaltensbiologen Raimund Apfelbach, der Ende der 1960er-Jahre bei José Delgado PostDoc war, und dem Neurowissenschaftler Peter Snyder, dessen Vater viele Jahre mit José Delgado zusammengearbeitet hat. Und der eines Tages unter einem Stapel T-Shirts eine alte Schachtel mit einem Film fand, auf dem Delgado sein berühmtes Stier-Experiment festgehalten hat.
Quellen:
José M. R. Delgado: "Gehirnschrittmacher: Direktinformation durch Elektroden"
Frankfurt (M.), Berlin: Ullstein, 1971
ISBN: 3550070241
Frankfurt (M.), Berlin: Ullstein, 1971
ISBN: 3550070241
Peter J. Snyder: "Delgado's Brave Bulls: The Marketing of a Seductive Idea and a Lesson for Contemporary Biomedical Research"
In: Science and the Media [Editor(s): Peter J. Snyder, Linda C. Mayes, Dennis D. Spencer]
Academic Press: 2009, Pages 25-40
ISBN 9780123736796
In: Science and the Media [Editor(s): Peter J. Snyder, Linda C. Mayes, Dennis D. Spencer]
Academic Press: 2009, Pages 25-40
ISBN 9780123736796
The Forgotten Era of BRAIN CHIPS
John Horgon Scientific American, vol. 293, no. 4, 2005, pp. 66–73. JSTOR
John Horgon Scientific American, vol. 293, no. 4, 2005, pp. 66–73. JSTOR