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Hirnforschung
Wissen wir, was wir wollen?

Eigentlich ist der freie Wille eine ganz einfache Sache: Ich entscheide mich, den Knopf zu drücken und dann drücke ich ihn. Experimente belegen aber: Hirnprozesse bereiten die Bewegung schon vor, lange bevor das Bewusstsein den Eindruck hat, sich zu entscheiden. Ist der bewusste freie Wille also eine Illusion oder nicht?

Von Volkart Wildermuth |
    Das menschliche Gehirn, dargestellt in einer Computergrafik
    Es sieht so aus, als ob die unbewussten Hirnprozesse zwar eine notwendige Voraussetzung der Handlungen sind. Aber sie alleine reichen eben auch nicht aus. Das Bewusstsein muss die Handlung zumindest durchwinken. (imago/Science Photo Library)
    Der freie Wille hat es schwer, seit die Forscher dem Gehirn beim Denken zusehen können. Schon eine Sekunde, bevor sich seine Probanden für eine Handlung entscheiden, kann Prof. John-Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience der Berliner Charité ihre Wahl vorhersagen, nur aufgrund der Analyse von Mustern in der Hirnaktivität. Das einfache Modell - erst entscheidet das Bewusstsein, dann lässt das Gehirn den Körper die Entscheidung ausführen - ist offenbar falsch.
    Der Anstoß zu einer Bewegung geht von unbewussten Hirnprozessen aus und zeigt sich im sogenannten Bereitschaftspotenzial in den motorischen Zentren. Offen ist aber, wie dieser Befund zu interpretieren ist, meint John-Dylan Haynes. Führt das Bereitschaftspotenzial unweigerlich zu der Bewegung, oder kann das Bewusstsein vielleicht doch noch eingreifen?
    "Das ist genau die Frage, der wir mit diesem Experiment nachgegangen sind: Können Probanden noch eine Kontrolle ausüben, den Prozess abbrechen, wenn einmal das Gehirn angefangen hat, die Entscheidung vorzubereiten?"
    Analyse in Echtzeit
    Dazu mussten die Versuchsteilnehmer ein ganz einfaches Spiel gegen den Computer spielen: Wie bei einer Ampel war abwechselnd ein rotes und ein grünes Licht zu sehen. Drückten die Probanden mit dem Fuß einen Schalter in der Grünphase bekamen sie einen Punkt, war die Ampel beim Drücken schon auf Rot umgesprungen, ging der Punkt an den Computer. Anfangs steuerte ein Zufallsgenerator die Ampel. Die vielen Durchläufe nutze das Computerprogramm, um über Elektroden auf dem Kopf der Teilnehmer ihr persönliches Bereitschaftspotenzial zu erkennen.
    "Üblich ist es, das man solche Analysen offline macht, das heißt, man sammelt erst mal ganz viele Daten zusammen und dann macht man die Analyse. Wir haben hingegen ein Echtzeitsystem gebaut, das während der Proband noch im EEG sitzt bereits die Entscheidung aus der Hirnaktivität herauslesen kann."
    Eine technische Meisterleistung, für die John-Dylan Hanyes auf die Erfahrung von Forschern der TU-Berlin zurückgriff, die EEG Signale nutzen, um ein Auto nur über die Gedanken zu steuern. In zweiten Durchlauf der Experimente zum freien Willen nutze der Computer die Echtzeitauswertung der Hirnsignale um die Ampel auf Rot zu stellen, sobald ein Bereitschaftspotenzial den baldigen Tastendruck andeutete.
    "Wir hatten erwartet, dass wir die Probanden überlisten könnten, dass wir also die Absicht aus der Hirnaktivität erkennen können, das Licht rot schalten und der Proband in die Falle läuft und den Knopf trotzdem drückt. Wir waren dann ganz überrascht, festzustellen, dass die Probanden die Entscheidung trotzdem noch abbrechen konnte. Das heißt, obwohl ihr Gehirn bereits die Entscheidung vorbereitet hatte, und wir diese Entscheidungsvorbereitung auch sehen konnten, konnten die Probanden diesen Prozess noch anhalten, quasi ein Veto ausüben über diese Vorbereitungsprozesse des Gehirns."
    Bewusstsein bestimmt die Handlung trotzdem mit
    Dieser Befund wurde zwar nur an zehn Versuchsteilnehmer erhoben, hat sich aber in vielen Durchläufen als sehr robust erwiesen. Es sieht so aus, als ob die unbewussten Hirnprozesse zwar eine notwendige Voraussetzung der Handlungen sind. Aber sie alleine reichen eben auch nicht aus. Das Bewusstsein muss die Handlung zumindest durchwinken.
    "Unser Experiment zeigt jetzt, dass obwohl das Gehirn eine Entscheidung vorbereitet, wir anscheinend jederzeit in diesen Prozess eingreifen können und eine Entscheidung noch abwenden können, die unser unbewusstes Gehirn für uns gefällt hat."
    Im Alltag ist diese korrigierende Funktion des Bewusstseins aber kaum gefordert, meint John-Dylan Haynes.
    "Es gibt eher ein Kontinuum zwischen der unbewussten Vorbereitung und der bewussten Phase der Entscheidung."
    Konflikte zwischen diesen beiden Phasen der Entscheidung lassen sich in der künstlichen Situation des Experimentes gezielt inszenieren. Sie spielen vielleicht auch bei Suchterkrankungen eine Rolle, bei denen das Verlangen mit der rationalen Verhaltenskontrolle ringt. Aber im Allgemeinen entstehen Entscheidungen und Handlungen in einem einheitlichen Prozess, in dem sich unbewusste und bewusste Anteile nicht auseinanderdividieren lassen.
    Rationale Verhaltensrolle
    Das Bewusstsein, das zeigen die neuen Daten, ist dabei kein bloßes Anhängsel, das längst abgelaufene Nervenprozesse auf einer anderen Ebene nachvollzieht. Es hat durchaus eine eigenständige Rolle, allerdings, und das ist John-Dylan Haynes wichtig, als integraler Teil des Gehirns und nicht als etwas, das von einer ganz anderen Ebene her eingreift, wie manche Philosophen vermuten.
    "Unser Experiment darf man nicht missverstehen als Schlupfwinkel dafür, dass das Bewusstsein noch quasi sich von der Kausalität des Gehirns unabhängig machen kann. Sondern natürlich werden auch dieser Entscheidung, quasi die Bewegung anzuhalten, auch Hirnprozesse vorauslaufen."