Der Plan klang verwegen. Patienten, deren Hände nach einem Schlaganfall gelähmt waren, sollte ein kleines Loch in den Schädel gebohrt werden. In dieses Loch wollten die Ärzte dann eine schmale Elektrode implantieren. Das Kalkül:
"Wenn man direkt unter die Schädeldecke auf die Hirnrinde eine Elektrode legt und dort das Gehirn stimuliert, dass das in Kombination mit Training der gelähmten Hand zu einer Verbesserung führen sollte. Das war das Konzept", sagt Friedhelm Hummel, stellvertretender Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Um eine gelähmte Hand wieder möglichst gut benutzen zu können, müssen Schlaganfallpatienten eine aufwendige Reha absolvieren. Sie müssen ausdauernd und geduldig trainieren. Durch dieses Training wird das geschädigte Gehirn quasi umprogrammiert und lernt von Neuem, die Bewegung der Hand zu steuern.
Dieses Umlernen sollten die schwachen Stromstöße aus der implantierten Elektrode erleichtern - und zwar indem sie die Erregbarkeit der Hirnrinde erhöhen und den intakt gebliebenen Nervenzellen helfen, sich neu zu organisieren. Damit sollte das Training effizienter und die Hand des Patienten beweglicher werden - so jedenfalls die Idee.
"Interessantes Konzept, vielversprechendes Konzept. In kleinen Studien hat sich schon ganz gut gezeigt, dass das funktionieren könnte. Das hat dann dazu geführt, dass in Deutschland an wenigen Zentren - in Hamburg, Freiburg, Berlin - eine neue Studie mit einem detaillierten Studiendesign aufgelegt wurde und auch schon ein Patient in Hamburg implantiert wurde."
Nach US-Studie sprangen Investoren ab
Das war 2008. Insgesamt 20 Patienten wollten die Mediziner eine Hirnelektrode einsetzen und prüfen, ob sie mit der Stromstimulation ihre Hände wieder besser bewegen konnten. Doch dazu kam es nicht. Denn kurz zuvor schien eine US-Studie gezeigt zu haben, dass die Hirnstimulation nur wenig bringt: Bei vielen Patienten war das Training mit Stromunterstützung kaum oder gar nicht effizienter gelaufen als ohne. Das aber, meint Friedhelm Hummel, dürfte nicht an der Methode an sich gelegen haben, sondern an einer mangelhaften Ausführung der Studie in den USA:
"Um Zeit zu sparen vermutlich, wurde in dieser US-Studie drauf verzichtet, während der Operation genau zu gucken, ob ich mit der Elektrode tatsächlich in der motorischen Hirnrinde liege, wo ich die Handfunktion steuern. Das hat sich retrospektiv als ein Fehler gezeigt."
Doch damals hatte der vermeintliche Misserfolg der US-Studie eine gravierende Folge: Der Herstellerfirma der Hirnelektrode sprangen die Investoren ab. Und dadurch musste die deutsche Studie, bei der den Patienten die Elektrode viel gezielter eingesetzt werden sollte, nach nur einem Patienten abgebrochen werden.
"Halte ich für sehr schade, weil es ein vielversprechendes Konzept ist. Man kann nur hoffen, dass man in Zukunft noch mal eine Unterstützung findet, um so eine Studie durchzuführen, oder ob sich dann wieder eine Firma interessiert."
Aufgeklebt, statt eingepflanzt
Dennoch haben die Forscher das Prinzip seitdem fortentwickelt. Allerdings auf andere Weise - und zwar nichtinvasiv, also mit aufgeklebten statt mit implantierten Elektroden.
"Das sind Elektroden, die ungefähr fünf mal fünf Zentimeter groß sind. Dann wird ein schwacher Strom wie von einer Neun-Volt-Batterie in einer bestimmten Zeit appliziert. Und damit kann man die Fähigkeit der Hirnrinde, die unter der Elektrode liegt, sich umzuorganisieren, verbessern."
Das elektrische Feld wird also nicht unterhalb der Schädeldecke erzeugt, sondern oberhalb. Zurzeit läuft in Europa eine große klinische Studie, die die Wirksamkeit des Verfahrens prüfen soll.
"Unsere Hypothese ist, dass die Kombination aus Hirnstimulation mit Training selbst ein Jahr nach dem Schlaganfall einen Vorteil bringt."
Dieser Vorteil dürfte je nach Patient recht unterschiedlich ausfallen, schätzt Hummel - und hofft auf Verbesserungen zwischen 10 und 50 Prozent. Mit einem Ergebnis der aktuellen Studie ist in zwei Jahren zu rechnen. Sollte das Konzept dann aufgehen - wäre damit die Idee der implantierten Elektrode vom Tisch? Nicht unbedingt, meint Hummel. Es könnte sein, dass etwa in schweren Fällen eine eingepflanzte Elektrode einen größeren Effekt bringt als eine aufgeklebte. Nur: Um das zu beweisen, müssten die Forscher erst mal die Mittel für eine neue Studie zusammenbekommen.