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Hirsch: Themenverengung ist ein "schwerer Fehler gewesen"

Man müsse sich wieder auf liberale Inhalte wie die Wahrung der Bürgerrechte besinnen, sagt der FDP-Politiker Burkhard Hirsch. Die Verengung auf wirtschaftliche Themen hat zu den schlechten Wahlergebnissen geführt. Vom Bundesparteitag in Rostock erhoffe er sich, dass dort "Klartext" gesprochen werde.

Burkhard Hirsch im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Wolfgang Labuhn berichtete. Am Telefon ist der frühere nordrhein-westfälische Innenminister und ehemalige Vizepräsident des deutschen Bundestages Burkhard Hirsch. Guten Tag!

    Burkhard Hirsch: Einen schönen guten Tag!

    Heinemann: Herr Hirsch, Philipp Rösler und Christian Lindner sollen den Liberalismus wiederbeleben. Funktioniert Renaissance ohne Aufklärung – anders gefragt: Muss die FDP Liberalismus erst wieder lernen?

    Hirsch: Das würde ich nicht so sagen, aber wir sind ja dabei, in einer Programmkommission neu zu formulieren: Was bedeutet in unserer heutigen Gesellschaft liberale Politik? Das ist ein Diskussionsprozess, der sich sicherlich noch bis zum November hinziehen wird. Wir werden im November einen außerordentlichen Bundesparteitag in Frankfurt haben, und ich denke, dass wir dann klare Verhältnisse auch darüber haben, nicht nur, um welche Personen es geht, sondern: Was heißt liberale Politik in unserer heutigen Gesellschaft?

    Heinemann: In den letzten Jahren hörte man aus der FDP ja immer nur das Wort Steuersenkungen, häufig im plärrenden Ton. Wieso hat eine ganze Partei das zugelassen?

    Hirsch: Das ist eine Frage, die berechtigt ist. Das ist ein schwerer Fehler gewesen, die Partei oder den Liberalismus zu verengen auf bestimmte wirtschaftliche Interessen und den Eindruck zuzulassen, dass wir uns darin erschöpfen, die ökonomischen Interessen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu wahren und zu schützen. Das ist ein schwerer Fehler gewesen, den wir mit den Wahlergebnissen bezahlt haben.

    Heinemann: Welche liberalen Inhalte liegen in der FDP denn zurzeit brach?

    Hirsch: Es geht natürlich einmal um die ganze Bürgerrechtsposition, also um innere Freiheit in unserer Gesellschaft, über direkte Demokratie, die Beteiligung der Bürger, unmittelbare Beteiligung an politischen Entscheidungen, das Verhältnis zu Europa muss geklärt werden, also die Frage: Funktioniert denn eine Währungsunion ohne eine gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik? Es muss die Frage entschieden werden: Was bedeutet Sozialpolitik? Wollen wir etwa an der Position festhalten oder sie vertreten, dass bei einer guten Wirtschaftspolitik dann sozusagen sozialer Konsequenzen als Beihauerfolg – muss man nicht dafür mit einer eigenen wirklichen Sozialpolitik Ernst machen? Das sind Themen, die liegengeblieben sind – und ich wiederhole auch insbesondere das Bürgerrechtsthema – die liegengeblieben sind, und die einen ganz anderen Stellenwert für eine liberale Politik bekommen müssen, als sie in den letzten Jahren hatten.

    Heinemann: Steuersubventionen für Hotelbesitzer haben Sie jetzt nicht genannt.

    Hirsch: Das war ja eine These der CSU, das darf man nicht vergessen. Es wäre sicherlich schlauer gewesen, nicht nur die Frage der Mehrwertsteuer bei Übernachtungsbetrieben zu behandeln, sondern den ganzen Irrsinn der völlig unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze – ob es sich um Bücher, um Schnittblumen, um Tiernahrung oder Kinder- und Babynahrung handelt – da ist ja ein solcher Irrsinn, den hätte man insgesamt anpacken müssen, und nicht nur die Frage, ob die bayerischen Übernachtungsbetriebe eine höhere Mehrwertsteuer haben als die in Österreich und in Frankreich.

    Heinemann: Herr Hirsch, der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte hat vor einer guten Stunde hier gesagt, das Thema Internetfreiheit – also Datenschutz in der digitalen Welt –, das ist ein Riesen-Zukunftsthema, aber das verschläft die FDP auch im Moment, nicht?

    Hirsch: Nein, wir verschlafen es nicht, wir kämpfen da. Es fängt ja schon an mit der Frage der Vorratsdatenspeicherung, wo unser konservativer Koalitionspartner meint, er müsste da die ganzen Internet- und die ganzen elektronischen Kommunikationsdaten von jedermann und von 350 Millionen Europäern auf sechs Monate mindestens speichern – das ist natürlich ein Wahnsinn, den man nicht akzeptieren kann, und wo in der Tat auch die Frage aufsteht: Was machen die Europäer eigentlich mit einer solchen Richtlinie? Wie ist es möglich gewesen, eine solche Richtlinie zu verabschieden? Also, da sind – und zwar unter Mitwirkung der damaligen Bundesregierung, muss man leider sagen – gegen den Willen des deutschen Bundestages – wir verschlafen das Thema nicht. Aber das ist ein Punkt, bei dem wir auch mit unserem Koalitionspartner mal Klartext reden müssen.

    Heinemann: Herr Hirsch, zur Freiheit gehört das Wagnis, das Risiko. Ist das überhaupt noch vermittelbar, oder ist Gleichheit und ist Absicherung inzwischen für viele oder für zu viele nicht viel wichtiger als Freiheit?

    Hirsch: Das birgt ein weites Feld. Es ist ja richtig, dass der Sicherheitsgedanke bei vielen Bürgern eine enorme Rolle spielt, und wo viele meinen, sie könnten ein Mehr an eigener Sicherheit bezahlen mit der Freiheit anderer. Ich sage mal, diese ganzen Gesetze – Terrorismusbekämpfung, Terrorismusergänzungsbekämpfungsgesetze – treffen uns ja nicht, die treffen ja nur andere. Und da muss man dem Bürger sagen, Leute, so ist es nicht. Unsere Gesetze messen das Maß an Freiheit jedem in gleicher Weise zu. Eine politische Zechprellerei in der Frage ist nicht möglich, sondern wir reden nicht nur über Sicherheit, sondern immer gleichzeitig auch um unsere eigene Freiheit. Da fehlt es sicherlich bei manchen unserer lieben Mitbürger an dem notwendigen Bewusstsein. Und ich bin aber sicher, dass die Position, die wir vertreten, dass die gut und gerne in Deutschland von mehr als 15 Prozent der Bevölkerung vertreten werden – mit vollem Recht! Die erkennen, dass wir mit dem Verzicht auf Privatheit, mit dem Verzicht auf eine wirkliche innere Liberalität unsere Gesellschaft in einer irreparablen Weise verändern würden.

    Heinemann: Warum reden eigentlich die heutigen FDP-Politiker nicht so wie Sie?

    Hirsch: Na, warten wir mal den Parteitag ab, den wir an diesem Wochenende in Rostock haben werden, und ich hoffe schon, dass da Klartext gesagt wird.

    Heinemann: Erwarten Sie eine schonungslose Abrechnung mit den vergangenen zehn Jahren?

    Hirsch: Ich denke, dass es eine Generaldebatte geben wird, in der man Klartext reden und nicht so sagen muss, wir haben verstanden, sondern ich möchte dann auch von unserem Bundesvorsitzenden hören, was hat er verstanden? Ich möchte nicht nur hören, ich habe Fehler gemacht und das tut mir leid, das ist okay, sondern ich hätte gerne gewusst, was betrachtest du als deine Fehler? Man muss schon etwas mehr Klartext reden auf diesem Bundesparteitag, das wird auch kommen, aber letzten Endes bezieht sich ein Parteitag eben nicht nur auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft. Wir wollen personelle Entscheidungen treffen, die dann uns tragen, und die uns die nötige innere Konsolidierung geben, auf der dann die Diskussion und Behandlung einer neuen politischen Basis möglich sein wird, die, wie gesagt, eine Diskussion in dieser Programmkommission, die wir in die Partei hineintragen wollen und werden bis zum November dieses Jahres.

    Heinemann: Der frühere nordrhein-westfälische Innenminister und ehemalige Vizepräsident des deutschen Bundestages Burkhard Hirsch, FDP. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Hirsch: Auf Wiederhören!