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Historie der Katholikentage
Lob des Ungehorsams

In der traditionellen katholischen Kirche gibt es Christen erster und zweiter Klasse: Da ist der Klerus, der sagt, wo es langgeht. Und da sind die Laien, die – um in einem kirchlichen Bild zu sprechen – ihren Hirten als folgsame Schafe hinterher trotten. Allerdings: Diesem Zerrbild widersetzen sich die Laienkatholiken schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts - unter anderem mit Katholikentagen.

Von Burkhard Schäfers |
    Abbildungen von bekannten Persönlichkeiten sind am 04.05.2016 in Leipzig (Sachsen) auf Transparenten zum kommenden Katholikentag zu sehen. Der 100. Deutsche Katholikentag findet vom 25. bis 29. Mai 2016 unter dem Leitspruch 'Seht, da ist der Mensch' in Leipzig statt.
    100 bekannte Persönlichkeiten zum 100. Katholikentag (dpa-Zentralbild)
    Papst Gregor XVI. findet klare Worte: Die Freiheit des Gewissens, schreibt er, sei eine "irrige Meinung", "Wahnsinn", "seuchenartiger Irrtum". Das Kirchenoberhaupt wendet sich gegen den "Wahnwitz der Geistesfreiheit" sowie die "schrankenlose Denk- und Redefreiheit". Damals, im Jahr 1832, hält Rom es für undenkbar, dass die Laien in der Kirche ihre Stimme erheben, sagt Hubert Wolf, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster.
    "Laien sind nach dem Kirchenrecht unmündige Schafe. Die dürfen blöken, und man muss sie, wie es in den römischen Dokumenten immer heißt, notfalls mit scharfen Hunden von den gefährlichen Weideplätzen fernhalten. An dem Punkt sind die deutschen katholischen Laien, die sich in den Katholikentagen treffen, ungehorsam. Sie nehmen es selber in die Hand."
    1848: erster Vorläufer des Katholikentags
    Nur wenige Jahre, nachdem Papst Gregor sich so deutlich gegen bürgerliche Freiheitsrechte wendet, beginnen die katholischen Laien, sich in Vereinen zusammenzuschließen. 1848 treffen sie sich in Mainz zu ihrer ersten Generalversammlung, den heutigen Katholikentagen. Sie setzen sich ein für die Freiheit der Kirche, für Bildung, und kämpfen gegen soziale Missstände. Auch heute, knapp 170 Jahre später, sehen viele engagierte Christen genau darin ihre wesentliche Aufgabe.
    Hubert Wolf: "Wir müssen, wenn die Katholikentage in der Tradition ihrer Geschichte bleiben wollen - das ist eine eminent politische Veranstaltung. Wir wollen in der Gesellschaft was verändern. Und diese Gesellschaft braucht Werte. Wo sollen die Werte herkommen im Moment? Ich seh kaum eine Institution, die das leisten kann. Da könnte der Laienkatholizismus schon eine maßgebliche Rolle spielen."
    Wirtschaftskrise, Europakrise, Vertrauenskrise – die schlechten Nachrichten häufen sich. Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen: Resignieren – oder sich engagieren. Die Institution der Katholikentage gilt als wichtige Säule des sogenannten sozialen und politischen Katholizismus. Also einer Form des Glaubens, der in die Gesellschaft hineinwirkt, sagt Hans Maier, früherer bayerischer Kultusminister und lange Jahre Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, dem Dachverband der Laien.
    Glaube soll die Welt gestalten
    "Glaube ist ja nicht nur was, was ich im stillen Kämmerlein bekenne und für mich behalte als Geheimnis. Sondern der Glaube will ja auch die Welt gestalten und umformen", sagt Hans Maier.
    Angesichts immenser Herausforderungen ist das leichter gesagt als getan. Terror in Europa, Kriege in Syrien und der Ukraine, neue Krisenherde, die eigentlich befriedet schienen – da seien auch die Christen gefragt, meint Hans Maier. Denn historisch betrachtet hätten sie einiges zur gesellschaftlichen Entwicklung beigetragen.
    Hans Maier: "Früher hat sich jeder sein Recht selbst geholt in der antiken Welt. Und mit dem Christentum ist der Gedanke des Friedens, auch im politischen Sinn, des Landfriedens, also der Ablösung von Selbsthilfe durch Gericht und Polizei wirksam geworden. Dieser Frieden ist vielleicht die ursprünglichste soziale Botschaft, die der Glaube hat."
    70er- und 80er-Jahre: Viele Katholiken hatten die Nase voll
    In den vergangenen Jahren allerdings schien es ziemlich ruhig geworden zu sein um den Laienkatholizismus. Öffentlich drang er kaum noch durch. Anders als in den 70er und 80er-Jahren, als sich Katholiken vehement einsetzten für Entwicklungspolitik, faire Handelsbedingungen, Abrüstung und Umweltschutz. Experten führen das auf die Erosion katholischer Milieus zurück, und auf den schwindenden Zusammenhalt innerhalb der Kirche. Etliche Jahre standen die sogenannte Basis und die Kirchenleitung sich ziemlich unversöhnt gegenüber. In den Auseinandersetzungen ging es um innerkirchliche Fragen: Die Laien kämpften für mehr Rechte, auch der Frauen, gegen die Diskriminierung von Homosexuellen oder geschiedenen Wiederverheirateten, für Reformen einer verkrusteten Hierarchie. Und immer mehr hätten in diesem Kampf resigniert, sagt Kirchenhistoriker Hubert Wolf.
    "Die engagierten katholischen Laien denken zunächst innerkirchlich an die nicht durchgesetzten Reformen. Ganz viele, die sich über Jahrzehnte in Diskussionsforen, in Kirchengemeinderäten engagiert haben, haben die Nase voll. Dadurch, dass dieses Engagement von Laien in der Kirche nachlässt, weil ganz viele frustriert sind über das, was eben nicht passiert ist, auch deshalb hat der Laienkatholizismus im Moment nicht die Durchschlagskraft und die Power."
    Jetzt allerdings kommen zwei Umstände zusammen, die womöglich eine Renaissance des Laienkatholizismus einläuten könnten. Da ist zum einen Papst Franziskus. Er interessiert sich für die Meinung der Gläubigen, die er etwa in zwei groß angelegten Umfragen zum Thema Partnerschaft und Familie einholen ließ. Er spricht nicht nur dem Klerus, sondern allen Katholiken eine maßgebliche Verantwortung für Kirche und Gesellschaft zu. Das haben mündige Christen lange vermisst.
    Katholikentage mit Brückenfunktion
    Hinzu kommt das große Thema Flucht: Viele Laien haben in der Flüchtlingshilfe wichtige Aufgaben übernommen, ohne die die staatlichen Organe wohl schnell an ihre Grenzen stoßen würden. Diese Repolitisierung sollte sich auch der heute [25.05.16] beginnende Leipziger Katholikentag zu eigen machen, fordert Kirchenhistoriker Wolf:
    "Vielleicht müssen die Katholikentage stärker diese Brückenfunktion wahrnehmen: Raus aus den Sakristeien, raus aus den frommen Übungen. Die Katholikentage haben ja die Brückenfunktion seit 1848 geschafft: Raus aus der Kirche, rein in die Gesellschaft. Und wenn die Gesellschaft sich so drastisch ändert, dann könnte der Katholikentag ja vielleicht mit dem Papst ein wenig Gemeinsamkeit haben."
    Bleibt also die Frage, welche Botschaft die Laienkatholiken von ihrem Treffen in Leipzig aussenden sollten. Hans Maier erwartet eine religiöse Botschaft mit politischer Tragweite:
    "Man müsste deutlich machen, auch angesichts der Flüchtlingsbewegungen, auf welchen Fundamenten die europäische Gesellschaft steht. Man müsste schauen, dass der Gottesglaube wieder in die vielen Bekenntnisse einrückt, er dürfte nicht mehr verschämt verschwiegen werden. Denn im Gespräch der Religionen miteinander müsste die christliche Stimme deutlicher werden."