Wer aus seinem Dorf nicht raus kommt, kennt keinen Begriff von Heimat. Erst bei Verlust der Heimat oder Erfahrungen der Vertreibung wird er relevant. Einen Höhepunkt erreicht das Sprechen über Heimat in Deutschland um 1900 mit der Industrialisierung, als Städte und Bevölkerungszahlen rapide wachsen. Immer wenn fraglich wird, was Heimat noch sei, tauche das Wort als "Kompensationsbegriff" auf, sagte der Historiker, Journalist und Schriftsteller Gustav Seibt im Deutschlandfunk.
"Heimat wird zum Thema in dem Moment, wo sie bedroht ist"
"Durch die Stifterschen Wälder dröhnen ja die Sägewerke. Gleichzeitig wandern die Menschen aus und gehen nach Amerika, weil sie nicht mehr genügend Arbeit finden in den zurückgebliebenen Gebieten. Aus Deutschland wandern im 19. Jahrhundert mehrere Millionen Menschen - eine zweistellige Zahl - aus. Auch das sind Erfahrungen von Heimatverlust, sowohl für die die gehen als auch für die, die zurück bleiben. Auch die sind sich nicht mehr sicher, ob sie da noch zu Hause sind, wo sie sind."
Gegenwärtig scheint wieder so ein Moment zu sein. Ex-Außenminister Sigmar Gabriel und Grünen-Chef Robert Habeck sprechen öffentlich über Heimat. Unter dem Eindruck von Flüchtlingskrise, Brexit, Migrationswellen und Globalisierung fühlen sich viele Menschen fremd in der Heimat. Es gebe einen legitimen Begriff von Heimat. Heimat sei ein "mittlerer Bereich", wo der Mensch "zu Hause" ist. "Das meine ich mit Lebenssphäre auf Sichtweite, wo der türkische Gemüsehändler einem morgens einen Apfel schenkt, weil man sich gut kennt und zuwinkt", sagt der Historiker und Journalist in den "Kulturfragen".
Uwe Tellkamp als Heimat-Autor
Zur "Erklärung 2018", die den Begriff selbst nicht enthält, meint Gustav Seibt, sie käme drei Jahre zu spät, die Bundesregierung habe längst umgesteuert, alle Zeichen stünden auf Beherrschung der Migration. "Es stimmt einfach nicht, was Tellkamp sagt, dass solche Meinungen nicht gehört werden."
Dass der National- oder der Zentralstaat nicht zu mehr Heimatliebe führt, im Gegenteil, könne man am Dresdner Bürgertum zeigen, wie es in Tellkamps "Der Turm" geschildert sei:
"Das hat sich abgekapselt gegen den Zentralstaat DDR und in diesem Widerstand auch seine eigene Kultur, seine Sprachregelungen, seinen internen Witz bewahrt. Und ich glaube, dass manche Ostdeutschen aus dieser Erinnerung heraus jetzt gegen eine von ihnen als fremdartig und bevormundend empfundene Bundespolitik opponieren, die ihnen ähnlich von oben herab und aufgezwungen erscheint wie seinerzeit die Politik in der DDR, wo es ja eine verordnete Völkerfreundschaft gab."
Es sei im Übrigen kein illegitimer Wunsch, wenn ein Staatsvolk wissen wolle, wer zu ihm stößt. Das müsse noch nicht in Chauvinismus oder Fremdenfeindlichkeit münden. Zur Heimat zähle aber auch das Gemisch an Sprachen, Farben und Menschen, das nicht an Staatsbürgerschaft geknüpft ist. "Heimat kann auch inklusiv sein", sagt Gustav Seibt.