Christian Bremkamp: Die Äußerung fiel am vergangenen Freitag: Stundenlang diskutierten Gegner und Befürworter des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21 über den gerade vorgelegten Stresstest. Schlichter Heiner Geißler rief alle Beteiligten dazu auf, zu einer friedlichen, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, zitierte dann aber NS-Propagandaminister Joseph Goebbels mit dessen im Berliner Sportpalast gestellten Frage "Wollt ihr den totalen Krieg". Mein Kollege Tobias Armbrüster sprach Heiner Geißler darauf heute Morgen an - ein Interview, das inzwischen heftige Reaktionen hervorgerufen hat, unter anderem in Stuttgart. Verbunden bin ich jetzt mit Wolfgang Benz, Historiker, langjähriger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin. Guten Tag, Herr Benz!
Wolfgang Benz: Guten Tag!
Bremkamp: Auch wenn man nur auf die Brisanz einer Situation hinweisen möchte, wie vorsichtig sollte man mit dem Zitieren von NS-Vokabular sein?
Benz: Man sollte immer vorsichtig sein mit dem Zitieren von NS-Vokabular. Man soll sich aber auch nicht unnötig in Aufregung hineinsteigern, wenn einmal eine solche Äußerung, wie Herr Geißler sie heute getan hat, fällt.
Bremkamp: Diese ewigen Mahnungen seien nur noch anstrengend, hat eine Hörerin von uns geschrieben. Würden Sie das teilen?
Benz: Nein, das teile ich nicht. Man kann nicht sorgfältig genug sein, man muss nur, glaube ich, das notwendige Augenmaß in der Leidenschaft behalten. Wenn dieser Goebbels-Spruch - "Wollt ihr den totalen Krieg?" - in der Aufregung zitiert wird, dann halte ich das nicht für so entsetzlich schlimm wie offenbar manche Politiker, die den Sack schlagen und den Esel meinen. Man muss vorsichtig sein, man muss mit dem Vokabular des Unmenschen, das muss man nicht benutzen, aber das meint doch in erster Linie, Minderheiten beleidigen, die den Terror der Nationalsozialisten, das Konzentrationslager und Ähnliches herunterspielende Diskriminierung von Menschen, die als Untermenschen bezeichnet wurden, herunterspielen. Aber das meint nicht jeden Satz, den einmal ein nationalsozialistischer Politiker gesprochen hat, den jetzt unbedingt gleich als das größtmögliche verbale Unglück zu brandmarken.
Bremkamp: Also würden auch Sie Herrn Geißler zugestehen, dass er wirklich nur auf die Brisanz der Lage hinweisen wollte, dass das Ganze möglicherweise ein Ausrutscher war?
Benz: Das war ganz offensichtlich seine Absicht, auf die Schwierigkeit der Lage hinzuweisen. Er war ja in diesem Interview auch etwas grantig und unwirsch, ging ihm wohl auch allerlei auf die Nerven. Aber die Metapher vom Krieg zu benutzen, das halte ich noch nicht jetzt ... wenn die Konfrontation so stark ist, wie sie offensichtlich in Stuttgart ist, dann eine solche Metapher zu benutzen, halte ich nicht für besonders gravierend.
Bremkamp: Herr Benz, Herr Geißler ist das eine. Wie oft passiert so was eigentlich, dass solch ein Vokabular gebraucht wird, auch von Politikern? Haben Sie da Erfahrungswerte?
Benz: Ja, ich habe Erfahrungswerte, das passiert alle Augenblicke. Und je nachdem, wenn man sich erregen will, wird es skandalisiert. Das passiert etwa im Bundestag, in anderen Parlamenten, es gibt nichts Ärgeres, wie man den Gegner treffen kann, also wenn man ihn mit einem Nazi vergleicht. Das hat Helmut Kohl getan, das ist Helmut Kohl passiert, das ist gang und gäbe. Wenn man einen besonders drastischen Vergleich braucht, dann vergleicht man einen Populisten mit Goebbels und einen besonders infamen Menschen möglicherweise auch, oder man stilisiert ihn zum zweiten Hitler oder man macht einen Himmler draus oder man konstruiert einen Vergleich, dass es da ja zugehe wie im Konzentrationslager. Das ist alles so schief wie perfide, aber das passiert also sehr regelmäßig. Gemessen an dem, was so in Parlamenten an Schlagabtausch findet unter Zuhilfenahme von Nazi-Vokabular - weil es eben nichts Ärgeres gibt, das den Gegner trifft und nach Möglichkeit ganz aus dem Ring wirft -, gemessen daran ist das nun wirklich harmlos und nicht skandalisierbar, was Herr Geißler heute gesagt hat.
Bremkamp: Kurze Abschlussfrage: Passiert das, trotz oder weil die NS-Zeit schon so lange zurückliegt?
Benz: Das passiert oftmals auch relativ ahnungslos. Die Menschen haben, also die den Gegner so angehen, haben in der Regel keine vertieften Kenntnisse, was sie damit meinen und sagen. Also, das ist so eine Mischung aus Wissen, das trifft am ärgsten, ohne jetzt die Hintergründe im Einzelnen zu kennen. Deshalb sind diese das Publikum ja auch enervierenden politischen Vergleiche mit dem Nationalsozialismus so unangenehm.
Bremkamp: Der Berliner Historiker Wolfgang Benz, ich danke Ihnen ganz herzlich für diese Einordnung!
Benz: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wolfgang Benz: Guten Tag!
Bremkamp: Auch wenn man nur auf die Brisanz einer Situation hinweisen möchte, wie vorsichtig sollte man mit dem Zitieren von NS-Vokabular sein?
Benz: Man sollte immer vorsichtig sein mit dem Zitieren von NS-Vokabular. Man soll sich aber auch nicht unnötig in Aufregung hineinsteigern, wenn einmal eine solche Äußerung, wie Herr Geißler sie heute getan hat, fällt.
Bremkamp: Diese ewigen Mahnungen seien nur noch anstrengend, hat eine Hörerin von uns geschrieben. Würden Sie das teilen?
Benz: Nein, das teile ich nicht. Man kann nicht sorgfältig genug sein, man muss nur, glaube ich, das notwendige Augenmaß in der Leidenschaft behalten. Wenn dieser Goebbels-Spruch - "Wollt ihr den totalen Krieg?" - in der Aufregung zitiert wird, dann halte ich das nicht für so entsetzlich schlimm wie offenbar manche Politiker, die den Sack schlagen und den Esel meinen. Man muss vorsichtig sein, man muss mit dem Vokabular des Unmenschen, das muss man nicht benutzen, aber das meint doch in erster Linie, Minderheiten beleidigen, die den Terror der Nationalsozialisten, das Konzentrationslager und Ähnliches herunterspielende Diskriminierung von Menschen, die als Untermenschen bezeichnet wurden, herunterspielen. Aber das meint nicht jeden Satz, den einmal ein nationalsozialistischer Politiker gesprochen hat, den jetzt unbedingt gleich als das größtmögliche verbale Unglück zu brandmarken.
Bremkamp: Also würden auch Sie Herrn Geißler zugestehen, dass er wirklich nur auf die Brisanz der Lage hinweisen wollte, dass das Ganze möglicherweise ein Ausrutscher war?
Benz: Das war ganz offensichtlich seine Absicht, auf die Schwierigkeit der Lage hinzuweisen. Er war ja in diesem Interview auch etwas grantig und unwirsch, ging ihm wohl auch allerlei auf die Nerven. Aber die Metapher vom Krieg zu benutzen, das halte ich noch nicht jetzt ... wenn die Konfrontation so stark ist, wie sie offensichtlich in Stuttgart ist, dann eine solche Metapher zu benutzen, halte ich nicht für besonders gravierend.
Bremkamp: Herr Benz, Herr Geißler ist das eine. Wie oft passiert so was eigentlich, dass solch ein Vokabular gebraucht wird, auch von Politikern? Haben Sie da Erfahrungswerte?
Benz: Ja, ich habe Erfahrungswerte, das passiert alle Augenblicke. Und je nachdem, wenn man sich erregen will, wird es skandalisiert. Das passiert etwa im Bundestag, in anderen Parlamenten, es gibt nichts Ärgeres, wie man den Gegner treffen kann, also wenn man ihn mit einem Nazi vergleicht. Das hat Helmut Kohl getan, das ist Helmut Kohl passiert, das ist gang und gäbe. Wenn man einen besonders drastischen Vergleich braucht, dann vergleicht man einen Populisten mit Goebbels und einen besonders infamen Menschen möglicherweise auch, oder man stilisiert ihn zum zweiten Hitler oder man macht einen Himmler draus oder man konstruiert einen Vergleich, dass es da ja zugehe wie im Konzentrationslager. Das ist alles so schief wie perfide, aber das passiert also sehr regelmäßig. Gemessen an dem, was so in Parlamenten an Schlagabtausch findet unter Zuhilfenahme von Nazi-Vokabular - weil es eben nichts Ärgeres gibt, das den Gegner trifft und nach Möglichkeit ganz aus dem Ring wirft -, gemessen daran ist das nun wirklich harmlos und nicht skandalisierbar, was Herr Geißler heute gesagt hat.
Bremkamp: Kurze Abschlussfrage: Passiert das, trotz oder weil die NS-Zeit schon so lange zurückliegt?
Benz: Das passiert oftmals auch relativ ahnungslos. Die Menschen haben, also die den Gegner so angehen, haben in der Regel keine vertieften Kenntnisse, was sie damit meinen und sagen. Also, das ist so eine Mischung aus Wissen, das trifft am ärgsten, ohne jetzt die Hintergründe im Einzelnen zu kennen. Deshalb sind diese das Publikum ja auch enervierenden politischen Vergleiche mit dem Nationalsozialismus so unangenehm.
Bremkamp: Der Berliner Historiker Wolfgang Benz, ich danke Ihnen ganz herzlich für diese Einordnung!
Benz: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.