Karin Fischer: "Die Juden ertränken wir wie die Katzen", sagt ein junger polnischer Partisan im ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter", und auch den polnischen Bauern, die die Untergrundkämpfer mit Lebensmitteln versorgen, scheint am allerwichtigsten zu sein, dass keine Juden unter den Partisanen sind. Schon gleich nach der Ausstrahlung protestierte unter anderem der polnische Botschafter in Berlin, Jerzy Marganski, über die "fast grotesk einseitige" Darstellung der Partisanen, der sogenannten "Heimatarmee" in der Serie.
Christian Hartmann ist Historiker am Institut für Zeitgeschichte in München und hat als Experte, also beratend, bei dem Filmprojekt "Unsere Mütter, unsere Väter" mitgewirkt. Die Frage vor der Sendung an ihn lautete: Sind diese Szenen einseitig antisemitisch dargestellt?
Christian Hartmann: Was man schon sehen muss: Der Antisemitismus war in der polnischen Gesellschaft der Zwischenzeit sehr, sehr massiv. Ich meine, so ein Projekt wie der Madagaskar-Plan, das wurde zunächst in Polen ausgedacht, und natürlich war auch die Situation der polnischen Juden während der deutschen Besatzung zunächst natürlich in erster Linie durch die Deutschen gefährdet, aber zum Teil eben auch durch ihre polnischen Landsleute. Und ich denke, das zeigt der Film. Die Frage ist natürlich bei so einem Film immer die Komposition.
Was, denke ich, in dem Film doch auch klar wird: Die Initiative geht von den Deutschen aus. Wir sehen die Einsatzgruppe in Aktion. Wir sehen ein jüdisches Mädchen, was von einem deutschen SS-Offizier ermordet wird. Aber es wird eben auch nicht verschwiegen, dass im osteuropäischen Umfeld es eben auch diesen Antisemitismus gab.
Fischer: Das ist vielleicht die Frage, in welchem Ausmaß es diesen Antisemitismus gab. Sie haben es schon ein bisschen geschildert. Der Antisemitismus und die Zuarbeit der Bevölkerung, der polnischen, während der deutschen Besatzung und der Vernichtung der polnischen Juden durch die Nazis war lange ja ein Tabuthema in dem Land.
Heute weiß man aber darüber auch in Polen durch historische Forschung, durch die Veröffentlichungen etwa von Jan Tomasz Gross wie "Goldene Ernte" oder "Angst. Antisemitismus in Polen nach dem Krieg". Ist dieser Dreiteiler Ihrer Ansicht nach auf der Spur dieser historischen Wahrheit, wie wir sie heute kennen?
Hartmann: Ich denke, genau das ist der Fall. Natürlich darf nie ein Zweifel daran bestehen, dass der Holocaust von Deutschland ausging, von Deutschland initiiert wurde. Aber dieses Vernichtungsprojekt, das fiel ja auch nicht nur in Deutschland auf fruchtbaren Boden, sondern auch im Ausland: in Westeuropa und natürlich auch sehr stark in Osteuropa, in Osteuropa noch stärker. Und durch die politische Konstellation nach 1945 war das natürlich überhaupt kein Thema.
Ich meine, Sie müssen sich vorstellen: Dieses Osteuropa, was die Deutschen besetzen, das ist ja ein Gebiet mit vielen Konflikten, die eigentlich nicht ausgetragen werden in der Zwischenkriegszeit, und in dem Moment, wo die Deutschen dieses Land in Besitz nehmen, brechen eben auch diese Konflikte wieder aus. Und was wir in Osteuropa während der deutschen Besatzung auch haben, ist ein gewaltiger Bürgerkrieg: Weißrussen gegen Polen, Polen gegen Juden und so weiter, Kommunisten gegen Nicht-Kommunisten. Und dieses Phänomen, denke ich, versucht dieser Film auch abzubilden, und das ist auch, denke ich, Teil der aktuellen Forschung.
Fischer: Mal zu einem konkreten Beispiel, Herr Hartmann. Ist es denn historisch verbürgt, dass polnische Partisanen einen Zug mit Judentransporten nicht befreit hätten?
Hartmann: Was verbürgt ist, man muss es so sagen, dass es eben Morde gab an Juden. Und ja gut, da hat es ganz schlimme Szenen gegeben: Leute, die geflohen sind und die dann von den Partisanen ermordet wurden. Sagen wir mal, auf jeden Fall diese Szene ist durchaus stimmig.
Fischer: Auch Jan Tomasz Gross schreibt ja über sehr unangenehme Dinge, dass nämlich der Verrat oder die Ausplünderung von Juden in Polen doch an der Tagesordnung war. Aber muss man nicht die heikle Stellung aller Polen zwischen diesen Fronten, die ja im Film auch thematisiert wird, bedenken? Wer Juden versteckte, lebte sehr gefährlich damals.
Hartmann: Ja natürlich. Ich meine, die Frage ist immer: Wie schon gesagt, ich habe das Drehbuch dieses Films nicht geschrieben, und es wäre natürlich besser gewesen, wenn auch sozusagen die andere Seite des damaligen Polen gezeigt worden wäre, so bekannte Fälle wie beispielsweise dieses Ehepaar, was Marcel Reich-Ranicki versteckt hat. Das gab es natürlich auch, es gab natürlich auch vielfältige Hilfe für Polen.
Allerdings muss man auch sagen: Der Antisemitismus im Polen der Zwischenkriegszeit, das war kein Randphänomen, das war wirklich sehr, sehr massiv. Und ich denke, es geht ja eigentlich um dieses Schicksal eines Menschen, der dann eigentlich durch dieses deutsche Besatzungsgebiet taumelt und auch die Erfahrung machen muss, er wird nicht nur von den Deutschen bedroht, und das ist natürlich, wenn man so will, ein Narrativ, was der Situation der jüdischen Bevölkerung damals doch gerecht wird.
Fischer: Christian Hartmann vom Institut für Zeitgeschichte in München über seine Mitarbeit bei "Unsere Mütter, unsere Väter".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Christian Hartmann ist Historiker am Institut für Zeitgeschichte in München und hat als Experte, also beratend, bei dem Filmprojekt "Unsere Mütter, unsere Väter" mitgewirkt. Die Frage vor der Sendung an ihn lautete: Sind diese Szenen einseitig antisemitisch dargestellt?
Christian Hartmann: Was man schon sehen muss: Der Antisemitismus war in der polnischen Gesellschaft der Zwischenzeit sehr, sehr massiv. Ich meine, so ein Projekt wie der Madagaskar-Plan, das wurde zunächst in Polen ausgedacht, und natürlich war auch die Situation der polnischen Juden während der deutschen Besatzung zunächst natürlich in erster Linie durch die Deutschen gefährdet, aber zum Teil eben auch durch ihre polnischen Landsleute. Und ich denke, das zeigt der Film. Die Frage ist natürlich bei so einem Film immer die Komposition.
Was, denke ich, in dem Film doch auch klar wird: Die Initiative geht von den Deutschen aus. Wir sehen die Einsatzgruppe in Aktion. Wir sehen ein jüdisches Mädchen, was von einem deutschen SS-Offizier ermordet wird. Aber es wird eben auch nicht verschwiegen, dass im osteuropäischen Umfeld es eben auch diesen Antisemitismus gab.
Fischer: Das ist vielleicht die Frage, in welchem Ausmaß es diesen Antisemitismus gab. Sie haben es schon ein bisschen geschildert. Der Antisemitismus und die Zuarbeit der Bevölkerung, der polnischen, während der deutschen Besatzung und der Vernichtung der polnischen Juden durch die Nazis war lange ja ein Tabuthema in dem Land.
Heute weiß man aber darüber auch in Polen durch historische Forschung, durch die Veröffentlichungen etwa von Jan Tomasz Gross wie "Goldene Ernte" oder "Angst. Antisemitismus in Polen nach dem Krieg". Ist dieser Dreiteiler Ihrer Ansicht nach auf der Spur dieser historischen Wahrheit, wie wir sie heute kennen?
Hartmann: Ich denke, genau das ist der Fall. Natürlich darf nie ein Zweifel daran bestehen, dass der Holocaust von Deutschland ausging, von Deutschland initiiert wurde. Aber dieses Vernichtungsprojekt, das fiel ja auch nicht nur in Deutschland auf fruchtbaren Boden, sondern auch im Ausland: in Westeuropa und natürlich auch sehr stark in Osteuropa, in Osteuropa noch stärker. Und durch die politische Konstellation nach 1945 war das natürlich überhaupt kein Thema.
Ich meine, Sie müssen sich vorstellen: Dieses Osteuropa, was die Deutschen besetzen, das ist ja ein Gebiet mit vielen Konflikten, die eigentlich nicht ausgetragen werden in der Zwischenkriegszeit, und in dem Moment, wo die Deutschen dieses Land in Besitz nehmen, brechen eben auch diese Konflikte wieder aus. Und was wir in Osteuropa während der deutschen Besatzung auch haben, ist ein gewaltiger Bürgerkrieg: Weißrussen gegen Polen, Polen gegen Juden und so weiter, Kommunisten gegen Nicht-Kommunisten. Und dieses Phänomen, denke ich, versucht dieser Film auch abzubilden, und das ist auch, denke ich, Teil der aktuellen Forschung.
Fischer: Mal zu einem konkreten Beispiel, Herr Hartmann. Ist es denn historisch verbürgt, dass polnische Partisanen einen Zug mit Judentransporten nicht befreit hätten?
Hartmann: Was verbürgt ist, man muss es so sagen, dass es eben Morde gab an Juden. Und ja gut, da hat es ganz schlimme Szenen gegeben: Leute, die geflohen sind und die dann von den Partisanen ermordet wurden. Sagen wir mal, auf jeden Fall diese Szene ist durchaus stimmig.
Fischer: Auch Jan Tomasz Gross schreibt ja über sehr unangenehme Dinge, dass nämlich der Verrat oder die Ausplünderung von Juden in Polen doch an der Tagesordnung war. Aber muss man nicht die heikle Stellung aller Polen zwischen diesen Fronten, die ja im Film auch thematisiert wird, bedenken? Wer Juden versteckte, lebte sehr gefährlich damals.
Hartmann: Ja natürlich. Ich meine, die Frage ist immer: Wie schon gesagt, ich habe das Drehbuch dieses Films nicht geschrieben, und es wäre natürlich besser gewesen, wenn auch sozusagen die andere Seite des damaligen Polen gezeigt worden wäre, so bekannte Fälle wie beispielsweise dieses Ehepaar, was Marcel Reich-Ranicki versteckt hat. Das gab es natürlich auch, es gab natürlich auch vielfältige Hilfe für Polen.
Allerdings muss man auch sagen: Der Antisemitismus im Polen der Zwischenkriegszeit, das war kein Randphänomen, das war wirklich sehr, sehr massiv. Und ich denke, es geht ja eigentlich um dieses Schicksal eines Menschen, der dann eigentlich durch dieses deutsche Besatzungsgebiet taumelt und auch die Erfahrung machen muss, er wird nicht nur von den Deutschen bedroht, und das ist natürlich, wenn man so will, ein Narrativ, was der Situation der jüdischen Bevölkerung damals doch gerecht wird.
Fischer: Christian Hartmann vom Institut für Zeitgeschichte in München über seine Mitarbeit bei "Unsere Mütter, unsere Väter".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.