Interview der Woche
Historiker Moshe Zimmermann: "Offene Frage, wie uns Militäroperationen gegen Hamas, Hisbollah und Iran voranbringen"

Der israelische Historiker Moshe Zimmermann hat die Kriegspolitik der israelischen Regierung nach dem Überfall der militant-islamistischen Hamas vor einem Jahr kritisiert. Statt sich um die Befreiung der israelischen Geiseln im Gazastreifen zu bemühen, habe Israels Führung Rache und Vergeltung gegen die Hamas zur obersten Priorität erhoben, sagte Zimmermann im Deutschlandfunk.

    Professor Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem
    Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem (Archivbild) (picture alliance / Marius Becker / dpa)
    Auch wenn die israelische Regierung immer wieder zwei Ziele beteuere, nämlich die militärische Antwort auf den Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 und die Rettung der Geiseln, sei klar gewesen: Das eine Ziel gehe auf Kosten des anderen. Die Sicherheit Israels hätte man schon vor der Katastrophe des Hamas-Überfalls garantieren sollen, betonte Zimmermann im Interview der Woche des Deutschlandfunks: "Inwieweit diese militärische Operation gegen Hamas, gegen Hisbollah, gegen Iran uns voranbringt, das ist eine offene Frage."

    7. Oktober als Zeichen der Krise des Zionismus

    Den 7. Oktober 2023 sieht der Historiker auch als Zeichen für eine Krise des Zionismus in Israel. Der Hamas-Angriff habe gezeigt, dass der Zionismus sein Versprechen nicht eingehalten habe, Juden in Israel mehr Sicherheit zu ermöglichen als in der Diaspora, also in Ländern, wo sie in der Minderheit sind. "Es war ein Schock. Es war ein Trauma. Es war ein Massaker", sagte Zimmermann.
    Der Zionismus sei in der Gegenwart "eine sehr nationalistische, nationale Bewegung, nicht eine liberale Nationalbewegung". Sie sei auf den Kampf gegen die Araber, mindestens gegen die Palästinenser eingestellt. Das aber sei nicht die Art und Weise, wie man sich Zionismus in seinen historischen Ursprüngen vorgestellt habe, sagte Zimmermann.
    Zionismus ist eine im späten 19. Jahrhundert entstandene nationale Bewegung mit dem Ziel, einen jüdischen Nationalstaat im historischen Gebiet Palästina zu schaffen. Der Begriff leitet sich von Zion ab, einem der Hügel im antiken Jerusalem, der im Judentum eine zentrale Bedeutung hat.

    Schuld am Scheitern des Friedensprozesses auf beiden Seiten

    Der Historiker sieht den gegenwärtigen Nahostkonflikt als Ergebnis einer Radikalisierung auf beiden Seiten. Nach dem Scheitern der Verträge von Oslo hätten sowohl "Hamas und andere Terroristen auf der palästinensischen Seite" als auch "Siedler und rechtsgerichtete Israelis" zum Scheitern des Friedensprozesses beigetragen.
    Mit Blick auf die Diskussionen über die Bekämpfung des Antisemitismus in Deutschland kritisierte Zimmermann die Pläne für eine entsprechende Resolution des Deutschen Bundestages, über die seit knapp einem Jahr kontrovers diskutiert wird. Zimmermann sagte, die darin vorgesehene Definition des Antisemitismus berücksichtige nicht die Unterschiede zwischen antisemitischen Haltungen und Aussagen zur israelischen Politik.
    Diese Nachricht wurde am 06.10.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.