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Historiker Moshe Zimmermann
"Von Peres' Vision ist nichts übrig geblieben"

Der rechte Flügel in Israel sehe den verstorbenen israelischen Spitzenpolitiker Shimon Peres als Verräter, sagte der Historiker Mosche Zimmermann im DLF. Weil er mit den Palästinensern verhandelt habe, sei er bei ihnen zum Buhmann geworden - auch wenn Peres Visionär gewesen sei, der vom Frieden träumte.

Moshe Zimmermann im Gespräch mit Dirk Müller |
    Der frühere israelische Spitzenpolitiker Shimon Peres.
    Moshe Zimmermann, israelischer Historiker: "Für die Rechten steht Shimon Peres eigentlich für das, was man Oslo-Verräter nennt." (picture alliance/dpa - Jens Büttner)
    Dirk Müller: Er war Außenminister, er war Ministerpräsident und schließlich auch Staatspräsident: Schimon Peres, der wie kein zweiter allzeit präsent war in der israelischen Politik. Ein Realpolitiker, der für seine Kritiker viel zu wandlungsfähig war. Schimon Peres ist im Alter von 93 Jahren gestorben. Am Telefon begrüße ich nun den israelischen Historiker Moshe Zimmermann. Guten Morgen.
    Moshe Zimmermann im Gespräch.
    Moshe Zimmermann, israelischer Historiker (dpa / Martin Schutt)
    Moshe Zimmermann: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Zimmermann, ist mit Schimon Peres das versöhnliche Gewissen Israels gegangen?
    Zimmermann: Das werden nicht alle Israelis behaupten, aber davon gehen zumindest die Leute aus dem linken Flügel aus. Das ist ein Mann, der eigentlich die israelische Politik von Beginn an begleitet hat. Er war schon zu David Ben-Gurions Zeit, also zur Zeit des ersten Ministerpräsidenten, ein Staatsminister im Verteidigungsministerium. Seitdem gestaltete er eigentlich die israelische Politik. Darüber hinaus repräsentierte er eigentlich das, was man bei uns für die Moral des Zionismus hält. Also eine sehr zentrale Figur. Eine ähnliche Figur kann man sich in der israelischen Szene kaum vorstellen.
    Müller: Herr Zimmermann, Sie sagen, die Linken werden das so sehen, die Rechten werden das nicht so sehen. Wie sehen Sie es?
    Zimmermann: Für die Rechten steht Peres eigentlich für das, was man Oslo-Verräter nennt. Er war derjenige, der vor 20 Jahren an der Unterzeichnung des Abkommens mit den Palästinensern in Oslo teilgenommen hat, und das ist für die Rechte eigentlich ein Fehler oder sogar ein Verrat. Klar: Die werden heute und morgen sich richtig benehmen. Solange er nicht bestattet ist, sagt man nichts Böses. Aber im Prinzip ist das immer das Problem mit Schimon Peres. Peres steht für Kompromissbereitschaft, für Nachgiebigkeit und für diesen angeblichen Verrat von Oslo. Das ist sein Problem, das war sein Problem. Und heute, wo er gestorben ist, muss man sich daran erinnern. Wir sind 20 Jahre nach dem angeblich großen Erfolg von Oslo und nach …
    "Peres war eher ein gescheiterter Politiker"
    Müller: Und er hat ja auch den Friedensnobelpreis bekommen, Herr Zimmermann, wenn ich Sie kurz unterbrechen darf. Und auch das hat keine Änderung in der israelischen Sichtweise aus dem rechten Spektrum erbracht?
    Zimmermann: Eher umgekehrt. Auf dem rechten Spektrum kann man den Nobelpreis seitdem nicht mehr ernst nehmen. So sieht man es auf dem rechten Flügel in Israel. Das Problem ist eben: Peres war ein Visionär, jemand, der immer über den Frieden mit den Arabern, mit den Palästinensern geträumt hat, jemand, der als Realpolitiker, wie Sie gesagt haben, ein großer Visionär war, und das war eben das, was auf dem rechten Flügel in Israel nicht akzeptiert werden konnte. Deswegen hat er auch immer wieder bei Wahlen verloren. Er hat die Wahlen im Jahr 1996 verloren, er hat auch in seiner eigenen Partei sehr oft verloren. Er war als Politiker eher ein gescheiterter Politiker. Er ist so berühmt geworden, weil er eben eine Vision hatte von Beginn an.
    Müller: Da muss ich noch mal fragen, Herr Zimmermann. Sie sagen, ein gescheiterter Politiker, und zugleich haben wir ja erfahren: der Politiker, der am längsten aktiv war, der am längsten die israelische Politik ja auch an entscheidender Stelle mitgestaltet hat und nie eine Mehrheit in der Bevölkerung bekommen hat, wenn es darum ging, darüber abzustimmen oder ihn zu wählen. Warum war das so, weil er doch zu opportunistisch war?
    Zimmermann: Nein, er war nicht zu opportunistisch. Man kann ihn weniger Opportunist nennen als die meisten Politiker, die wir in Israel kennen. Das war ein Problem des Image. Er hat von Beginn an das Image eines zu kompromissbereiten Politikers. Er war für die rechte Ecke in Israel, die ja jetzt die Mehrheit in Israel ist, immer der Buhmann per se und deswegen hat er es nicht geschafft. Er hat es zwar geschafft, einmal oder zweimal Regierungschef zu werden. Am Ende hat er es geschafft, Präsident zu werden. Aber die Politik, die eigentliche Politik, die bestimmend war für das Schicksal Israels, machten die anderen. Das sehen wir ja heute. Netanjahu, sein Erzrivale, ist derjenige, der die Politik macht und Netanjahu hat in diesem Sinne auch gesiegt und Peres ist mehr oder weniger eine Art von Feigenblatt in Richtung Ausland für die israelische Politik geworden.
    Von Peres' Vision ist nichts geblieben - die Siedlungspolitik geht weiter
    Müller: Netanjahu haben Sie als Stichwort genannt. Benjamin Netanjahu hat sich auch zu Wort gemeldet und gesagt, es ist einer der ganz Großen, der jetzt gestorben ist, der überall beliebt war. Und Sie sagen, dass gerade die Rechten, auch angeführt unter anderem ja von Benjamin Netanjahu, die Politik von Peres immer bekämpft haben. Ist das mehr als jetzt ein Schönheits-Lippenbekenntnis, oder hat er auch Respekt gehabt vor Schimon Peres?
    Zimmermann: Alle hatten Respekt vor Schimon Peres. Und weswegen? …, weil er so lange in der Politik geblieben ist. Und die Leute haben auch verstanden: Jemand, der so ein Visionär ist, ist nicht nur schlicht ein Spinner. So weit geht der Respekt Peres gegenüber. Aber weiter geht es nicht!
    Müller: Und was ist von Schimon Peres jetzt, von seinem Politikstil, von seiner Mission und Sie haben gesagt von seiner Vision geblieben?
    Zimmermann: Leider ist es so, dass von der Vision, die zum Osloer Abkommen geführt hat, nichts übrig geblieben ist. Die israelische Siedlungspolitik geht weiter und ein Frieden mit den Palästinensern ist nicht in Sicht. Eine Sache, bei der er entscheidend war, kommt aus der Zeit, wo er der Vizeminister im Verteidigungsministerium war: die Entscheidung darüber, Israel zu einer atomaren Kraft zu machen, zu einer atomaren Macht. Und Israel als atomare Macht oder nukleare Macht, das macht eben den kleinen Unterschied. Das garantiert Israel die Existenz und daran erinnern sich sehr viele Leute, auch die Leute, die rechts auf der politischen Szene stehen.
    Pragmatisch und nach vorne blickend
    Müller: Herr Zimmermann, ich habe noch eine andere Frage. Deutsch-israelische Politik: Wir haben den O-Ton, einen Interview-Auszug von Schimon Peres, eben auch eingespielt hier im Deutschlandfunk über die letzte Begegnung mit seinem Großvater, der dann von Deutschen ermordet, getötet wurde im Zweiten Weltkrieg. Dennoch war er einer der ersten Politiker, die gesagt haben, wir müssen uns aussöhnen, wir müssen uns versöhnen mit Deutschland. Warum konnte er das?
    Zimmermann: Erstens war er von Natur aus Pragmatiker. Zweitens war er jemand, der zusammen mit Ben-Gurion arbeitete. Ben-Gurion war derjenige, der darüber entschieden hat, mit Deutschland, mit der Bundesrepublik Kontakte aufzunehmen. Für ihn standen die Interessen Israels im Vordergrund, nicht die Vergangenheit. Die Vergangenheit vergisst man nicht, aber man versucht, nach vorne zu schauen. Das ist genau auch das, was Peres von Ben-Gurion geerbt oder gelernt hat, und zusammen mit seinem Charakter, der pragmatisch ist, erklärt das, wie es dazu kommen konnte, dass er einer der ersten war schon in den 50er-Jahren, die versucht haben, mit Deutschland, mit dem politischen Apparat in Deutschland in Kontakt zu treten, und da war er sehr erfolgreich.
    Müller: Der israelische Historiker Moshe Zimmermann bei uns im Deutschlandfunk zum Tode von Schimon Peres. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben. Auf Wiederhören.
    Zimmermann: Ich bedanke mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.