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Historiker Philipp Blom zur Zukunft der EU
"Weitermachen, aber ganz anders"

Populisten wie die Französin Le Pen oder der Niederländer Wilders sind entschiedene Gegner der EU. Der Historiker Philipp Blom glaubt deshalb, dass ein Sieg Le Pens bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich das Aus für die EU bedeuten könnte. Womöglich habe sich der Staatenbund in seiner heutigen Form überlebt, sagte er im DLF.

    Im Bundeskanzleramt hängt die Fahne Europas über einem Ständer.
    Die EU-Flagge hängt über einem Ständer. (dpa)
    Vielleicht sei es Zeit für eine neue Art des europäischen Zusammenlebens, meinte Blom. Die Europäische Union habe ein Kommunikations-Defizit und möglicherweise auch ein Demokratie-Defizit, betonte der Historiker und Schriftsteller im Deutschlandfunk. Das müsse dringend beseitigt werden. Vorstellbar sei etwa eine Art Völkerbund. Die nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte heutige Organisationsform habe sich überlebt - nicht aber der europäische Gedanke. Der sei "so wichtig wie eh und je". Denn die globalen Konflikte seien nicht auf nationaler Ebene zu lösen.
    Blom warnte vor der Gefahr, dass Populisten die Demokratien kaputt machen könnten. Sollte etwa die Rechtspopulistin Le Pen die Präsidentschaftswahl in Frankreich gewinnen, würde sich "nicht nur die Atmosphäre ändern", sondern die EU könnte dann "am Ende" sein. Dann wäre das Aufatmen darüber, dass der Rechtspopulist Wilders die Wahlen in den Niederlanden nicht gewonnen habe, nur von kurzer Dauer.
    "Nicht sagen: Populismus kommt aus der Dummheit der Massen"
    Zur Ursache für den derzeitigen Aufwind der Populisten meinte Blom, dass sich viele Menschen nicht mehr von den Politikern repräsentiert fühlten und einen Wandel wollten. Es sei aber wichtig, dass man nicht sage, "Populismus kommt einfach aus der Dummheit der Massen". Dieser entstehe nämlich vor allem aus strukturellen Problemen der Gesellschaft, die nicht aufgelöst werden könnten. Wohlstand alleine reiche nicht mehr als Grund für Zufriedenheit. Die Menschen seien reicher als je zuvor und fühlten trotzdem, dass ihnen "die Felle wegschwimmen", warnte der Historiker. Demokratie funktioniere aber nur, wenn die Menschen daran glaubten. Blom sprach sich für grundlegende Reformen aus und appellierte: "Weitermachen, aber ganz anders."
    Ménudier: Demokratische Parteien werden Le Pen verhindern
    Anders als Blom glaubt der Politologe Henri Ménudier von der Sorbonne in Paris nicht, dass Le Pen die Präsidentschaftswahl für sich entscheiden könnte. Die demokratischen Parteien wollten Le Pen auf keinen Fall die Gelegenheit geben, Präsidentin zu werden, sagte er ebenfalls im Deutschlandfunk. Wenn sie in die Stichwahl komme, würden die Anhänger der anderen Parteien in jedem Falle Le Pens Gegenkandidaten wählen.
    Nach Einschätzung Ménudiers ist der parteiunabhängige Kandidat Macron der aussichtsreichste Kandidat. Allerdings sei unklar, mit welchen politischen Mehrheiten er nach einem Sieg zusammenarbeiten könne. Auch sein Programm sei inhaltlich unkonkret. Doch Macron sei jung, sehe gut aus und sei in den Augen vieler Franzosen ein Symbol für den Wunsch nach einem Neuanfang, ähnlich wie es der frühere US-Präsident Obama für die Amerikaner gewesen sei, erläuterte Ménudier. Er sei deshalb gespannt, wie sich Macron in dem ersten TV-Duell der Kandidaten heute Abend (21.00 Uhr) schlagen werde.
    Der Kandidat der Konservativen, Fillon, werde bei der Diskussionsrunde hinsichtlich seines Wahlprogramms vermutlich besser dastehen, vermutet Ménudier. Doch sei Fillon durch die Scheinbeschäftigungsaffäre mit seiner Frau beschädigt. Er liegt deshalb in jüngsten Umfragen weit abgeschlagen hinter Macron und Le Pen.
    (kis/am)