Michael Köhler: Die bayerische Landesregierung hat ein Buch, mit dem sie nicht glücklich wird, das sie aber auch loswerden nicht kann, dass es unmöglich ist, loszuwerden. Es handelt sich um Hitlers "Mein Kampf". Ein Buch, von dem viele Historiker sagen, es gehört nicht länger indiziert, sondern historisch-kritisch publiziert. Ulrich Wehler, Historiker und Herausgeber einer fünfbändigen deutschen Gesellschaftsgeschichte habe ich gefragt, ob er sich solchen Stimmen anschließt?
Hans-Ulrich Wehler: Ja, ich bin für die Publikation, für eine kritische Ausgabe, die man Studenten in die Hände drücken kann, damit sie erkennen können, dieser Text ist von Hitler, der ist vielleicht von seinem Leibsekretär damals, Rudolf Heß, eingefügt worden. Da kann er dann finden, wer verbirgt sich hinter den Namen, was sind das für Anspielungen, all das, was eine kritische Ausgabe aufschlüsseln muss. Und ich finde den Widerstand dagegen eine völlig falsche Tabuisierung.
Köhler: Die Alliierten übertrugen nach dem Krieg die Rechte an dem Buch der bayerischen Regierung, ein Buch, das 1925/26 entstand. Nun schielt alles so ein bisschen auf das Jahr 2015, weil 70 Jahre nach Hitlers Tod die Urheberrechte frei werden. Das Kuratorium Nürnberger Dokumentationszentrum/Reichparteitagsgelände fordert auch, man möge doch jetzt endlich historisch-kritisch publizieren, um einem Missbrauch zuvorzukommen. Haben Sie diese Befürchtung auch?
Wehler: Ich hab die nicht explizit, weil es in Deutschland, ich meine, jeder Glatzkopf ist einer zu viel, aber es gibt hierzulande nicht eine leidenschaftlich-bewegte Hitlerleserschaft. Und es gibt kritische Ausgaben aller politischen Schriftstücke von Hitler von 1919 bis 33. Es gibt eine vorzügliche Sammlung seiner Reden. Es gibt ergänzend und vom Institut für Zeitgeschichte in München herausgegeben die Tagebücher von Joseph Goebbels. Und nun, finde ich, gehört zu diesen Stücken auch eine kritische Ausgabe der Texte, die Hitler in "Mein Kampf" zusammengestellt hat. Man muss sich auch klarmachen, Hitler gibt damals als Beruf gewöhnlich Schriftsteller an, und Hitler hat bis zuletzt seine Reden selber geschrieben. Man kann schon davon ausgehen, dass der Mann bei diesem ersten Buch, das ja in zwei Bänden erschienen ist, und dann bei dem sogenannten zweiten Buch von 1928, was erst vor wenigen Jahrzehnten vollständig einmal veröffentlicht worden ist, selber die wesentlichen Texte geschrieben hat. Und da er eine ungeheure verderbliche Wirkung in der Weltgeschichte gehabt hat, muss man diese Stücke sozusagen in einer kritischen Ausgabe präsent halten.
Köhler: Sie haben es schon angesprochen. Das Münchener Institut für Zeitgeschichte will auch, dass das veröffentlicht wird, sagt, man müsse etwa drei Jahre rechnen mit einer Publikation. Aber, sagen wir mal, das würde jetzt losgehen. Was macht man dann damit? Stellt man das ins Netz frei, oder soll man es teuer lassen, damit man nicht rankommt? Was tut man damit?
Wehler: Ich bin natürlich aufgrund meiner Generationslage ein Anhänger der Printmedien. Das kommt in einem angesehenen Verlag raus. Das wird ein stattlicher Band, die Buchgeschichte selber, die kritischen Erläuterungen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass man das anders als seriös kalkuliert. Und dann wird ein solch dicker Band relativ teuer. Der wird sozusagen keine neugierigen Liebhaber finden, sondern das werden dann Bibliotheken, Universitäten, Akademien usw. kaufen für den Lehrbetrieb und vielleicht der eine oder andere Doktorand, der über den Nationalsozialismus arbeitet.
Köhler: Wissen Sie, ob es Auflagen der Alliierten gab oder noch gibt, Bedingungen, an die die deutsche Regierung, die bayerische, gebunden ist? Oder anders gefragt, muss man sich quasi noch bei den Siegermächten nachträglich grünes Licht holen?
Wehler: Nein, das deutsche Urheberrecht regelt das. Und ich habe nie in all den vielen Büchern und Texten, die ich selber über Nationalsozialismus gelesen habe, irgendeine Spur gefunden. Die Alliierten, die damaligen Besatzungsoffiziere für Bildung und Wissenschaft, die waren der Meinung, das ist der bayerischen Regierung gut anvertraut, die werden da nicht Unfug machen mit solchen Rechten. Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Und wenn das ein sozusagen angesehenes wissenschaftliches Institut, wie das Münchner Institut für Zeitgeschichte in die Hand nimmt, dann ist das völlig okay. Da sind erfahrene Historiker, die große Editionsarbeiten hinter sich haben, die sich untereinander austauschen können. Es ist gar nicht so leicht, von einem so umstrittenen Text schnell eine kritische Ausgabe herzustellen, die ja dann auch viele kritische Leser finden wird in der Fachwelt. Aber ich glaube, das kriegen die in einer Zeit von drei, vier Jahren hin. Dann wird es unterschiedliche Reaktionen in der Publizistik und in den Medien geben, und dann wird das zum normalen historischen Handwerkszeug werden.
Köhler: Sagt der Historiker Hans-Ulrich Wehler zur Forderung nach einer historisch-kritischen Ausgabe von "Mein Kampf".
Hans-Ulrich Wehler: Ja, ich bin für die Publikation, für eine kritische Ausgabe, die man Studenten in die Hände drücken kann, damit sie erkennen können, dieser Text ist von Hitler, der ist vielleicht von seinem Leibsekretär damals, Rudolf Heß, eingefügt worden. Da kann er dann finden, wer verbirgt sich hinter den Namen, was sind das für Anspielungen, all das, was eine kritische Ausgabe aufschlüsseln muss. Und ich finde den Widerstand dagegen eine völlig falsche Tabuisierung.
Köhler: Die Alliierten übertrugen nach dem Krieg die Rechte an dem Buch der bayerischen Regierung, ein Buch, das 1925/26 entstand. Nun schielt alles so ein bisschen auf das Jahr 2015, weil 70 Jahre nach Hitlers Tod die Urheberrechte frei werden. Das Kuratorium Nürnberger Dokumentationszentrum/Reichparteitagsgelände fordert auch, man möge doch jetzt endlich historisch-kritisch publizieren, um einem Missbrauch zuvorzukommen. Haben Sie diese Befürchtung auch?
Wehler: Ich hab die nicht explizit, weil es in Deutschland, ich meine, jeder Glatzkopf ist einer zu viel, aber es gibt hierzulande nicht eine leidenschaftlich-bewegte Hitlerleserschaft. Und es gibt kritische Ausgaben aller politischen Schriftstücke von Hitler von 1919 bis 33. Es gibt eine vorzügliche Sammlung seiner Reden. Es gibt ergänzend und vom Institut für Zeitgeschichte in München herausgegeben die Tagebücher von Joseph Goebbels. Und nun, finde ich, gehört zu diesen Stücken auch eine kritische Ausgabe der Texte, die Hitler in "Mein Kampf" zusammengestellt hat. Man muss sich auch klarmachen, Hitler gibt damals als Beruf gewöhnlich Schriftsteller an, und Hitler hat bis zuletzt seine Reden selber geschrieben. Man kann schon davon ausgehen, dass der Mann bei diesem ersten Buch, das ja in zwei Bänden erschienen ist, und dann bei dem sogenannten zweiten Buch von 1928, was erst vor wenigen Jahrzehnten vollständig einmal veröffentlicht worden ist, selber die wesentlichen Texte geschrieben hat. Und da er eine ungeheure verderbliche Wirkung in der Weltgeschichte gehabt hat, muss man diese Stücke sozusagen in einer kritischen Ausgabe präsent halten.
Köhler: Sie haben es schon angesprochen. Das Münchener Institut für Zeitgeschichte will auch, dass das veröffentlicht wird, sagt, man müsse etwa drei Jahre rechnen mit einer Publikation. Aber, sagen wir mal, das würde jetzt losgehen. Was macht man dann damit? Stellt man das ins Netz frei, oder soll man es teuer lassen, damit man nicht rankommt? Was tut man damit?
Wehler: Ich bin natürlich aufgrund meiner Generationslage ein Anhänger der Printmedien. Das kommt in einem angesehenen Verlag raus. Das wird ein stattlicher Band, die Buchgeschichte selber, die kritischen Erläuterungen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass man das anders als seriös kalkuliert. Und dann wird ein solch dicker Band relativ teuer. Der wird sozusagen keine neugierigen Liebhaber finden, sondern das werden dann Bibliotheken, Universitäten, Akademien usw. kaufen für den Lehrbetrieb und vielleicht der eine oder andere Doktorand, der über den Nationalsozialismus arbeitet.
Köhler: Wissen Sie, ob es Auflagen der Alliierten gab oder noch gibt, Bedingungen, an die die deutsche Regierung, die bayerische, gebunden ist? Oder anders gefragt, muss man sich quasi noch bei den Siegermächten nachträglich grünes Licht holen?
Wehler: Nein, das deutsche Urheberrecht regelt das. Und ich habe nie in all den vielen Büchern und Texten, die ich selber über Nationalsozialismus gelesen habe, irgendeine Spur gefunden. Die Alliierten, die damaligen Besatzungsoffiziere für Bildung und Wissenschaft, die waren der Meinung, das ist der bayerischen Regierung gut anvertraut, die werden da nicht Unfug machen mit solchen Rechten. Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Und wenn das ein sozusagen angesehenes wissenschaftliches Institut, wie das Münchner Institut für Zeitgeschichte in die Hand nimmt, dann ist das völlig okay. Da sind erfahrene Historiker, die große Editionsarbeiten hinter sich haben, die sich untereinander austauschen können. Es ist gar nicht so leicht, von einem so umstrittenen Text schnell eine kritische Ausgabe herzustellen, die ja dann auch viele kritische Leser finden wird in der Fachwelt. Aber ich glaube, das kriegen die in einer Zeit von drei, vier Jahren hin. Dann wird es unterschiedliche Reaktionen in der Publizistik und in den Medien geben, und dann wird das zum normalen historischen Handwerkszeug werden.
Köhler: Sagt der Historiker Hans-Ulrich Wehler zur Forderung nach einer historisch-kritischen Ausgabe von "Mein Kampf".