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Historiker zu antisemitischem Künstler
"Auf jeden Fall sind Nolde-Bilder zeigbar"

Eine Ausstellung in Berlin demaskiert den deutschen Künstler Emil Nolde als überzeugten Nationalsozialisten, Bundeskanzlerin Angela Merkel hängt Nolde-Bilder im Büro ab. Das sei "Tugendhysterie", sagte der Historiker Michael Wolffsohn im Dlf. Große Persönlichkeiten hätten nicht immer eine weiße Weste.

Michael Wolffsohn im Gespräch mit Christoph Heinemann |
Im Hamburger Bahnhof in Berlin ist eine neue Ausstellung mit Bildern von Emil Nolde zu sehen.
"Bilder von Emil Nolde sind großartig", sagte Historiker Michael Wolffsohn im Dlf. Viele bedeutende deutsche Künstler und Denker seien "gebrochen gewesen in dem, was für uns heute geltende Moral ist". (picture-alliance / dpa / Markus Schreiber)
Soll man im Museum, im Kanzleramt und überhaupt Bilder eines Nazis zeigen oder nicht? Die Berliner Ausstellung im Hamburger Bahnhof trägt den Titel "Emil Nolde – eine deutsche Legende, der Künstler im Nationalsizialismus" - und sie legt schonungslos offen, was Kunsthistoriker schon früher bemerkt hatten: Nolde war Rassist, Antisemit, Nazi.
Diese Demaskierung stoße auf unterschiedliche Reaktionen, sagte Historiker Michael Wolffsohn im Dlf: Es gebe immer Menschen, die ihren "Gott" als solchen oder als Götzen weiter verehren wollen. "Sie meinen, dass eine große Persönlichkeit eine vollkommen reine Weste haben müsste. Das ist vollkommen illusorisch gedacht, sehr sympathisch, aber unrealistisch. Dann gibt es diejenigen, die ganz bewusst leugnen, ignorieren, den Kopf in den Sand stecken. Wir kennen das auch in Bezug auf Günter Grass, der für viele immer noch moralisch auf dem Denkmalsockel steht."
Wie soll man also mit dem künstlerischen Werk eines überzeugten Antisemiten und Nazi umgehen? "Hier zählt die Kunst. Zur Kunst zählt die Tatsache, dass die Kunst von Menschen gemacht wird. Kein Mensch entspricht dem Idealbild vom perfekten Menschen", so Wolffsohn. "Bilder von Emil Nolde sind großartig."
"Gebrochen in dem, was heute geltende Moral ist"
Dass die Kanzlerin die Nolde-Bilder im Kanzleramt habe abhängen lassen, sei ein bisschen viel Tugendhysterie. Für ausländische Besucher, die das Kanzleramt besuchen und auf Werke von Nazis und Antisemiten schauten, wäre es keine Zumutung, sondern ein Bekenntnis zur Gebrochenheit deutscher Geschichte. "Geschichte ist nicht nur eindimensional. Mich stört ganz schrecklich, dass wir so etwas wie eine korrekte Einheitsmeinung Deutschlands haben. Das ist so antiintellektuell, wie es nur sein kann."
Ausstellungsansicht: Ein Foto von Helmut Schmidt im Bonner Kanzleramt mit "seinem" Nolde "Meer III" und daneben der "Brecher" von 1936 aus dem Amtszimmer von Angela Merkel. Die Ausstellung "Emil Nolde - Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus",  12.4. – 15.9.2019, Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart Berlin
Ein Foto von Helmut Schmidt im Bonner Kanzleramt mit "seinem" Nolde "Meer III" und daneben der "Brecher" von 1936 aus dem Amtszimmer von Angela Merkel (Deutschlandradio / Stefan Koldehoff)
Zur Tatsachenfindung gehöre, dass Emil Nolde ein ganz bedeutender deutscher Künstler gewesen sei, und dass viele bedeutende deutsche Künstler und Denker "gebrochen gewesen sind in dem, was für uns heute geltende Moral ist." Das gelte auch für andere wie zum Beispiel Luther. "Wir haben im Jahre 2017 das Luther-Jahr gefeiert. Luther war ein ganz schlimmer Antisemit, der bishin zur Verbrennung von Juden plädiert hat. Soweit ist Herr Nolde nicht gegangen."
Man könne im Bundeskanzleramt zeigen: "Ein ganz großer Künstler, aber ein ganz schwacher Mensch. Zu der Gebrochenheit deutscher Geschichte sollte man sich bekennen und nicht zuletzt im Bundeskanzleramt." Auf jeden Fall seien Nolde-Bilder zeigbar. Den Menschen und die Nation in der Gebrochenheit zu zeigen sei eine Herausforderung, die der vielschichtigen, offenen, pluralen Gesellschaft entspräche.