Archiv

Historiker zu britischer Parlamentswahl
"Bruchlinien eines neuen Kulturkampfes absehbar"

Nicht nur mit Blick auf den Brexit sei es eine wegweisende Wahl gewesen, sagte Historiker Dominik Geppert im Dlf. Sondern auch, weil es eine Umstrukturierung und Neugruppierung der politischen Landschaft gebe. Die Konservativen hätten beispielsweise große Gewinne in klassischen Arbeitergegenden errungen.

Dominik Geppert im Gespräch mit Michael Köhler |
Premierminister Boris Johnson auf dem Weg zum Buckingham Palast
Premierminister Boris Johnson auf dem Weg zum Buckingham Palast (afp / Stefan Rousseau)
Es habe Wahlkreise gegeben, die vorher noch nie ein Konservativer gewonnen hätte, sagte Geppert zum Ergebnis der britischen Parlamentswahl. Geschafft hätten die Tories das mit einer Politik, die "in der Tradition des "One-Nation-Toriesm" stehe. Weg also von der Austeritätspolitik, keine Sparpolitik und notfalls eine Verschuldungspolitik.
Geppert: Briten haben die Nase voll vom Hin und Her
Die Briten hätten einfach die Nase voll vom ewigen Hin und Her und wollten den Brexit vom Tisch kriegen. Zudem habe Labour-Chef Jeremy Corbyn sich nicht dazu durchringen können zu sagen: 'Wir machen den Gegenentwurf'. "Sie haben im Grunde gesagt: Mit uns gibt es eine Verlängerung der Unsicherheit." Corbyn habe seine Partei "in die schlechtmöglichste Position manövriert" und dafür gesorgt, dass Labour in beide Richtungen verliere, so Geppert im Dlf. "Sowohl an die, die eigentlich rauswollten aus der EU, als auch unter denen, die eigentlich drin bleiben wollten."
Neuer Kulturkampf durch Brexit?
Die Geschichte um den Brexit als neuen Kulturkampf zu interpretieren, sei "nicht die schlechteste Deutung". Vor allem der englische Teil des Vereinigten Königreichs interpretiere ihn im Sinne des englischen Nationalismus, so Geppert. "Wenn man sich anschaut, wo die Zustimmung am Größten ist, dann ist das relativ deutlich England, jetzt neuerdings Wales auch, aber eben dezidiert nicht Schottland und dezidiert auch nicht Irland, respektive Nordirland." Die Unionisten, die traditionell in Nordirland die stärkste Kraft seien, seien das "erstmals seit Menschengedenken nicht mehr". Der Gedanke der Union, des United Kingdom inklusive Nordirland, sei geschwächt. Unter den britischen Konservativen gebe es eine nicht unbeträchtliche Gruppe die sage, dass ihnen der Brexit wichtiger sei, als der Zusammenhalt im Vereinigten Königreich. "Da sind in der Tat Verwerfungslinien eines neuen Kulturkampfes absehbar."
"Johnson muss jetzt umschalten"
Im Hinblick auf den Austritt Großbritanniens aus der EU zum 31. Januar sagte der Historiker: "Die Zeit, um wirklich zu umfassenden Abkommen zu gelangen in den verbleibenden Monaten, ist sehr gering." Die Aufgabe sei riesig und es gebe ein doppeltes Problem. Zum einen habe Premierminister Boris Johnson schon vor seiner Zeit als Regierungschef jede Menge Vertrauen in das politische System verspielt. "Dass er sich an die Regeln hält, glaubt eigentlich kaum jemand." Johnson müsse jetzt umschalten und "vom Guerilla-Kämpfer zum verlässlichen Regierungschef werden, der eine verantwortungsbewusste und eben absehbar verlässliche Politik macht".
Zum anderen stehe da auch die Frage nach der Strategie im Raum, so Geppert. Während ein Teil der vehementesten Brexit-Befürworter "eine Art Singapur in der Nordsee" wollten, sei das "nicht das Programm, mit dem Johnson gewählt worden ist". Sein Programm sei sehr viel stärker staatsinterventionistisch, wolle den nationalen Gesundheitsdienst mit viel Geld versorgen. "Wie das zusammenzubringen ist, ist die große Frage."