Unliebsame Autoren oder Referenten werden gebasht, denunziert und ausgeladen, Debattenbeiträge werden für unmöglich erklärt oder gar verhindert - an US-amerikanischen aber auch deutschen Universitäten wird immer stärker eine sogenannte "Cancel Culture" praktiziert, ein Boykott von Personen, denen beleidigende oder diskriminierende Aussagen oder Handlungen vorgeworfen werden. Dieser Entwicklung müsse entgegengewirkt werden, meint der Historiker René Schlott. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.
"Die Grenzen des Sagbaren sollte man kritisch hinterfragen"
"Es gibt Grenzen des Sagbaren, auch im akademischen Bereich, auch im Wissenschaftsbereich, die man besser nicht überschreiten sollte. Aber auch diese Grenzen des Sagbaren sollte man kritisch hinterfragen, denn das ist ja ein Wesenskern der Wissenschaft und der Wissenschaftsfreiheit in einer offenen Gesellschaft, alle vermeintlich aufgestellten Grenzen kritisch zu hinterfragen", sagte René Schlott.
Allzu verbreitet sei dagegen, sich dem herrschenden Diskurs anzuschließen. "Weil das risikofrei ist. Das schadet nicht der Karriere", sagte Schlott. Es gebe gerade in den deutschen Geisteswissenschaften ein zu vorsichtiges Verhalten, einen zum Teil vorauseilenden Gehorsam. "Das ist gefährlich sowohl für die Meinungsfreiheit als auch für die Wissenschaftsfreiheit", so Schlott.
Twitter als Erregungsmedium
Kritisch sieht Schlott, dass "die neuen Medien, die sogenannten sozialen Medien hier neue Mauern errichtet haben". Mit Twitter als Erregungsmedium beispielsweise könne man sehr schnell sachlich verkürzen, sehr schnell Debatten hochkochen und emotionalisieren. Dieses Problem sehe er auch für die Geisteswissenschaften.
Facebook und Twitter hätten zwar großes Potenzial für die Debattenkultur, momentan trügen sie jedoch vor allem zu einer Blockade und Radikalisierung von Diskussionen bei, sagte der wissenschaftliche Mitarbeiter. Im Internet koche die Empörung schnell hoch, unliebsame Debattenbeiträge würden nicht selten verhindert und die Autoren von Artikeln und Posts dazu gedrängt, diese zu löschen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.